«Im Nachgang zum Frauenstreik vom vergangenen Juni und der Forderung
nach vollständiger Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen liegt der
Vorwurf der Diskriminierung der Männer auf der Hand», heisst es in der
Interpellation «Feminisierung der PH und der Volksschule», mit der sich die
SVP-Kantonsräte Andrea Vonlanthen, Aline Indergand und Hermann Lei an den
Regierungsrat richten.
"Vorwurf der Diskriminierung der Männer liegt auf der Hand": Im Thurgau sind vier von fünf Lehrkräften Frauen - das sorgt nun für Kritik, St. Galler Tagblatt, 30.10. von Judith Schuck
Der Bildungsbericht des Schuljahrs 2017/18 weist 80 Prozent weibliche
Lehrkräfte an den Thurgauer Volksschulen aus. Während in der Sekundarstufe I
das Geschlechterverhältnis ausgeglichen sei, arbeiten im Kindergarten und in
der Primarstufe vor allem weibliche Personen. Bei den Führungspositionen
zeichnet der Bericht ein anderes Bild, hier sind von 138 Schulleiterinnen und
Schulleitern im Kanton 89 männlich.
Sichtweisen driften auseinander
In dieser «offensichtlich fehlenden Gleichstellung der Geschlechter»
sehen die Interpellanten eine Benachteiligung für die Knaben. Frauen
unterrichteten gewiss nicht schlechter als Männer. Die Interpellanten schreiben:
«Aber sie unterrichten und reagieren vielfach
anders. Sie werden Knaben und ihren Bedürfnissen oftmals weniger gerecht als
Männer.»
Das Defizit an männlichen Lehrpersonen stufen Vonlanthen, Indergand und
Lei auch deshalb als kritisch ein, «als den Knaben heute im familiären Alltag
ohnehin oft die väterliche Bezugsperson fehlt». Damit wieder mehr Männer den
Beruf des Primarlehrers ausüben, müsse dieser attraktiver gestaltet werden.
Bemühungen der PH
Patric Brugger ist Gleichstellungsbeauftragter an der Pädagogischen
Hochschule Thurgau und glaubt nicht, dass das Geschlecht der Lehrperson
Einfluss auf den Bildungserfolg der Jungen habe. Auch gebe es bereits
verschiedene Bemühungen seitens der PH, explizit Männer für den Lehrberuf zu
gewinnen, wie beispielsweise das Projekt «Männer an die Primarschule». «Die
Pädagogische Hochschule achtet bei ihren Informationen über ihre Studiengänge
und den Lehrberuf darauf, auch Männer explizit anzusprechen.»
Um hier etwas zu ändern sei aber auch ein gesellschaftliches Umdenken
nötig. Geschlechterlabels bei Berufen seien oft gesellschaftlich geprägt.
Dadurch, dass der Lehrberuf mit der «Liebe zum Kind» in Verbindung gebracht
wird, wird er eher der Frau zugesprochen. Die Geschlechtsidentität junger
Männer kollidiere häufig mit diesem als weiblich wahrgenommenen Beruf. Brugger
sagt:
«Um der Feminisierung im Lehrberuf entgegenzuwirken
sind Massnahmen gefragt, welche die familiären Rollenbilder verändern, die
Vereinbarkeit von Familienarbeit und Beruf fördern sowie die Teilzeitarbeit in
anderen verantwortungsvollen Berufen ermöglichen.»
Sind die Knaben auf dem Abstellgleis?
Die SVP-Kantonsräte Daniel Vetterli, Urs Schrepfer und Andreas Wirth
stellen ebenfalls eine Anfrage zum Thema Schule an den Regierungsrat: «Knaben
an der Volksschule Thurgau im Abseits?» Im Jahr 2015 zeigten die Statistiken
des Amts für Volksschule Thurgau, dass Mädchen leistungsstärker sind als ihre
männlichen Mitschüler. Bei der Verteilung in die Sekundarschultypen E und G,
also Erweiterte und Grundanforderungen, zögen die Jungs den Kürzeren: Während
65,1 Prozent der Mädchen Typ E zugeteilt werden, waren es nur 56,1 Prozent bei
den Knaben.
Beim Sekundarschultyp E werden die Schüler nicht nur auf das
Berufsleben, sondern auch auf den Übertritt in weiterführende
Bildungseinrichtungen vorbereitet. Auf Sonderschulen sind die Knaben gegenüber
den Mädchen ebenfalls in der Überzahl, wie die Statistik von 2015 zeigt. «Die
Zahlen werden aus heutiger Sicht mit Sicherheit nicht besser sein», sind
Vetterli, Schrepfer und Wirth überzeugt. Urs Schrepfer, der selbst
Sekundarschulleiter ist, sagt:
«Wären diese Zahlen umgekehrt, zu Ungunsten der
Mädchen, gäbe es einen Aufschrei.»
Er und seine Mitstreiter wollen vom Amt für Volksschule nun wissen, was
die entscheidenden Faktoren dieses «offensichtlichen Ungleichgewichts bei der
Einstufung des Sekundarschultyps oder auch der Zuweisung in die Sonderschule»
sind und welche Massnahmen es ansetzt, um mittelfristig ein ausgeglichenes
Verhältnis von Knaben und Mädchen zu erhalten.
«Mit verschiedenen kleinen Massnahmen, wie etwa bei den Einstufungen in
den Typ der Sekundarschule das Fach Mathematik stärker zu gewichten, versuchte
man, Gegensteuer zu geben», heisst es ihm Text. Leider habe dies nicht den
gewünschten Erfolg gebracht, das Problem sei vielschichtiger.
Feminisierung als Argument nicht
haltbar
Hierzu antwortet der Gleichstellungsbeauftragte Brugger: «Die
mittlerweile häufiger auftretenden relativen Bildungserfolge der Mädchen werden
uminterpretiert in Bildungsmisserfolge der Jungen.» Die angeführte Begründung
für die Bildungsmisserfolge sei dann gelegentlich die Feminisierung der
Bildung, was nicht haltbar sei, da Mädchen schon vor rund 90 Jahren
durchschnittlich bessere schulische und akademische Leistungen erbrachten als
die Jungen. «Also in Zeiten, in denen mehrheitlich Männer unterrichteten.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen