Wer schweigt, schadet der Volksschule, 6.11. von Hanspeter Amstutz
Doch
das reichte noch nicht. Da die Frage des frühen Lernens zweier Fremdsprachen zu
einem Politikum geworden war, wurden auch den Eltern das Blaue vom Himmel
herunter versprochen. Die meisten Bildungspolitiker liessen sich noch so gerne
blenden und setzten ganz auf die Karte des vermeintlichen Fortschritts. Wer es
als Lehrer in dieser Situation wagte, die ehrgeizigen Bildungsziele zu
hinterfragen, musste mit böser Kritik rechnen.
Und nun
das: Die jüngsten Studien zeigen, wie miserabel es um die Französischkenntnisse
steht. Nur wenige Primarschüler sind überhaupt imstand, am Ende der Mittelstufe
eine einfache Konversation in der zweiten Fremdsprache zu führen. Doch das
schwache Abschneiden umfasst nicht nur den Fremdsprachenbereich. Auch die
Grundkenntnisse vieler Schüler in der Mathematik, wo ebenfalls neue didaktische
Wege beschritten wurden, sind völlig ungenügend. Dies hat die lange
zurückgehaltene nationale Erhebung zur Ermittlung der mathematischen
Kompetenzen in der Volksschule mit überraschender Deutlichkeit gezeigt.
Eigentlich
hätten die alarmierenden Resultate ein bildungspolitisches Erdbeben auslösen
müssen. Zweifellos waren manche Wissenschafter über die Ergebnisse erschrocken,
denn sie hatten wirklich mehr erhofft. Doch einer offenen Diskussion über die
eingeschlagenen Reformen stellten sich nur wenige. Noch peinlicher war das
Verhalten führender Bildungspolitiker. Sie versuchten, die Ergebnisse zuerst
totzuschweigen und später schönzureden. Die einzigen, die in grosser Zahl jetzt
auf die Barrikaden stiegen, waren Lehrpersonen. Viele waren erbost, dass man
ihre begründeten Bedenken stets als fehlenden Reformwillen interpretiert hatte.
Unsere
Volksschule braucht dringend eine offenere Reformkultur. Das beginnt schon in
der Konzeptionsphase grosser Neuerungen. Diese dürfen nicht mit einem
Tunnelblick auf ein einzelnes Fach oder auf eine Spitzengruppe von Begabten
konzipiert werden. Mögliche Nebenwirkungen müssen bedacht und in Erprobungen
sorgfältig abgeklärt werden. Dabei gilt es, den anspruchsvollen Dialog zwischen
Wissenschaftern und Schulpraktikern wirklich auf Augenhöhe zu führen. Manche
Fehlentwicklung könnte so vermieden werden.
Ist es
unverschämt zu fordern, dass gemachte Fehler endlich korrigiert und nicht
länger verschwiegen werden? Immer mehr Millionen von Franken in Projekte zu
stecken, die nicht vom Fleck kommen und nachweislich grossen Schaden hinterlassen,
entspricht nicht einem rationalen politischen Handeln. Die Dauerbaustellen sind
bestens bekannt, sie reichen von falschen Sprachkonzepten bis zum zermürbenden
Einsatz der Heilpädagoginnen beim integrativen Schulmodell.
Doch
auch die Lehrerschaft ist gefordert und muss aus der Deckung der brav
Ausführenden herauskommen. Aufgrund der Erfahrungen mit gescheiterten
Schönwetter-Konzepten und zunehmenden bürokratischen Abläufen ist jede
Lehrperson berechtigt, die Praxistauglichkeit von Neuerungen ins Zentrum der
Überlegungen zu stellen. Duckmäusertum ist total fehl am Platz, wenn Konzepte sich
als unbrauchbar erweisen. Auch die Lehrerverbände sind in der Pflicht, nicht
länger zu schweigen. Wie Carl Bossard schreibt, geht es ja nicht um Waren, die
Schaden nehmen, sondern um Kinder. Die Zeit ist reif, um die bequeme Gewohnheit
des mutlosen Schweigens zu durchbrechen.
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