21. November 2019

Nichts ist verbindlich


Ich war nicht dabei, am diesjährigen Luzerner Lehrertag in Sursee. Von aussen betrachtet reiht sich der Anlass lückenlos ein in die verschiedenen kantonalen Lehrertagungen der letzten Jahre: Alle Kästchen dürfen - ganz kompetenzorientiert -  angekreuzt werden.

1. Da ist mal der Bildungsdirektor, der sich der versammelten Lehrerschaft zeigt und ein paar Zückerchen verteilt. Natürlich darf dabei das Generallob an alle nicht fehlen. Das kostet ja nichts und ist so hohl wie eh und je.
2. Da sind verschiedene Experten, die alle selbst auch mal zur Schule gingen: Eine Schulberaterin, ein Zukunftsforscher und ein PH-Dozent. Damit kann sich jeder und jede ein passendes Stückchen vom Kuchen "Plaudern über Schule" auswählen. 
3. Schliesslich ist da ein Präsident, der ein passendes Motto gefunden hat: "Nichts ist verbindlich, alles ist möglich." Ob ihm bewusst ist, dass er damit einen zentralen Nerv getroffen hat?

Alles spricht von Digitalisierung. Was bringts, wenn sehr viele nicht lesen können oder an der Oberstufe den Unterschied zwischen einem Browser und Google immer noch nicht kennen - trotz ca. 4 Stunden Medienkonsum täglich. Angesichts des rasanten Einbruchs der schulischen Leistungen in den Sprachen und in Mathematik könnte ich mir ein anderes Motto vorstellen als "Nichts ist verbindlich, alles ist möglich". Aber offenbar ist dies kein Thema.

Den Anwesenden scheint es zu gefallen. Immerhin fällt die Schule aus. Fragen stellen sich keine. Wer solche hat, informiert sich sowieso auf einem bestimmten Schulblog. Wie wäre es, die Form solcher Alibiübungen mal zu überdenken? Würden die Kantonsbeiträge gestrichen, wenn man zur Abwechslung mal kritische Töne zur aktuellen Schulsituation hören dürfte? Oder sind wirklich alle so zufrieden? (uk)
Lehrertag 2019: Luzerner Pädagogen bauen sich Schule der Zukunft, Luzerner Zeitung, 20.11. von Alexander von Däniken


«Schritt für Schritt» lautete das Motto des 16. Lehrerinnen- und Lehrertags. Doch in welche Richtung und wie schnell? Um das herauszufinden, versammelten sich am Mittwoch rund 500 Lehrpersonen in der Stadthalle Sursee. Eingeladen hat der Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband (LLV). Als Leitlinie diente eine imaginäre Schule, genannt Hammerfest. LLV-Präsident Alex Messerli sagte zu Beginn: «Nichts ist verbindlich, alles ist möglich.»
Das Motto war passend gewählt: Die Institution Schule ist mehr denn je unter Reformdruck. Digitalisierung, Lehrplan 21, Anforderungen der Eltern und Sparmassnahmen durch die Politik stellen die Lehrerinnen und Lehrer vor Herausforderungen. Gerade was die Sparmassnahmen betrifft, machten die Luzerner Pädagogen an der Front einschlägige Erfahrungen. Als Finanzdirektor hat der parteilose Regierungsrat Marcel Schwerzmann diese Sparmassnahmen – etwa eine zusätzliche Unterrichtslektion oder Zwangsferien an den kantonalen Schulen – besonders geprägt. Nun stellte sich Schwerzmann als Bildungsdirektor der Lehrerschaft.


Bildungsdirektor mit Wohlwollen empfangen

Schwerzmann wurde mit verhaltenem Applaus begrüsst. In seinem Referat beantwortete er zu Beginn die Frage, was mit seinem Wechsel anders werde. «Es ist derzeit keine grosse Reform geplant. Trotzdem wird es immer notwendig sein, sich aktuellen Begebenheiten anzupassen.» Er stelle ein grosses Engagement der Lehrpersonen und Schulleiter fest.
Dieses sei auch weiterhin nötig – die Digitalisierung werde die Schule verändern. Der Bildungsdirektor hielt fest:
«Wir brauchen elektronische Hilfsmittel, aber auch den Unterricht im Schulzimmer und Exkursionen.»

Damit das gelingt, will er die Administration runterfahren. Schwerzmann wehrte sich gegen den Vorwurf, die Bildung werde totgespart. Die Kosten seien jedes Jahr gestiegen; 2020 wende der Kanton eine Milliarde Franken allein für die Bildung auf. Dass die Zürcher Lehrer mehr verdienen, sei Tatsache: Das Lohnniveau sei dort generell grösser, die Lebenshaltungskosten aber auch. «Ich bin aber bereit, die Lohnsituation anzuschauen.» Schon beschlossen sei die Zurücknahme der Zusatzlektion. Der Applaus nach seinem Referat war nun grösser als zu Beginn. Das imaginäre Schulhaus Hammerfest dürfte also in ruhigeren politischen Zeiten gebaut werden.

Die Schattenseiten der Individualisierung

Heidi Gehrig, Schulberaterin aus St. Gallen, sprach in ihrem Kurzreferat über Partizipation und Ethik. Dabei nahm sie Bezug auf die seit 30 Jahren bestehende Kinderrechtskonvention. Gehrig mahnte bei aller Individualisierung, die auch in der Schule Einzug gehalten hat, zur Zurückhaltung: «Sonst tendieren die Kinder dazu, egoistisch und narzisstisch zu werden.» Die Gesellschaft brauche starke Individuen, aber keine Egoisten.

Dennoch wird es künftig noch wichtiger sein, sich selbst neu zu erfinden, wie der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos anfügte. Denn das Bevölkerungswachstum und die Digitalisierung fordern die Individuen dazu auf, sich von der Masse abzuheben. Die Digitalisierung werde deshalb auch die Schule stark verändern. «Digitalisierung ist kinderleicht!», so Roos. Aber auch der Klimawandel und das Bevölkerungswachstum werden grosse Themen sein.

«Wir leben in einer Welt, die immer schneller wird.»
Doch wie kommt die Schule damit klar? Laut Urs Utzinger, Dozent für Informatikdidaktik an der PH Luzern, muss den Schülern beigebracht werden, wie Apps funktionieren und wie Quellen überprüft werden können. Die künftige Schule vermittelt also digitales Wissen, hat die nötigen Finanzen und bringt selbstbewusste Schulabgänger hervor, die nicht egoistisch sind.

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