15. April 2020

Neue Reform – gleiches Muster


Nie verkaufen sich Schulreformen so einfach wie in zumindest scheinbar schwierigen Zeiten. Orientierungslose Bildungswissenschaftler glauben dann noch mehr an revolutionäre Heilsbotschaften. So geschehen beim inszenierten PISA-Schock. Jenes herbeigeredete Bildungsdesaster warf hohe Wellen, suggerierte Bedürfnisse nach Neuem und warf Bewährtes mir nichts, dir nichts über Bord. So wurde 2004 in sechs Kantonen unter dem Deckmantel von Harmos beschlossen, den Fremdsprachenunterricht an der Volksschule „von Grund auf zu erneuern“
Szenenwechsel. März 2020: Mit Corona ist eine weltweite Krise über uns gekommen. Sie gibt einer anderen revolutionären Heilsbotschaft Aufschwung. Vor lauter Panik, man könnte im digitalen Sektor abgehängt werden, überbieten sich Kantone und Länder in Aktionismus, als ob es kein Morgen gäbe.

Doch die Digitalisierung des Unterrichts wurde von langer Hand am Schreibtisch vorbereitet, ohne Einbezug der Bedürfnisse von Lernenden und Lehrpersonen. Wie nach dem PISA-Schock wird erneut top-down definiert, wie die Schule von morgen auszusehen habe. Die digitale Maschinerie birgt neben unbestrittenen Vorteilen auch viele Risiken und Nachteile, die natürlich nicht zur Debatte stehen sollen. Schliesslich ist man euphorisiert im digitalen Flow der vermeintlichen technischen Möglichkeiten. Doch wie soll die Zukunft der Schule aussehen? Darauf weiss einzig und allein die IT-Branche die Antwort, zwar nicht die beste für die Schule, aber die beste für die Branche.

Man erinnere sich an Passepartout: Kritiker wurden von Beginn an belächelt und als rückständig hingestellt. Studien, die dem Konzept ein schlechtes Zeugnis ausstellten, wurden systematisch ignoriert. Millionen versandeten in überteuerten Weiterbildungen, nach dem Motto: Was viel kostet, muss erstens gut sein und darf zweitens nicht scheitern. Schliesslich will niemand für verpulverte Steuergelder geradestehen. Dass die meisten Lehrpersonen Passepartout skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, wurde mit dem Argument beiseite gewischt, dass die Staatsdiener Geduld bräuchten, sie würden sich schon noch mit dem Konzept anfreunden. Wer das nicht konnte, dem wurde stinkfrech die Lehrbefähigung abgesprochen.

Passepartout, die Sternstunde des modernen Fremdsprachenunterrichts, war eine «heilige Kuh», und entzog sich folglich jeglicher Kritik. Es dauerte rund acht Jahre, bis der ideologische Irrsinn gestoppt werden konnte. Die Umfragewerte unter den Lehrpersonen waren unterirdisch, die Leistungen der Lernenden ebenso. Zuletzt sprach sich das Baselbieter Stimmvolk im November 2019 mittels einer geleiteten Lehrmittelfreiheit überdeutlich für den Übungsabbruch aus. Wie lange wird es dauern, bis die ernüchternde Erkenntnis einkehrt, dass sich mit der Heilsbotschaft «Digitalisierung» dieselben Fehler wie bei Passepartout wiederholen? Hurraschreiend werden Millionen für Hard- und Software ausgegeben, um den zwischenmenschlichen Austausch im Schulzimmer mit dem Bildschirm zu ersetzen. Dem neoliberalen Diktat folgend könnten mit einer Institutionalisierung der virtuellen Welt Personalkosten eingespart werden.
Die Digitalisierung durch Computerfreaks ist der Schule nicht förderlich, da sie den intensiven persönlichen, unmittelbaren Austausch im Schulzimmer deutlich einschränkt. Gerade zurzeit zeigt sich dies aufgrund der Corona-Krise und Homeoffice erzwungenermassen in ausgeprägter Form: Die Jugendlichen sitzen stundenlang alleine vor ihren Bildschirmen und wünschen sich den direkten Kontakt zu ihren Mitschüler/-innen und Lehrpersonen zurück.

Wird der Unterricht auch nach der Corona-Krise verstärkt digitalisiert durchgeführt, hätten nicht nur leistungsschwächere Schüler/-innen einen Nachteil. Eltern müssten einspringen, was weder pädagogisch sinnvoll noch ihre Aufgabe wäre. Lernen würde zunehmend zu einer Selbstisolation vor dem Bildschirm enden. Die Umschreibung des Menschen als Homo oeconomicus wird dessen Natur genauso wenig gerecht wie die des Homo digitalis. Der Mensch ist in erster Linie ein soziales Wesen und Unterrichten ist ganz wesentlich auch Beziehungsarbeit.


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