25. April 2020

Kein Social Distancing für Primarschüler


Am 11. Mai öffnen die Volksschulen wieder. Das hat der Bundesrat entschieden. Die Kantone haben in der Gestaltung des Schulunterrichts volle Freiheit, sollen sich aber an die Schutzmassnahmen des Bundesamts für Gesundheit halten. Das BAG hat nun zuhanden der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) ein Schutzkonzept für den Präsenzunterricht ausgearbeitet und am Mittwoch finalisiert. Seit Donnerstag liegt das knapp vier Seiten lange Papier bei den Kantonen – und sorgt in einzelnen Punkten für Irritation.
Primarlehrer müssen Distanz halten, ihre Schüler nicht, Basler Zeitung online, 24.4. von Philippe Reichen 

Das BAG will die Gestaltung des Schulunterrichts dem Alter der Kinder anpassen. Am einfachsten ist die Situation in den Primarschulen. Für Kinder bis 10 Jahren schlägt das BAG vor, dass die Erwachsenen untereinander stets einen Abstand von zwei Metern einhalten. Auch zwischen Lehrern und Schülern soll es den Sicherheitsabstand geben, nicht aber zwischen den Schülern. Den Grund für diese Empfehlung hat Daniel Koch, BAG-Delegierter für das Covid-19, am Mittwoch an der Medienkonferenz des Bundesrats skizziert. Gemäss Koch können Erwachsene das Virus Kindern weitergeben, aber kleine Kinder übertragen es nicht auf Erwachsene. Darum heisst es im BAG-Konzept: Kleine Kinder seien keine «Vektoren», weil sie in 99 Prozent der Fälle asymptomatisch seien, also die coronaüblichen Symptome gar nicht erst bekämen. Schutzmasken müssen Lehrer im Schulzimmer im Übrigen nicht tragen.

Was die Bildungsverantwortlichen in den Kantonen am BAG-Schutzkonzept irrtiert: Beim Sicherheitsabstand für Schüler ab 10 Jahren verwendet das BAG die Kann-Formulierung. Es soll den Kantonen überlassen sein, ob sie Schüler im Sicherheitsabstand platzieren. Tun sie es, könnte dies auf das Modell des Halbklassenunterrichts hinauslaufen. Die Kantone sind generell frei, über die BAG-Empfehlungen hinaus Präventivmassnahmen zu treffen.

Die EDK muss nun rasch Stellung beziehen. Gemäss Recherchen dieser Zeitung hat der EDK-Vorstand den Entwurf des Schutzkonzepts zwar gutgeheissen, aber punktuell Kritik geübt. Wegen der Freiwilligkeit beim Sicherheitsabstand für über 10-Jährige wird die EDK vom BAG am Montag Klarheit fordern. Bereits am Mittwoch soll der Bundesrat das BAG-Schutzkonzept offiziell präsentieren.

Rückkehr zum Ganzklassenunterricht
Roland Inauen, regierender Landammann und Bildungsdirektor von Appenzell Innerrhoden, sagt: «Seit Karfreitag ist in Innerrhoden lediglich ein neuer Corona-Fall aufgetreten. Das bestärkt uns in unserem Wunsch, die Schulen raschestmöglich wieder zu eröffnen.» Er verstehe das BAG-Konzept so, dass man die Primarschulen, wie vor dem Lockdown, im Ganzklassenunterricht weiterführt, «unter Beachtung der nötigen Schutzmassnahmen für besonders gefährdete Personen und unter Einhaltung der Hygienevorschriften». Kritischer sei die Sache bei der Oberstufe und beim Gymnasium, so Inauen.

Anders ist die Stimmung in der Westschweiz, die das Coronavirus ungleich stärker traf. Die Waadtländer Bildungsdirektorin Cesla Amarelle fordert, dass sich das BAG präzise zum notwendigen Gesundheitsschutz im Schulbetrieb äussert. Zum Beispiel sei unklar, wie, wie oft und mit welchen Substanzen man sich in den Schulen die Hände waschen müsse. Ob man auch bei den Eltern der Kinder auf Risikokrankheiten achten müsse, ist aus Amarelles Sicht ebenfalls nicht geklärt. Unklar sei zudem, welche Regeln für schulische Tagesstrukturen gälten, so Amarelle.

Sowohl Amarelle in der Waadt als auch Inauen in Appenzell Innerrhoden befürchten, dass einzelne Eltern sich weigern werden, ihre Kinder zurück in die Schule zu schicken. Inauen sagt, beim Büssen sollte man sehr zurückhaltend sein. Amarelle wünscht sich, dass der Bund in Abstimmung mit den Kantonen Verantwortung übernimmt und einheitliche Regeln vorschlägt.

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