«Wir müssen die Digitalisierung in unserem Land vorantreiben und dadurch die Bildungschancen vergrössern» und «Die Digitalisierung der Schulen garantiert einen Quantensprung im Bereich der Bildung», solche Äusserungen von Politikern im In- und Ausland stufen den Bildungsbegriff herunter auf das Niveau einer wertfreien Informationsvermittlung.
NZZ, 5.7. Leserbrief von Urs Willi
Echte Fragen, wirkliche Anliegen, Empathie,
lebendige Neugier erlöschen. Die Fragen der Kinder ertrinken schon in der
Volksschule in einem Meer von Antworten auf nicht gestellte Fragen. Der
Lehrplan 21 unterstützt, fördert und fordert präzise das, was zu der Realität
geführt hat, die wir heute haben: Nivellierung, Ausbildung statt Bildung,
Isolation des Einzelnen, Beschleunigung, Missachtung der individuellen Begabungen
und Impulse, wahl- und masslose Informationen, Verhinderung eines stufenweisen
Begreifens der Welt. Neu ist an diesem Lehrplan nichts. Er entspricht der
postmodernen Hightech-Version des preussischen Kadettendrills. Der Zusammenhang
zwischen den Tätigkeiten der Hände und der Entwicklung des Gehirns ist seit
langer Zeit bekannt und belegt. «Die Hände sind das ausgestülpte Gehirn. Das
Gehirn lernt das Begreifen von den Händen» (Hugo Kükelhaus).
Tatsache
ist, dass eine Generation, die am Tablet zur Untätigkeit verdammt ist, nicht
nur immer unfähiger wird, eigenständig zu denken und zu urteilen, also zu
begreifen, sondern auch zunehmend desinteressierter, phantasieloser, passiver,
unglücklicher und offensichtlich gewaltbereiter. Kommende Generationen werden keine
neuen Wege entdecken, wenn wir ihnen in den Schulen lediglich unsere starre,
geist- und phantasielose, auf Sicherheit fixierte Art des Denkens anbieten. Die
Überlegenheit des Möglichen über das Reelle muss immer spürbar bleiben. Das
Reelle darf das Mögliche nicht so reduzieren, dass sich der Horizont schliesst.
Wenn
das Können das Versuchen ablöst, erübrigt sich der Weg. Und wenn dieses Können
auch noch von einer Maschine vollzogen wird, erübrigt sich der Mensch.
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