21. November 2019

Bildung braucht Beziehung!


Carl Bossard, ehemaliger Rektor der Kantonsschule Luzern und Gründungsrektor der PH Zug, ist ein leidenschaftlicher Lehrer. Seine Vorträge sprühen von Witz und reicher pädagogischer Erfahrung. Bossard scheut sich aber auch nicht, Klartext zu sprechen über unser Bildungssystem – er ist für jeden Bildungsinteressierten ein Augenöffner. Für Bossard ist die Beziehungsebene zwischen Lehrer und Schüler zentral für den Lernerfolg. Ein Referat in Zürich. 
Carl Bossard in Aktion, Bild: Timotheus Bruderer
Schulkinder suchen keinen Coach. Sie wollen einen Häuptling, 21.11. von Urs Kalberer


Zuerst stellt der Referent die Begrifflichkeit von «Autorität» klar. Wegen seiner Nähe zum negativ konnotierten Adjektiv «autoritär» kam der Wortgebrauch in den Dunstkreis des Parteiischen oder sogar Tyrannischen. Dabei wünschen sich die Eltern und selbst die Lehrer nichts anderes als einen Experten, einen Spezialisten für den Umgang mit den Schulkindern – eben eine Autorität.

Schulhausarchitektur
Im Laufe der Zeit wandelte sich das Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit: Vom ehemaligen Prestige ist heute nicht mehr viel übriggeblieben. Dieser Machtverlust spiegelt sich auch in der Architektur der Schulbauten. Früher betrat man das Schulhaus, das sich an prägnanter Lage im Dorf befand, durch ein eindrückliches Portal.  Von Jahr zu Jahr stieg man höher im Gebäude, das eine Aura von Ordnung und Stabilität ausstrahlte. Heute sind Schulbauten weniger respekteinflössend, weniger hierarchisch gebaut. Das ehemalige Machtgefälle zwischen Lehrer und Schüler ist viel kleiner geworden. Farben, Zeichnungen, Spielgeräte etc. erwecken den Eindruck eines Ortes, der vielseitig und divers ist.

Schulhaus Wangen an der Aare (Schulhaus Nord), Kanton Bern. Bild: http://www.picswiss.ch/ Foto: Roland Zumbühl

Schulhaus Maihof, Schindellegi, Kanton Schwyz, Bild: http://www.picswiss.ch/ Foto: Roland Zumbühl

Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Ordnung muss man aushalten können. Ein guter Lehrer pendelt zwischen diesen Polen. Ein Ordnungsfanatiker kommt ebenso wenig weit wie einer, der konzeptlos von einer Idee zur nächsten hüpft. Es braucht einerseits Ordnung, andererseits die Freiheit Unerwartetes zuzulassen. Einstein prägte das Bonmot: «Ohne Chaos kann nichts entstehen, ohne Ordnung kann nichts bestehen». Ein guter Lehrer führt und wirkt gleichzeitig fürsorglich. Kinder wollen einen verständnisvollen Häuptling.

Die Wichtigkeit der Führung im Klassenzimmer wird auch durch die Forschung von Hattie belegt. Besonders lernförderlich ist ein Unterricht, in dem die Schüler durch klare Ziele und strukturierte Lernumgebungen geführt werden. Führung und Fürsorge implizieren auch, dass die Lehrkraft den Mut zu einem Nein hat. Solchen Autoritäten gegenüber empfindet man Respekt.

Der Referent leitet über zu immerwährenden pädagogischen Wahrheiten. Dazu zählt er die Wichtigkeit der Beziehung zwischen Lehrer und Kind. Bildung braucht Beziehung. Diese Bindung führt durch den Unterricht zu Anregungen, welche erst Lernen auslösen. Das Ich braucht ein Gegenüber. Doch das Ziel der Schule kann sich nicht in Beziehungsarbeit erschöpfen, Beziehung bildet die Basis für erfolgreichen Unterricht. Dieses zentrale Fundament des Lernens ist heute durch verschiedene Einflüsse bedroht. Eltern, Politiker, Medien, Verwaltung und die Wirtschaft: Sie alle wollen sich auch einbringen ins System Schule, was die Aufgabe des Lehrers nicht einfacher macht. Die Einschränkung der methodischen Freiheit wie sie in der Lehrerbildung zum Vorschein tritt, aber auch die Aufblähung der Verwaltung sind dabei starke Steuerungsfaktoren.

Dr. phil. Carl Bossard: Coach oder Häuptling? Zürich, 19. November 2019
Organisation: Starke Volksschule Zürich

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