Franzi-Lehrmittel "Mille feuilles" vor dem Aus, Basler Zeitung, 31.10. von Thomas Dähler
Mit Verspätung
Die
Mehrsprachendidaktik ist zuvor lange verteidigt worden: von ihren Erfindern,
von Bildungspolitikern und auch vom Baselbieter Bildungsrat. Dabei ist
es nicht der
Bildungsrat, sondern der Landrat, der 2007 den Beitritt zum
Passepartout-Konkordat der Kantone Basel-Stadt, Solothurn, Bern, Freiburg und
Wallis beschlossen hat.
Gekippt hat er damit den anderslautenden Beschluss des Bildungsrats:
Im Jahr zuvor war dieser nämlich für das Aargauer Modell mit Englisch als
erster Schul-Fremdsprache. Mit Verspätung führte Baselland dann 2012 als
sechster Kanton Frühfranzösisch mit den Passepartout-Lehrmitteln ein.
Die
Lehrmittel «Mille feuilles», «Clin d’Œil» und «New World» sind die teuersten je eingeführten
Lehrmittel und basieren auf einer anderen pädagogischen Methode als die
traditionellen Lehrmittel. Die Schülerinnen und Schüler sollen wie einst die
Muttersprache mit einem «Sprachbad» lernen statt Vokabeln und Grammatik pauken.
«Es werden Brücken gebaut zwischen Französisch, Englisch, Deutsch und den Herkunftssprachen
der Kinder», hiess es erwartungsvoll im Elternbrief des damaligen Bildungsdirektors
im Frühjahr 2012 zur neuen Didaktik. Den Eltern wurde angekündigt, ihre Kinder
würden schon bald «ohne Hemmungen sprechen und schreiben». Und: «Die zu Beginn
gemachten Fehler beeinträchtigen das spätere Erlernen der richtigen Form in
keiner Weise.»
Doch mit dem Widerstand der Lehrkräfte und Schulpädagogen
anderer Fächer hatten die Sprachdidaktiker nicht gerechnet. Diese wollten keine
Schulstunden zugunsten der Fremdsprachen abgeben und waren auch nicht dazu
bereit, die Fremdsprachen in anderen Fächern mitzuberücksichtigen. Wegen der
geringen Zahl Fremdsprachenlektionen bekam die Methode von Anfang an nicht das
Umfeld – kein «Sprachbad» –, das es
für eine solche Didaktik braucht. Sprachunterricht in der Primarschule verläuft
anders als ein kompakter Sprachkurs in einem anderen Land.
Resultate verheerend
Die
Resultate des ersten Jahrgangs, der die Schule 2018 mit dem
Passepartout-Rucksack nach sieben Jahren Fremdsprachenunterricht verlassen hat,
sind verheerend: Das von den Kantonen anvisierte Leistungsniveau A2.1 in
Französisch erreichten gemäss der Studie des Bildungsinstituts der Universität
Freiburg beim Sprechen nur 10,8 Prozent der Schülerinnen und Schüler, beim Leseverstehen
32,8 Prozent und beim Hörverstehen 57 Prozent. Das Resultat dieser jahrelang angekündigten,
über Erfolg oder Misserfolg entscheidenden Studie war derart negativ, dass die Bildungsdirektoren
beschlossen, den Schlussbericht gar nicht mehr in Auftrag zu geben und auf eine
Medienkonferenz dazu zu verzichten.
Die Passepartout-Projektleitung verteidigt
ihr Konzept jedoch noch immer gegen alle Kritik. Ungeachtet setzen fünf der sechs
Kantone–ohne Baselland –auf Verbesserungen für die dort weiterhin obligatorischen
Passepartout-Lehrmittel. Sie wollen sie mit einem Grundwortschatz, mehr
Grammatik und alltagstauglichen Texten ergänzen. Sie haben nämlich unterdessen
gemerkt, dass die meisten Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht bereits mit
alternativen Ergänzungen arbeiten. Baselland jedoch kann nun an der Urne einen
Schlussstrich unter
«Mille feuilles» und Konsorten setzen. Der Preis der Passepartout-Erfahrung
allerdings ist auch im Baselbiet hoch: Zehn Jahrgänge dienten den Bildungsexperten
und -politikern als Versuchskaninchen. Dabei hatten schon lange vor der
geplanten und jetzt verheerend ausgefallenen Studie viele Tests,
Erfahrungsberichte und wissenschaftliche Untersuchungen auf den Misserfolg
hingewiesen.
Ob alle Probleme
im Baselbiet nach dem wahrscheinlichen Ja am 24. November behoben werden, ist allerdings
nicht klar. Die Passepartout-Lehrmittel dürften zwar im Baselbiet verschwinden.
Doch erst darauf folgende Untersuchungen werden Aufschluss darüber geben, ob es
sinnvoll war, den Beginn des Fremdsprachenunterrichts auf die 3.Klasse
vorzuverschieben. Es gibt Studien, welche die Frühfremdsprachen und den
Lerngrundsatz «Je früher, desto besser» grundsätzlich infrage stellten. Die
Politik hatte ihre liebe Mühe mit der Kritik an einmal eingeführten Reformen.
Politiker haben auch schon kritischen Sprachwissenschaftlern kurzerhand die
Wissenschaftlichkeit abgesprochen, die Erfinder der Schulchecks stellten gar
die schlechten Resultate mit dem einfachen Hinweis auf das soziale Umfeld
infrage. Dabei war es in vielen Klassenzimmern längst offensichtlich: Die
überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler spricht die Fremdsprache nicht.
Auch nach sieben Jahren Französischunterricht kann sich die Mehrheit nicht in
Französisch verständigen.
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