Beide
kommen aus Privatschulen, welche eine hohe Autonomie des Kindes ins Zentrum
setzen. «Es tönt sympathisch, human und kindszentriert, aber es ist
gefährlich», sagt Willi Ruoss. Es sei eine Überbetonung der kindlichen
Selbstständigkeit. Er weiss, dass diese Ideologie und deren Umsetzung einer der
Streitpunkte zwischen den Oberstufenlehrern und der Schulleitung waren. «Die
Lehrer haben sich zu Recht gewehrt.»
"Die Behörde wurde geblendet", Thurgauer Zeitung, 13.6. von Sabrina Bächi
Das
Lehrer-Kind-Verhältnis sollte ganz anders werden. Gemäss dieser pädagogischen
Überzeugung, die fachlich höchst umstritten sei, wäre der Lehrer nur noch Lerncoach.
Eine erwachsene Person auf Augenhöhe mit den Kindern. Diese habe eine negative
Kehrseite. Mögliche Folgen können Hierarchieumkehr und Autoritätszerfall sein.
Bereits heute werde sehr individualisiert und kindzentriert gearbeitet, sagt
Ruoss. Eine zu grosse Autonomie führe oft zu einer Überforderung des Kindes und
spätestens beim Übertritt in die Berufswelt zu Problemen. «Wenn die Autonomie
der Kinder derart betont wird, glauben sie, dass es überall so funktioniert.»
Kinder bräuchten klare Führung. Dies werde bei der Ideologie, welche die
Schulleiter vertreten, in Frage gestellt.
Ein verlockendes Gesamtpaket
Ruoss
kann jedoch nachvollziehen, weshalb sich die Schulbehörde Wigoltingen auf zwei
Personen eingelassen hat, welche diese Art von Pädagogik vertreten.
«Schulpräsidentin Nathalie Wasserfallen hat zu Recht auf die geschwächte
Situation in der Schulgemeinde hingewiesen.» Das positiv klingende Gesamtpaket,
welches Fortschritt verspricht, sei wohl sehr verlockend gewesen. «Die Behörde
hat sich blenden lassen von den Versprechungen», sagt der Wigoltinger. Die
Behörde sei noch nicht lange im Amt und habe sicherlich zu schnell zugegriffen.
«Sie
hätte sich mehr Referenzen einholen und nachfragen sollen, das hätte ein
anderes Bild ergeben.» Nun stünden die Lehrer als Verweigerer und faul da, weil
sie sich gegen ein Lernkonzept wehren, das in einer Privatschule durchaus
funktionieren, jedoch nicht vorbehaltlos auf die öffentliche Schule übertragen
werden könne. Doch am «Schlamassel» der Schule Wigoltingen sei nicht nur die
Naivität der Behörde schuld.
Kritik am Departement
Ruoss
befürchtet auch, dass der Kanton zu wenig schnell reagiert und vielleicht auch
nicht gut genug hingeschaut hat. «Das müssen letztlich die Untersuchungen
zeigen, aber auch bei grosser Gemeindeautonomie hat das Schulinspektorat die
Möglichkeit, Weisungen zu erlassen.» Etwa eine Fachperson zur Unterstützung von
Schulpräsidentin Wasserfallen in der Krisensituation oder Weisungen im Umgang
mit Medien wären für ihn denkbare Möglichkeiten gewesen. Spätestens Anfang
April, so Ruoss, habe das Departement vom Konflikt über die Medien erfahren.
Dann hätte es unterstützend eingreifen müssen. «Das Departement für Erziehung
und Kultur hat zu lange zugeschaut und seine Pflicht nicht wahrgenommen.» Er
fordert deshalb, dass eine externe Kommission untersuche, ob das Departement
seine Aufsichtspflicht verletzte. Das sei ein happiger Vorwurf, doch die
Politik müsse sich mit dem Fall Wigoltingen auseinandersetzen. «Es ist nicht
ein Fall Hefenhofen, aber vergleichbar.» Das Departement für Erziehung und
Kultur, das Amt für Volksschule sowie die Schulbehörde Wigoltingen wollten sich
trotz Nachfrage derzeit nicht äussern.
In der NZZ vom Sonntag vom 8.6.2019 konnte man folgendes lesen: "Der ehemalige Schulpsychologe warnt davor, dass die öffentliche Schule übernommen werden könnte und verweist auf das Beispiel der Gemeinde Häggenschwil im Kanton St. Gallen, die ihre Oberstufe privatisierte. Weil die Schule 2010 vor der Schliessung stand, vertraute das Dorf die Führung der Sekundarschule einem privaten Anbieter an – jenem, zu dessen Netzwerk laut Ruoss die beiden Schulleiter in Wigoltingen gehören.
AntwortenLöschenGemäss der Homepage, der SBW Secundaria Hägenschwil AG, ist das obgenannte Netzwerk, das SBW Haus des Lernens, das vom umstrittenen Schulreformer Peter Fratton gegründet wurde https://www.sbw.edu/de/secundaria-haeggenschwil/home-portraet/index.html
Danke für den Hinweis auf Fratton. Dieser hat ja gemäss Michael Winterhoffs "Deutschland verdummt" viel Unheil angerichtet. Bekannt sind Frattons "vier pädagogische Urbitten". Gabrielle Warminski-Leitheusser (SPD) war Kultursministern in Baden-Württemberg. Sie machte den Realschullehrer zum offiziellen Berater und begann, das Schulsystem ihres Bundeslandes nach dessen Vorstellungen umzugestalten. Das vormalige Vorzeige-Bundesland verschlechterte sich in der darauffolgenden Zeit dramatisch im Ländervergleich. Legendär ist Frattons Antwort auf eine Frage in einer Landtagsanhörung: "Ich habe keine Ahnung, was dabei herauskommt. Aber schön falsch ist auch schön".
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