Es begann
mit einem Schock, ging weiter mit endlosen Debatten und mündete in einem
Dauerstreit: Seit knapp zwei Jahrzehnten – immer wenn die Pisa-Resultate
erscheinen – gerät die Schweizer Bildungswelt in Aufruhr. Kommenden Dienstag
erfahren hiesige Schüler wieder, wie gut sie im Vergleich zu Jugendlichen aus
aller Welt sind. Bis dahin werden die Resultate gehütet wie ein
Staatsgeheimnis. Doch schon jetzt ist klar: Es wird erneut zu Diskussionen
kommen.
Wie schief steht der Turm von Pisa? Südostschweiz, 30.11. von Yannick Nock
Bei der grössten Erhebung in der Pisa-Geschichte war der Test zum ersten
Mal nicht für alle Jugendlichen gleich. Der Computer passte sich während des
Ausfüllens dem Leistungsniveau des Schülers an. Beantwortete ein15-Jähriger die
ersten Fragen falsch, wurden die weiteren einfacher, war er besonders gut,
wurden sie schwerer.
Ziel des Verfahrens ist es, möglichst alle Schüler
mitzunehmen. Hätte ein schwacher Jugendlicher früher komplett versagt, konnte
er jetzt bei den einfacheren Fragen zeigen, dass er doch etwas beherrscht. Und
die ganz guten mussten beweisen, dass sie tatsächlich besonders schlau sind.
Doch können massgeschneiderte Fragen universelle Ergebnisse hervorbringen?
Schweizer Bildungsexperten, die vor Veröffentlichung der Daten nicht mit Namen
erwähnt werden möchten, warnen bereits: Der Test sei nur bedingt mit früheren
vergleichbar. Schwankungen in den Ergebnissen könnten auch an der neuen Methode
liegen, nicht an der eigentlichen Leistung der Schüler. Dem widerspricht
Andreas Schleicher, Chef der Pisa-Studie: Der Einfluss der Methode sei
natürlich berücksichtigt worden.
3,2 Millionen Franken zahlt die Schweiz für den
Test
Doch genau dieser Punkt sorgte bereits vor drei Jahren – bei der letzten
Pisa-Erhebung – für einen Eklat. Die hiesigen Erziehungsdirektoren weigerten
sich, eine eigene Publikation und Interpretation der Schweizer Daten zu
veröffentlichen. Das Problem: 2015 wurden die Aufgaben des Tests erstmals
ausschliesslich am Computer gelöst. Schweizer Schulen, die noch immer in einer
Welt von Bleistift und Papier leben, sahen sich benachteiligt. Und tatsächlich:
Die 15-Jährigen schnitten in allen Fächern – Mathematik, Naturwissenschaften
und Lesen – schlechter ab als 2012.
In ihrer Not wandten sich die
Erziehungsdirektoren an Stefan Wolter, den Bildungsökonomen des Bundes. Für ihn
war klar, dass das deutlich schlechtere Abschneiden der hiesigen Schüler mit
der Methodenänderung zu tun hatte, selbst wenn Pisa-Chef Schleicher
versicherte, diese seien berücksichtigt worden. Die Schweiz stellte gar ihre
Teilnahme an künftigen Pisa-Tests in Frage, schliesslich belaufen sich die
Kosten auf 3,2 Millionen pro Zyklus. Doch Schleicher liess jede Kritik von sich
abprallen, ging stattdessen in die Gegenoffensive: «Bei ‹Schneewittchen›
schmiss die Königin den Spiegel hin, als sie nicht mehr die Schönste im Land
war. Dadurch wurde sie aber auch nicht schöner», sagte er und legte nach: «Aber
wahrscheinlich gefällt gewissen Schweizer Bildungsvertretern ohnehin das
‹Rumpelstilzchen› besser.»
Nach Beschwerdebriefen, die zwischen den
Erziehungsdirektoren und den Pisa-Verantwortlichen hin und her gingen, legte
sich die Aufregung Monate später. Zumindest ein bisschen. Zwar verharren beide
Seiten bis heute auf ihrem Standpunkt. Die Konferenz der Erziehungsdirektoren
hat allerdings bereits die Teilnahme an Pisa 2021 bewilligt. Ein Austritt stehe
aktuell nicht zur Debatte, heisst es. Bildungsexperten aus verschiedenen
Ländern, darunter auch der Schweiz, machten sich zuletzt aber für eine Änderung
stark. Der Pisa-Test solle nicht mehr alle drei, sondern nur alle fünf Jahre
durchgeführt werden. Das mag die Kosten zwar senken, die Diskussionen werden
aber bleiben.
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