Schnell einen Text erstellen – dafür gibt es mittlerweile Hilfsmittel wie Autokorrektur, Sprachassistenten und Transkriptionssoftware. Muss überhaupt noch jemand das Zehnfingersystem beherrschen?
Zehnfingersystem - braucht es das noch? Südostschweiz, 21.4. von Hendrik Polland
Wer das
Zehnfingersystem gelernt hat, ist meist mächtig stolz darauf. Und wer beim
Tippen eher nach dem Adlersuchsystem verfährt, preist gerne die eigene Technik
an. Aber ist das eine tatsächlich effektiver als das andere? Und muss man das
Zehnfingersystem überhaupt noch lernen?
Die Ursprünge des
sogenannten Blind- beziehungsweise Zehnfingerschreibens reichen bis in das 19.
Jahrhundert zurück. Erfunden haben soll es der Stenograf Frank Edward McGurrin.
Seine Strategie, eine Tastatur zu benutzen, ohne auf die Tasten zu schauen, hat
sich über Generationen hinweg durchgesetzt. Das Prinzip des
Zehnfingerschreibens ist einfach. Es gibt die sogenannte Grundposition. Die
Finger der linken Hand belegen dabei die Tasten A, S, D, F – angefangen mit dem
kleinen Finger auf dem «A». Die Finger der rechten Hand liegen ab dem
Zeigefinger auf J, K, L und Ö. Von dort aus geht es nach unten oder oben zu dem
nächstgelegenen Buchstaben. Die Daumen schweben über der Leertaste.
Trotz Schwächen
konkurrenzlos
Doch braucht es das
Zehnfingersystem weiterhin? «Wir haben bisher keine bessere Art entwickelt, wie
wir jemandem Tippen beibringen können. Somit ist es weiterhin das beste, aber
auch das einzige System, auf das wir zurückgreifen können», fasst Anna Maria
Feit zusammen. Sie arbeitet am Lehrstuhl für Informatik an der ETH Zürich und
beschäftigt sich schwerpunktmässig mit dem Themenbereich der Texteingabe. Die
Forscherin ist von der Methode zwar «nicht überzeugt», mangels Alternativen
erlaubt sie sich jedoch «keine zu strenge Meinung».
Das System hat
jedenfalls nicht nur Vorteile: Laut Feit könnten wir zum Beispiel im Deutschen
einige Wörter viel schneller eingeben, wenn häufig verwendete Buchstaben auf
der Tastatur besser positioniert wären. Gleichzeitig bräuchte es nicht alle
zehn Finger für das Tastschreiben. «Man bekäme das schon mit sechs ganz gut
hin».
2016 hat Feit mit
anderen Forschern an der Aalto-Universität in Helsinki unterschiedliche
Tastschreibstile un-tersucht und mit dem Zehnfingersystem verglichen. Das
Ergebnis: Teilnehmer, die sich eine eigene Technik angeeignet hatten, waren zum
Teil genauso schnell wie 10-Finger-Tipper. Allerdings zeigte sich in der
Studie, dass sie deutlich häufiger auf ihre Finger und die Tastatur schauten.
Das bestätigt
Regina Hofmann vom Deutschen Stenografenbund. Sie kenne niemanden, der mit
Eigensystem blind tippt. «Beim Zehnfingersystem hingegen gucken Sie nicht mehr
auf die Tastatur. Sie wissen, welche Wege die Finger zu gehen haben.»
Das wiederum kann
der Gesundheit entgegenkommen, meint Prä- ventionsexperte Thomas Brockamp.
«Wenn man das Zehnfingersystem beherrscht, hat man eine gut strukturierte
Führung der Hand. Denn ähnlich der Haltung eines Klavierspielers, sollte darauf
geachtet werden, dass das Handgelenk nicht abknickt.»
Je einfacher einem
das Tastschreiben falle, umso mehr könne man sich auf die richtige Haltung der
Hand konzentrieren, erläutert der Facharzt. «Anders, als wenn man immer
überlegt, wo jetzt der nächste Buchstabe ist.»
Das
Zehnfingersystem zu lernen, kann sich also lohnen. Wer will, bringt es sich
selbst mit Fachbüchern oder Online-Schreibprogrammen bei. Wie schnell jemand
das Zehnfingerschreiben umsetzen kann, ist dabei vom jeweiligen Lerntyp
abhängig. Zudem gilt: Je früher man das Zehnfingerschreiben lernt, umso besser
kann man es anwenden.
Selbst Anna Maria Feit
hält das ungeachtet ihrer Skepsis für wichtig. «Ich habe schon Jugendliche
kennengelernt, die mir gesagt haben, sie besässen gar keine Tastatur oder
schrieben eigentlich nie darauf. Sie hätten ihr Handy dafür.»
Im Arbeitsleben
wird noch immer viel getippt
Dabei wird das
Schreiben mit der Tastatur im Arbeitsleben gebraucht. Da- tenerfasser müssen
das Zehnfingerschreiben beispielsweise unbedingt beherrschen. Ebenso
vorausgesetzt wird es unter anderem bei Sekretären oder Anwalts- und
Notarfachangestellten. Gleichwohl spielt diese Fähigkeit in vielen anderen
Bürojobs eine untergeordnete Rolle. Dazu kommt die zunehmende Bedeutung von
Sprachassistenten und Transkriptionspro-grammen. «Ich denke dennoch nicht, dass
das Erlernen des Zehnfinger-systems dadurch überflüssig wird», sagt Jan
Kluczniok vom Onlineportal Netzwelt. Der Einsatz entsprechender Software sei
schliesslich gar nicht in jedem Job möglich, «beispielsweise im Grossraumbüro».
Beim Schreiben längerer Texte werde man also auch in Zukunft eigenständig Korrekturen
oder Umstellungen am diktierten Text vornehmen müssen. «Die gehen dann mit zehn
Fingern deutlich flinker von der Hand.»
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