31. Oktober 2019

Zehn Schülerjahrgänge als Versuchskaninchen missbraucht

Der 24. September 2014 war für die Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer ein denkwürdiger Abend: An der Versammlung des Lehrervereins führten sie die Professoren Christine Le Pape Racine und Giuseppe Manno richtiggehend vor, als diese die Mehrsprachendidaktik, das «einmalige Pionierprojekt Passepartout» und das Französischlehrmittel «Mille feuilles» anpriesen. Die Meinung im Saal war schon damals gemacht: Passepartout ist ein Flop. Jahrelang wollten dies die Bildungstheoretiker nicht wahrhaben. Doch am kommenden 24.November, mehr als fünf Jahre nach jenem denkwürdigen Abend, steht der Flop im Baselbiet vor dem Aus. Der Kanton Baselland stimmt an der Urne über den Gegenvorschlag zur Passepartout-Initiative der Starken Schule Baselland ab. Ein Gegenvorschlag ist es, weil der Landrat den Streit um die Passepartout-Lehrmittelmit einer generellen Lehrmittelfreiheit für die Lehrerinnen und Lehrer beantwortet hat. Die Starke Schule Baselland, von der die Volksinitiative stammt, hat diese zugunsten des Gegenvorschlags zurückgezogen. Stimmt das Volk zu, wird das Obligatorium der Passepartout-Lehrmittel «Mille feuilles», «Clin d’Œil» und «New World» beendet.
Franzi-Lehrmittel "Mille feuilles" vor dem Aus, Basler Zeitung, 31.10. von Thomas Dähler

Mit Verspätung
Die Mehrsprachendidaktik ist zuvor lange verteidigt worden: von ihren Erfindern, von Bildungspolitikern und auch vom Baselbieter Bildungsrat. Dabei ist
es nicht der Bildungsrat, sondern der Landrat, der 2007 den Beitritt zum Passepartout-Konkordat der Kantone Basel-Stadt, Solothurn, Bern, Freiburg und Wallis beschlossen hat.

Gekippt hat er damit den anderslautenden Beschluss des Bildungsrats: Im Jahr zuvor war dieser nämlich für das Aargauer Modell mit Englisch als erster Schul-Fremdsprache. Mit Verspätung führte Baselland dann 2012 als sechster Kanton Frühfranzösisch mit den Passepartout-Lehrmitteln ein. 

Die Lehrmittel «Mille feuilles», «Clin d’Œil» und «New World» sind die teuersten je eingeführten Lehrmittel und basieren auf einer anderen pädagogischen Methode als die traditionellen Lehrmittel. Die Schülerinnen und Schüler sollen wie einst die Muttersprache mit einem «Sprachbad» lernen statt Vokabeln und Grammatik pauken. 

«Es werden Brücken gebaut zwischen Französisch, Englisch, Deutsch und den Herkunftssprachen der Kinder», hiess es erwartungsvoll im Elternbrief des damaligen Bildungsdirektors im Frühjahr 2012 zur neuen Didaktik. Den Eltern wurde angekündigt, ihre Kinder würden schon bald «ohne Hemmungen sprechen und schreiben». Und: «Die zu Beginn gemachten Fehler beeinträchtigen das spätere Erlernen der richtigen Form in keiner Weise.» 

Doch mit dem Widerstand der Lehrkräfte und Schulpädagogen anderer Fächer hatten die Sprachdidaktiker nicht gerechnet. Diese wollten keine Schulstunden zugunsten der Fremdsprachen abgeben und waren auch nicht dazu bereit, die Fremdsprachen in anderen Fächern mitzuberücksichtigen. Wegen der geringen Zahl Fremdsprachenlektionen bekam die Methode von Anfang an nicht das Umfeld – kein «Sprachbad» –, das es für eine solche Didaktik braucht. Sprachunterricht in der Primarschule verläuft anders als ein kompakter Sprachkurs in einem anderen Land.

Resultate verheerend
Die Resultate des ersten Jahrgangs, der die Schule 2018 mit dem Passepartout-Rucksack nach sieben Jahren Fremdsprachenunterricht verlassen hat, sind verheerend: Das von den Kantonen anvisierte Leistungsniveau A2.1 in Französisch erreichten gemäss der Studie des Bildungsinstituts der Universität Freiburg beim Sprechen nur 10,8 Prozent der Schülerinnen und Schüler, beim Leseverstehen 32,8 Prozent und beim Hörverstehen 57 Prozent. Das Resultat dieser jahrelang angekündigten, über Erfolg oder Misserfolg entscheidenden Studie war derart negativ, dass die Bildungsdirektoren beschlossen, den Schlussbericht gar nicht mehr in Auftrag zu geben und auf eine Medienkonferenz dazu zu verzichten. 

Die Passepartout-Projektleitung verteidigt ihr Konzept jedoch noch immer gegen alle Kritik. Ungeachtet setzen fünf der sechs Kantone–ohne Baselland –auf Verbesserungen für die dort weiterhin obligatorischen Passepartout-Lehrmittel. Sie wollen sie mit einem Grundwortschatz, mehr Grammatik und alltagstauglichen Texten ergänzen. Sie haben nämlich unterdessen gemerkt, dass die meisten Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht bereits mit alternativen Ergänzungen arbeiten. Baselland jedoch kann nun an der Urne einen Schlussstrich unter «Mille feuilles» und Konsorten setzen. Der Preis der Passepartout-Erfahrung allerdings ist auch im Baselbiet hoch: Zehn Jahrgänge dienten den Bildungsexperten und -politikern als Versuchskaninchen. Dabei hatten schon lange vor der geplanten und jetzt verheerend ausgefallenen Studie viele Tests, Erfahrungsberichte und wissenschaftliche Untersuchungen auf den Misserfolg hingewiesen.

Ob alle Probleme im Baselbiet nach dem wahrscheinlichen Ja am 24. November behoben werden, ist allerdings nicht klar. Die Passepartout-Lehrmittel dürften zwar im Baselbiet verschwinden. Doch erst darauf folgende Untersuchungen werden Aufschluss darüber geben, ob es sinnvoll war, den Beginn des Fremdsprachenunterrichts auf die 3.Klasse vorzuverschieben. Es gibt Studien, welche die Frühfremdsprachen und den Lerngrundsatz «Je früher, desto besser» grundsätzlich infrage stellten. Die Politik hatte ihre liebe Mühe mit der Kritik an einmal eingeführten Reformen. Politiker haben auch schon kritischen Sprachwissenschaftlern kurzerhand die Wissenschaftlichkeit abgesprochen, die Erfinder der Schulchecks stellten gar die schlechten Resultate mit dem einfachen Hinweis auf das soziale Umfeld infrage. Dabei war es in vielen Klassenzimmern längst offensichtlich: Die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler spricht die Fremdsprache nicht. Auch nach sieben Jahren Französischunterricht kann sich die Mehrheit nicht in Französisch verständigen.

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