Über 1500 Lehrverträge wurden im vergangenen Jahr im Kanton St.Gallen
aufgelöst. Das sind rund 160 mehr als noch im Jahr 2010. Der häufigste Grund:
Die Leistung des Lehrlings reichte nicht aus. 25,3 Prozent der
Vertragsauflösungen hatten diese Ursache, wie eine Auswertung des Kantons
zeigt. Fast gleich oft kam es jedoch vor, dass Jugendliche ihre Lehrstelle
aufgaben, weil sie mit dem Beruf oder mit dem Lehrbetrieb nicht zufrieden
waren. Diese Quote beträgt 24,9 Prozent. Weitere häufige Gründe sind
Pflichtverletzungen der Lernenden (12,1 Prozent), Konflikte zwischen Lehrling
und Ausbildungsbetrieb (11,4 Prozent) und gesundheitliche Ursachen (10,2
Prozent). Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 9,4 Prozent der Lehrverträge
aufgelöst, 2010 waren es noch 7,8 Prozent gewesen.
Lehrabbrüche nehmen zu: St. Galler CVP-Kantonsräte fordern Massnahmen, St. Galler Tagblatt, 9.9. von Adrian Vögele
Diese Zahlen beschäftigen das Kantonsparlament. Die CVP-Kantonsräte
Sandro Hess, Patrick Dürr und Andreas Broger hatten per Interpellation eine
Auswertung zu den Hintergründen der Lehrabbrüche gefordert. Ihr Verdacht: Weil
ein Überangebot an Lehrstellen besteht, werden Lehrverträge immer früher
abgeschlossen – mit der Folge, dass immer mehr Lehrlinge die Ausbildung
abbrechen, weil sie im Nachhinein feststellen, dass die Wahl doch nicht die
richtige war.
Mehr Betriebswechsel wegen offener
Stellen?
Eine klare Antwort fällt der Regierung schwer. Die Statistik mache keine
Aussage zum Thema «zu frühe Lehrstellenvergabe». Dass 24,9 Prozent der
Vertragsauflösungen unter die Kategorie «Berufs- und Lehrstellenwahl» fallen,
heisse noch nicht, dass all diese Jugendlichen den falschen Beruf gewählt
hätten. Es sei denkbar, dass Lehrlinge vermehrt vom Überangebot an Lehrstellen
profitieren würden, indem sie nach dem ersten Vertragsabschluss zwar den Beruf
beibehalten, aber in einen anderen Betrieb wechseln würden, der ihnen mehr
zusage.
Die Interpellanten sehen die Sache anders. «Die Zunahme der
Lehrvertragsauflösungen ist alarmierend», sagt Patrick Dürr. «Die Zahlen
bestätigen, was wir vermutet haben.» Auch eine ungenügende Leistung oder
Unzufriedenheit mit dem Lehrbetrieb könnten Hinweise darauf sein, dass die
Jugendlichen sich zu schnell für ihre Lehrstelle entschieden hätten. «Der
Berufswahlprozess beginnt heute zu früh», sagt Dürr. Hier müsse der Staat
handeln. «Wenn manche Jugendliche schon ein Jahr vor dem Schulabschluss einen
Lehrvertrag haben, zugleich aber die Lehrabbrüche zunehmen, dann läuft etwas
falsch.» Sandro Hess sagt, er habe Verständnis für die Wirtschaft, die für ihre
Lehrstellen die besten Leute sucht. «Zugleich stelle ich als
Oberstufenschulleiter fest, dass die frühe Berufswahl und Lehrstellenvergabe
Jugendliche, Eltern und Schule stark unter Druck setzt.» Die Interpellation
fordert darum Lösungsvorschläge.
«Regierung legt die Hände in den
Schoss»
Die Regierung missbilligt zwar «verfrühte Lehrvertragsabschlüsse», will
aber nicht regulierend eingreifen. Sie befürchtet, dass sich harte Massnahmen
negativ auf die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft auswirken könnten.
Ausserdem nimmt die Regierung an, dass sich der Konkurrenzkampf um den
Berufsnachwuchs bald von selber abkühlt, weil geburtenstärkere Jahrgänge aus
der Schule kommen.
Den Interpellanten ist diese Haltung zu passiv. «Die Regierung legt die
Hände in den Schoss», stellt Hess fest. Dabei gebe es durchaus diskutable
Lösungsansätze. «Eine Option wäre, den Volksschulabschluss aufzuwerten.»
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