Der
Trend zur frühen Einschulung hat Folgen: Lehrlinge und Studenten sind nicht
bereit für ihren neuen Lebensabschnitt. Und die Jugendlichen kommen künftig
noch jünger aus der Schule.
Unreife Lehrlinge belasten Firmen, Schweiz am Wochenende, 11.11. von Yannick Nock
Es ist
nur wenige Wochen her, dass über 80000 Lehrlinge ins Berufsleben gestartet
sind. Egal ob sie Tierpfleger, Koch oder KV-Angestellter werden wollten, bei
manchen ist dieser Traum vorbei, bevor er begonnen hat. Einige hundert
Lehrlinge haben ihre Ausbildung bereist abgebrochen. Die jüngsten Statistiken
zeigen, dass 70 Prozent der Lehrvertragsauflösungen im ersten Jahr stattfinden,
viele mittlerweile schon während oder kurz nach der Probezeit. Ein Grund für
die steigende Zahl der Abbrüche ist das Alter der Jugendlichen. Die Lehrlinge
sind heute um einige Monate jünger als noch vor 10 bis 15 Jahren. In vielen
Kantonen wurde der Stichtag der Einschulung Jahr für Jahr ein wenig nach vorne
geschoben. Schulen wollten so Kinder mit emotionalen, sprachlichen oder
motorischen Schwierigkeiten möglichst früh erkennen und auffangen. Gleichzeitig
konnte es vielen Eltern nicht schnell genug gehen. Schliesslich sollte der
Nachwuchs bestmöglich gefördert werden, damit ihm später alle Türen
offenstehen.
Doch
was im Trend zur Früheinschulung vergessen ging, sind die Spätfolgen. Ob ein
Lehrling mit 15 oder 16 Jahren die Ausbildung beginnt, kann einen grossen Unterschied
machen. «Manche Jugendliche sind noch nicht reif für eine Lehre», sagt Margrit
Stamm, Erziehungswissenschafterin an der Universität Freiburg. «Die heutige
Generation wird später erwachsen als früher», sagt sie, «25 ist das neue 18».
Das liegt auch an den Eltern. «Buben werden wie kleine Könige, Mädchen wie
kleine Prinzessinnen behandelt», sagt Stamm. Das Ergebnis: «Viele tun sich
schwer, das erste Mal einem Chef oder einer Chefin unterstellt zu sein.»
Kichern statt lernen
Hinzu
kommt, dass Kinder bis ins Erwachsenenalter bei ihren Eltern leben,
selbstständig werden sie erst später. Folgen dieser Entwicklung erkennt Stamm
selbst noch in höherem Alter, bei ihren Erstsemestrigen an der Universität.
«Einige kichern im Hörsaal mehr, als dass sie aufpassen», sagt sie. Dabei sind
die jüngsten Studierenden schon volljährig. Bei der Berufsbildung kommt neben
dem Alter von 15 Jahren hinzu, dass Jugendliche heute mehr Optionen haben als
früher. «Sie legen sich nur ungern fest, der Berufswunsch bleibt diffus», sagt
Margrit Stamm.
Der
Lehrstellenüberfluss tut sein Übriges. Waren früher Lehrstellen Mangelware, ist
seit einigen Jahren das Gegenteil der Fall. Im Sommer blieben wieder 7000
Ausbildungsplätze frei. Wer unzufrieden ist und andere Möglichkeiten hat, löst
seinen Lehrvertrag öfter auf. «Lernende geben heute schneller auf und sind
weniger bereit, unangenehme Arbeiten durchzuhalten», sagt Theo Ninck, Präsident
der Schweizerischen Berufsbildungsämter. Doch er nimmt auch die Betriebe in die
Pflicht. Firmen mit einer guten Unternehmenskultur und mit einer sorgfältigen
Selektion würden weniger Probleme haben. «Es wäre falsch, die Fehler nur bei
den Jugendlichen zu suchen.»
14-Jährige, die Arbeiten gehen
Einige
Branchen sind stärker von Abbrüchen betroffen. Im Verkauf, bei den Coiffeuren,
den Köchen oder auf dem Bau werden Lehrverträge häufiger aufgelöst als im KV.
Gemäss Zahlen des Bundes bricht jeder Vierte seine Ausbildung ab, das sind
20000 Jugendliche pro Jahr. Die meisten finden eine Anschlusslösung. Kosten
verursachen die Abbrüche trotzdem: Bis zu 200 Millionen Franken sind es
jährlich.
Weil
der Stichtag für den Kindergarteneintritt zuletzt nochmals nach vorne
verschoben wurde, dürfte sich der Effekt in den meisten Kantonen noch
verstärken. Doch ewig lässt sich die Spirale nicht drehen. Im Kanton Luzern
werden die Kinder seit einem Jahr wieder drei Monate später eingeschult. Grund
waren unerwartete Probleme beim Lehrbeginn: Die Schulabgänger waren mit 14
Jahren schlicht zu jung. Jugendliche dürfen offiziell erst im Alter von 15
arbeiten. Der Kanton musste 83 Sonderbewilligungen ausstellen, damit die
Lehrlinge mit ihrer Ausbildung beginnen konnten. Das soll in Luzern künftig
nicht mehr nötig sein. Auf andere Kantone dürfte die Altersdebatte aber erst
noch zukommen.
Die mit Harmos verbundene frühere Einschulung führt zu jüngeren Lehrlingen. Bei den kantonalen Harmos-Abstimmungen wurde auf dieses Problem hingewiesen.
AntwortenLöschenGuter Artikel! Dieser Artikel basiert auf Prüfungsvorbereitung.
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