In den beiden Basel, Bern, Solothurn und Zürich
finden dieses Jahr am Gymnasium keine Maturaprüfungen statt. In den anderen Deutschschweizer
Kantonen schon. Ein Teil prüft nur schriftlich, Appenzell Innerrhoden nur mündlich.
An der Volksschule gibt es ein ähnliches Wirrwarr. Zürich und St.Gallen
unterrichten in Halbklassen, die meisten anderen Deutschschweizer Kantone
unterrichten ganze Klassen. Verantwortlich für diesen Flickenteppich sind die
kantonalen Bildungsminister. Ihnen misslang es, in der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) eine
einheitliche Lösung wenigstens für die Deutschschweiz zu finden.(Die Westschweiz
und das Tessin haben schon früh signalisiert, wegen des Virus auf ein
vorsichtiges Regime zu setzen.) Die Präsidentin der EDK, Silvia Steiner (CVP),
ist nun in ihrem Heimatkanton Zürich arg unter Beschuss geraten. «Die EDK hat unter
Führung unserer Bildungsdirektorin in den letzten Wochen versagt», heisst es in
einer Erklärung fast aller Parteien. SP, FDP, SVP, GLP und AL schreiben,
Steiner habe «vor dem überbordenden Eigensinn der kantonalen
ErziehungsdirektorInnen kapituliert».
Die Zielscheibe, BZ Basel, 7.5. von Pascal Ritter
Früher jagte sie Zuhälter und Dealer
Und noch
etwas sorgt für Kritik: EineTaskforce des Bundesempfahl in einem Bericht,
Klassen auf 15 Schüler zu beschränken. Diese Empfehlung setzten Steiner und der
Bildungsrat in Zürich um; die Information, die der EDK bekannt war, gelangte aber
offenbar nicht in alle Kantone. Das sorgte für Irritation. Für Steiner ist die
Bewältigung der Coronakrise der erste grosse Auftritt, auf Bühne der nationalen
Politik. Steiner übernahm das Bildungsdepartement in Zürich im April
2015. Seit 2017steht sie der EDK vor. Steiner
ist Juristin und machte bei der Polizei Karriere. Die heute 62-Jährige leitete die
Kriminalpolizeien von Zürich und Zug. Im Jahr 2005 kehrte sie als
Staatsanwältin in den Kanton Zürich zurück. Als die CVP-Frau für den
Regierungsrat kandidierte, schrieb der «Tages-Anzeiger» über sie: «Als Jägerin
von Zuhältern und Dealern ist sie spitze, als Politikerin aber bloss biederer Durchschnitt.»
Respekt verschaffte sie sich bei der Bewältigung
der Jegge-Affäre. Sie liess von einem Rechtsanwalt untersuchen, ob die Behörden
in den1970er Jahren versagt hatten, als der damals gefeierte Pädagoge Jürg Jegge
sich an seinen Schülern verging. Den Bericht präsentierte sie zusammen mit
einem der Missbrauchsopfer. Ihre Erfahrung als Strafverfolgerin dürfte ihr damals
geholfen haben. In der Bildungspolitik hatte sie hingegen kaum Erfahrung. Doch
auch ihre heutigen Kritiker attestieren ihr, sich schnell ins Dossier eingearbeitet
zu haben. Der Kontakt zu Schulleitern und Lehrern ist gut. Der Zürcher
Lehrerinnen- und Lehrerverband stellte sich denn auch vor die
Bildungsdirektorin und nahm sie vor der Kritik aus dem Parlament in Schutz.
Steiner sagt, sie hätte sich gewünscht, die Kantone hätten einheitliche
Lösungen für die Wiedereröffnung der Schulen gefunden. Warum ist es ihr nicht
gelungen? Die Ausgangslage war jedenfalls nicht einfach. Die
Bildungssysteme der Kantone unterscheiden sich auch
zu normalen Zeiten stark. Als neuer Faktor kam nun die unterschiedliche
Ausbreitung des Coronavirus hinzu. Nehmen wir als Beispiel die Gymnasien in den
Kantonen Genf und St.Gallen. In Genf schliesst jeder dritte Schüler das
Gymnasium ab, gleichzeitig leidet der Kanton stark unter dem Virus. Auf 10000
Einwohnerkommen knapp 100 Infizierte. In St.Gallen erreichen 15 Prozent der Schüler
die gymnasiale Matur, gleichzeitig verzeichnet der Kanton nur wenige Corona-Ansteckungen.
Auf 10000 Einwohnerkommen15 Ansteckungen. Silvia Steiners Zürich liegt da
irgendwo dazwischen. Zürich, Bern und Genf verbindet, dass sie bei einem Entscheid
für eine Maturaprüfung eine grosse Zahl an Schülern unter besonderen
Sicherheitsmassnahmen hätte prüfen müssen. Diese organisatorische
Herausforderung scheute man offenbar. Unter anderem deshalb dürfte Steiner in der
EDK für die Absage der Matura in der ganzen Schweiz geweibelt haben. Doch damit
waren Kantone mit wenigen Maturanden und wenigen Infizierten nicht einverstanden,
etwa in der Ostschweiz. Als unsolidarisch möchte dies die
Thurgauer Erziehungsdirektorin, Monika Knill
(SVP), aber nicht verstanden haben. «Die Kantone, welche die Maturaprüfung
durchführen, sind in der knappen Mehrheit. Man hätte also auch das Tessin und die
Romandie überstimmenkönnen.» Dies habe man aus Solidarität aber nicht getan.
Die Freigabe sei der Kompromiss.
Parlament nicht bei Entscheiden berücksichtigt
Die mangelnde Einheit der Kantone kann man Silvia Steiner kaum anlasten. Den
Fehler machte sie an anderer Stelle. Ihre Zürcher Regierungskollegen tauschten sich
während der Coronakrise mit der Geschäftsleitung des Kantonsrates aus–, Steiner
nicht. Die Parlamentarier fühlten sich übergangen. Im Gespräch mit Zürcher
Politikern wird denn auch klar, dass etwas anderes wichtiger ist als die
Enttäuschung über den kantonalen Flickenteppich: Zürich überlässt es den
Gemeinden, wie sie die familienergänzende Betreuung wieder hochfahren. Sie
müssen nun entscheiden, wer systemrelevant genug ist, um einen Krippenplatz zu bekommen.
Es geht im Kern um den Flickenteppich in den Gemeinden, nicht in den Kantonen.
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