24. Januar 2020

"Hausaufgaben abschaffen ist nicht der richtige Weg"


Die 1. bis 6. Klässler des Primarschulhauses Feldli-Schoren in St.Gallen haben seit letztem Sommer keine Hausaufgaben mehr. Anstatt der Aufgaben für zu Hause hat das Schulhaus die Lernzeit eingeführt. Diese wird viermal in der Woche 15 bis 30 Minuten lang durchgeführt. Die Lehrer stellen den Kindern Aufgaben aktueller Themen zusammen und übernehmen eine Coachingfunktion. Die Schüler entscheiden aber selber, woran sie arbeiten möchten. Damit will die Schule unter anderem die Chancengleichheit für die Schülerinnen und Schüler erhöhen.
Bernhard Hauser ist Dozent an der PH St. Gallen, Bild: PHSG
"Hausaufgaben haben eine wichtige Funktion", FM1, 24.1. von Krisztina Scherrer


Bernhard Hauser, Wie finden Sie das Experiment der Primarschule Feldli-Schoren?
Bernhard Hauser, Dozent Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen: Ich finde es gut, dass man über Hausaufgaben nachdenkt. Die Hausaufgaben selber aber haben eine Funktion: Einerseits sind das starke Übungszeiten, in der Kinder sozusagen Sachen auswendig lernen, die wichtig auswendig zu lernen sind. Andererseits haben sie auch die Funktion, dass die Kinder in der Selbstregulation zulegen.

Was heisst Selbstregulation?
Sich selber regulieren, heisst, zwischendurch etwas zu machen, obwohl man lieber etwas anderes machen würde. Die Selbstregulation ist eine dieser Fähigkeiten, die am wichtigsten für den Schulerfolg und beruflichen Erfolg sind. Da haben die Hausaufgaben eine wichtige Funktion, weil Kinder das in diesem Zusammenhang erlernen können.

Ist die Lernzeit keine gute Alternative zur Hausaufgabe?
Ich befürworte nicht, dass man die Hausaufgaben abschafft und in eine reine Übungs- und Lernzeit umwandelt. Es braucht das Element, das Ringen mit den Erwachsenen – den Lehrerinnen und Lehrern und vor allem mit den Eltern. «Gehe ich zuerst Fussball spielen oder muss ich zuerst Hausaufgaben machen...», es ist ein Bestandteil davon, ob man in einer späteren oder weiteren Ausbildung Erfolg hat. 

Die Primarschule Feldli-Schoren möchte den Schülerinnen und Schülern mit der Lernzeit auch mehr Chancengleichheit ermöglichen...
Eltern von eher bildungsfernen Kindern oder Familien die unsere Kultur nicht kennen, sind im Nachteil. Vor allem wenn sie die Sprache nicht können. Die Lernzeit könnte man so nutzen, dass die Kinder, die zu Hause keine Unterstützung erhalten, dort eine für die Hausaufgaben erhalten. Die Hausaufgaben abschaffen und durch etwas anderes ersetzen, glaube ich, ist im Hinblick, dass die Kinder mit zunehmendem Alter auch in der Lage sein müssen, sich zu steuern und zu regulieren, nicht der richtige Weg.

Ihre Idee wäre also eine Art Hausaufgabenhilfe?
Die Idee wäre, dass die Kinder in der Schule unterstützt werden. Dass es genug Lehrpersonen oder Hausaufgabenhilfen gibt, die immer nach der Schule etwa eine halbe Stunde für die Schüler da sind. 

Viele Gemeinden haben doch schon eine Hausaufgabenhilfe?
In vielen Gemeinden ist es aber nicht so eingerichtet, dass die Kinder jeden Tag eine Unterstützung erhalten. 

Der berühmte Kinderarzt und Buchautor Remo Largo plädiert seit Jahren für die Abschaffung der Hausaufgaben. Die Lehrer und Kinder würden nur schikaniert. Was sagen Sie dazu?
Diese Aussage halte ich für kurios. Es ist ein Teil vom Leben, dass man verschiedene Aufgaben bewältigen muss. Man kann auch als Erwachsener aufzählen, mit was man alles schikaniert wird. Man muss den Weg in das Erwachsenenleben lernen. Die Jugendlichen sind sonst zu wenig robust, zu wenig in der Lage, Drucksituationen auszuhalten und dann ist der Gesellschaft nicht gedient.

Geht mit dem Streichen der Hausaufgaben nicht eine gewisse Kommunikation zwischen Eltern und Schule verloren?
Hausaufgaben waren ja noch nie das Hauptmedium, um mit den Eltern zu kommunizieren. Das Hauptmedium sind Gespräche, Begegnungen oder Elternabende. Aber die Hausaufgaben sind ein täglicher Begegnungsort zwischen Schule und Familien. Es ist, finde ich, ein wichtiger Teil, um die Kinder gemeinsam zu unterstützen.

Ist die Hausaufgabe ein wichtiger Bestandteil der Chancenfairness?
Man hat die Idee, dass alle gleich viel Zeit in das ausserschulische Lernen, da gehören auch die Hausaufgaben dazu, investieren. Aber damit die Chancenfairness herzustellen, ist eine naive Idee. Bildungsnahe Eltern bieten ihren Kindern vieles andere an: Sie lesen miteinander, gehen in Museen oder beobachten die Natur. Mit den Hausaufgaben reduziert man die Chancenfairness nicht. Denn bildungsnähere Familien fragen ihre Kinder «Was hast du in der Schule gemacht?» Wenn sie merken, dass die Kinder einen Rückstand haben, üben sie zu Hause. Es wird die Unterschiede wahrscheinlich möglicherweise noch akzentuieren und nicht reduzieren. Aber das müsste man sehr genau untersuchen, um diese Behauptungen zu belegen. Bis jetzt gibt es das von mir aus gesehen nicht. Das Risiko besteht sogar, dass die Schule eine Spur weniger leistungsfähig wird. Ich wäre sehr skeptisch gegenüber der Hausaufgabenabschaffung.


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