Kinder aus bildungsnahen Familien schaffen häufiger den Sprung in die
Sekundarschüler oder das Untergymnasium. Kinder aus bildungsfernen Familien
landen hingegen oft in der Realschule. Nicht immer erfolgt die Einteilung wegen
der erbrachten Leistungen, sondern wegen Vorurteilen. So hat eine Pisa-Studie ergeben, dass Mädchen mit gleicher Leistung
entsprechend ihrer sozialen Herkunft eher in Sek oder Real kommen. Zudem haben
es Kinder mit Migrationshintergrund schwerer, in die Sekundarschule oder das
Gymnasium eingeteilt zu werden.
"Es gelingt der Schule noch nicht, alle gleich zu behandeln": Chancengleichheit ist eine Utopie, St. Galler Tagblatt, 20.11. von Christoph Renn
Diese Fakten hat Judith Pekarek, Studienbereichsleiterin
Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen, an der
Erfreulichen Universität im Palace am Dienstagabend präsentiert. Ihr Fazit zur
Chancengleichheit in der Stadt fällt entsprechend kritisch aus:
«Es gelingt der Schule noch nicht, alle gleich zu
behandeln.»
Deshalb müsse die Verbesserung bedarfsgerechter Förderung weiter das
Ziel sein, sagt sie.
Die beiden Teilnehmer an der anschliessenden Podiumsdiskussion haben
nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. «Es ist überraschend, dass die soziale
Herkunft immer noch eine so grosse Rolle spielt», sagt Andreas Hobi, Lehrer im
Schulhaus Schönenwegen und Stadtparlamentarier (Grüne).
Hanspeter Krüsi, ehemaliger Schulleiter des Schulhauses Heimat-Buchwald
und Leiter der Akademie des FC St.Gallen, zeigt sich im Palace gar geschockt,
dass Kinder mit gleicher Leistung noch immer in verschiedene Stufen, also
Sekundar- oder Realschule und das Untergymnasium, eingestuft werden.
Beruf der Eltern hat Wirkung auf
Lehrpersonen
Andreas Hobi beschäftigt vor allem, dass Lehrpersonen bei den
Übergangsgesprächen von der Herkunft und dem Beruf der Eltern unbewusst
beeinflusst werden. So gibt er zu, dass er mit einem Bankangestellten aus der
Schweiz anders spreche als mit einem Hilfsarbeiter aus dem Kosovo. «Das ist bei
vielen Lehrpersonen ein Fakt. Dies passiert oft unbewusst, denn ich bemühe
mich, dass es nicht geschieht», sagt er.
Hanspeter Krüsi hat als Leiter der Schule Heimat-Buchwald von Beginn an
eine klare Stellung eingenommen. «Wir müssen die Stärken der Kinder beachten
und alle so nehmen, wie sie sind», sagt er. Zudem müsse ein grosser Wert auf
die Beziehungsarbeit mit den Kindern und den Eltern gelegt werden. Judith
Pekarek ergänzte, dass die Forschung zeige, dass viele Lehrpersonen ihrerseits
schon eine Vorstellung über die Kinder hätten, bevor sie überhaupt in ihre
Klasse kämen.
Lehrpersonen bilden sich weiter
Chancengleichheit gibt es in den St.Galler Schulen also noch nicht. Doch
hält Andreas Hobi fest, dass es in dieser Hinsicht eine Entwicklung gegeben
hat. So gebe es beispielsweise Weiterbildungen für Lehrpersonen, um auf diese
Problematik aufmerksam zu machen. Immerhin habe das Geschlecht keinen Einfluss
mehr darauf, wie die Kinder in der Oberstufe eingeteilt würden.
Mit einem Programm, das Kinder im Mittelmass fördert, damit sie den
Sprung in die Sekundarschule schaffen, wollte die Pädagogische Hochschule die
Chancengleichheit fördern. «Ich konnte dieses Förderprogramm beobachten und war
positiv überrascht», sagt Andreas Hobi. «Leider wurde es von der Stadt nicht
weiter finanziell unterstützt.»
Hanspeter Krüsi hingegen spricht sich vehement gegen solche
Zusatzangebote aus:
«Man muss den Kindern einfach die Zeit geben, sich
zu entwickeln.»
Zudem hätten sich schon viele Helfersysteme eingenistet, sodass die
Lehrpersonen gar nicht mehr wüssten, wann welches Kind welche zusätzliche Hilfe
brauche.
Tagesschulen in der Stadt fördern
Für Hanspeter Krüsi gibt es eine Lösung, um Chancengleichheit in der
Stadt zu schaffen. «Wir müssen das heutige dreistufige Oberstufensystem
auflösen.» Nur so könne die Separation aufgehoben werden. Andreas Hobi hingegen
wünscht sich, dass sich die Quartiere in der Stadt besser durchmischen. Doch
findet er es utopisch, dass es irgendwann absolute Chancengleichheit geben
wird.
Judith Pekarek sagt, dass Tagesschulen gefördert werden müssen. «So
würden Unterricht und Betreuung verschmelzen und die Chancen von Kindern
jeglicher Herkunft angleichen.»
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