Der Kanton Solothurn kennt ein Modell, das längst
nicht mehr andere Kantone der Schweiz besitzen: Den Landeskirchen steht pro
Woche an den Schulen eine Religionslektion zur Verfügung. Gleichzeitig
verzeichnet man im Kanton schweizweit die zweithöchste Anzahl Kirchenaustritte.
Ein vorweihnachtliches Gespräch über Herausforderungen - und Chancen.
Mehr Konfessionslose, weniger Religionsschüler: Diese Pädagogen sehen im Wandel auch Chance, Solothurner Zeitung, 22.12. von Noëlle Karpf
Es weihnachtet. In den Geschäften, in den Gassen –
und bis gestern auch in den Schulen im Kanton Solothurn, wo heute die
Weihnachtsferien begonnen haben. Wobei der Advent an Schulen im Kanton gleich
doppelt Thema ist: Einerseits im regulären Unterricht, wo gesungen und
gebastelt wird. Andererseits auch im Religionsunterricht, der im Kanton noch
immer von den Landeskirchen organisiert wird – die Kirchgemeinden stellen für
die eine Religionslektion in der Woche eine von der Fachstelle ausgebildete
Religionslehrperson.
Das ist heute längst nicht mehr in allen Kantonen
so, weiss Birgitta Aicher, 54, wohnhaft in Solothurn. Sie ist eine der
Leiterinnen der kantonalen Fachstelle für Religionspädagogik, zuständig im
römisch-katholischen Bereich. Und: «Das ist ein enormer Vertrauensbeweis für
die Landeskirchen», so Fabian Perlini, 42, aus Stauffen, ebenfalls bei der
Fachstelle tätig. Er leitet im Co-Präsidium den reformierten Zweig. Zudem sorge
es für hohe Qualität, wenn eine aussenstehende Fachperson einmal die Woche in
die Schule kommt und Religion unterrichtet – und das Fach nicht von einer
Volksschullehrperson, die mit Promotionsfächern genug zu tun hat, im Rahmen des
Lehrplans 21 auch noch irgendwie unterrichtet werden muss.
Ein weiterer Pluspunkt im kantonalen System: die
Ausbildung. Hier wird nämlich für ökumenischen, konfessionsübergreifenden
Unterricht ausgebildet. Der Ausbildungsstandort Olten ist mit dem Zug gut zu
erreichen, was auch angehende Fachlehrpersonen aus anderen Kantonen anzieht. 10
Religionslehrpersonen schlossen diesen Herbst ab, 8 müssen es mindestens sein,
damit die Ausbildung der Fachstelle rentiert.
Trotz dieser Standort- und Systemvorteile: Auch der
Kanton Solothurn – gerade der Kanton Solothurn – spürt gesellschaftliche Veränderungen.
Nach Basel-Stadt hat man schweizweit die meisten
Kirchenaustritte.
Mehr Konfessionslose, weniger Religionsschüler
So ist es im Kanton je nach Kirchgemeinde auch
schwierig, eine Stelle zu besetzen. Auch weil bei einer Lektion pro Schule und
Woche ein Vollzeitpensum als Religionslehrperson kaum möglich ist. Gleichzeitig
sind die Klassen – wieder je nach Kirchgemeinde – ganz unterschiedlich
zusammengesetzt. Zwar sitzen im Solothurner ökumenischen Unterricht Katholiken,
Reformierte und Konfessionslose theoretisch in einer Klasse – je nachdem, wie
es die Eltern mit der Religion haben, können sie die Kinder aber dispensieren.
Und wenn in einer Gemeinde viele Anhänger einer Freikirche oder einer anderen
Gemeinschaft wohnen, kann die Anzahl Schüler schnell auf eine Handvoll
schrumpfen. Sinkende Schülerzahlen, Kirchenaustritte, das ist Realität, sehen
Perlini und Aicher.
Gleichzeitig sehen sie in diesem gesellschaftlichen
Wandel auch eine Chance. So sagt Perlini, Religionslehrpersonen müssen
tatsächlich sehr flexibel sein – sie haben aber auch grosse Freiheiten. Je nach
Klassenzusammensetzung sitzen Kinder aus konservativen und progressiven
gläubigen Familien und Kinder aus Familien, bei denen Religion zu Hause nicht
gross Thema ist, zusammen im Schulzimmer. Es gibt Platz für unterschiedliche
Themen, Geschichten und kritische Fragen, wie Perlini betont. Am Schluss
verfolgt der Unterricht nicht das Ziel, für die Konfession oder Firmung
vorbereitet zu sein. So heisst es im ökumenischen Lehrplan etwa auch ganz
allgemein: «Ein christliches Welt-, Menschen- und Gottesbild entwickeln.»
Eine Art «Sabbat» sei der Religionsunterricht,
findet Aicher. Der Unterricht sei zweckfrei. Im Unterricht stehen Fragen wie
«Wer bin ich? Wer bist Du?». «Die Bibel ist ein Schatz an Themen, auf die wir
zurückgreifen können.» Etwa auch Themen, die aktuell immer wichtiger werden,
wie die Natur, die Harmonie zwischen den Menschen. Dieses Bedürfnis nach
solchen Themen, nach Spiritualität ist da, ist Aicher überzeugt. «Das zeigen
doch – gerade zur Weihnachtszeit – all die Kerzen in der Solothurner
Verenaschlucht, oder in der St. Ursen-Kathedrale.»
Und gerade zur Weihnachtszeit geht es im Unterricht
auch um Symbole. Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels habe eine Fachperson
der Religion immer mehr auch einen Auftrag zum «Übersetzen», wie Perlini
erklärt und anschaulich schildert: «Das Jesuskind – das Höchste – liegt in der
Krippe. Die Krippe, das ist nichts Herziges!.» «Und wer erfährt als Erstes von
der Frohen Botschaft? Die Hirten! Damals gesellschaftlicher Abschaum in
Israel!» Und gerade zu Weihnachten seien ja auch Kirchen wieder besser besetzt,
werde vermehrt über das Thema Harmonie oder die Kernbotschaft des Christentums
– «die Liebe» – nachgedacht. Mit einem Schmunzeln fügt Aicher an: «Bei
Weihnachten wissen die meisten ja am ehesten noch, um was es geht. Fragen Sie
mal nach Ostern!»
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