In den
Kantonen Waadt, Genf oder Neuenburg gibt es heftige Kritik an der Wiedereröffnung
der obligatorischen Schulen. Die Kritik zielt auch auf den Bundesrat, der die
Wiedereröffnung per 11. Mai angeordnet hat. Lehrer, Eltern und Ärzte befürchten,
dass in der Romandie die Corona-Infektionen mit einer Wiederaufnahme des
Schulbetriebs erneut zunehmen.
Schulöffnungen: Kantone wollen die Macht, Basler Zeitung, 24.4. von Philippe Reichen und Luca DeCarli
Der Waadtländer Lehrerverband teilte der
Kantonsregierung am 16. April in einem offenen Brief mit, er lehne einen
Präsenzunterricht bis auf weiteres ab. Es sei offensichtlich, dass der
Bundesrat seinen Beschluss vor allem aufgrund wirtschaftlicher Interessen
gefällt habe. Die Waadtländer Regierung solle in Bern intervenieren.
Doch eine
Intervention der Waadt in Bern ist gar nicht nötig, zumindest aus Sicht der
Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Die EDK kommt
nämlich zum Schluss, dass die Kantone und nicht der Bund entscheiden, ob und wie
sie den Schulbetrieb wieder hochfahren. EDK-Sprecher Stefan Kunfermann sagt:
«Die Art und Weise, wie die Kantone die Rückkehr zum Präsenzunterricht gestalten,
entscheiden diese eigenständig.» Hebe der Bundesrat das am 13. März 2020
erlassene Verbot für alle Präsenzveranstaltungen wieder auf, gehe die Kompetenz
über die Schulorganisation wieder an die Kantone zurück, so Kunfermann. Haben
die Kantone in dieser Sache tatsächlich die alleinige Macht? Innenminister
Alain Berset wich der Frage an der gestrigen Medienkonferenz des Bundesrat aus.
Seiner Meinung nach ist die Rechtslage unklar. Berset betonte aber, auch die
EDK sehe, «dass die Schulen nicht unbeschränkt geschlossen bleiben sollen».
Die
Waadtländer Bildungsdirektorin Cesla Amarelle kündigte Anfang Woche an, die Schulen
trotz Widerstand aus der Lehrerschaft am 11. Mai wieder zu öffnen. «Auch wir wollen,
dass die Schüler nicht zu viel verpassen», sagte Amarelle im Schweizer Fernsehen.
Es komme aber auf die Gestaltung der Schutzmassnahmen für den Schulbetrieb an, die
Alain Berset am 29. April den Kantonen präsentiere, sagte Amarelle gestern auf Anfrage.
Die Diskussionen zwischen Berset und der EDK über das Schutzkonzept sind intensiv.
Die Konferenz der Erziehungsdirektoren der lateinischen Schweiz betonte zwar jüngst,
sich für «ein möglichst einheitliches Vorgehen der Kantone bei der Wiedereröffnung
von Schulen» einzusetzen. Sie schliesst Alleingänge aber nicht aus.
Grosse Untersicherheit
Die
Aussicht, dass jeder Kanton die Schulöffnung anders handhabt, passt den
nationalen Verbänden der Lehrer und Schulleiter gar nicht. Beide haben gerade
erst in Mitteilungen ein schweizweit einheitliches Vorgehen gefordert. «Wenn es
Unterschiede zwischen den Kantonen gibt, schafft das Unsicherheit bei Lehrern und
Eltern», betont Dagmar Rösler, Präsidentin des Lehrerverbandes. Der
Schulleiter- und der Lehrerverband unterstützen die Öffnung ab dem 11. Mai weiterhin.
Bis dahin müssten aber noch viele offene Fragen geklärt werden, sagt Rösler.
«Wir brauchen
vom Bundesrat oder der Erziehungsdirektorenkonferenz klare nationale Vorgaben dazu,
wie wir ab dem11. Mai unterrichten können und welche Hygienemassnahmen dann
vorhanden sein müssen.» Anders als in der Westschweiz gibt es gemäss Rösler
unter der Deutschschweizer Lehrerschaft keinen grundsätzlichen Widerstand.
«Aber es gibt auch in der Deutschschweiz Lehrer, die sich Sorgen machen. » Es
gebe auch unter Lehrern und Kindern Risikopersonen. «Deshalb müssen wir klären,
wie wir mit diesen Gruppen umgehen sollen.»
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