Was Kritiker der überstürzten Bildungsreformen schon längst vorausgesagt haben, ist nun eingetreten: ein Lehrermangel enormen Ausmasses, der Schulbehörden und Schulleiter immer häufiger zwingt, an unseren Volksschulen Personen in die Klassenzimmer zu holen, die sich entweder noch im Studium an einer Pädagogischen Hochschule befinden oder sonst wie weder fachlich noch pädagogisch-didaktisch genügend ausgebildet sind. Dabei werden für den sich zuspitzenden Lehrermangel von Seiten der Behörden und Bildungsexperten mehrheitlich Gründe genannt, welche die wahren Ursachen verschleiern. Es ist da von zu tiefen Einstiegslöhnen, von zu grossen Klassen, von steigenden Schülerzahlen und dergleichen mehr die Rede. Das mag ja alles stimmen.
Wenn Lehrer den Schulen davonlaufen, St. Galler Tagblatt, 5.7. von Mario Andreotti
Doch
die eigentlichen Gründe für den Mangel an qualifizierten Lehrkräften, der nicht
zufällig gerade heute akut geworden ist, liegen woanders. Das machen auch die
sich in letzter Zeit häufenden Kündigungen von Lehrern deutlich. Die Schulen
von Wigoltingen, Buttikon und Luberzen mit ihren «Massenkündigungen» dürften da
nur die Spitze des Eisberges sein. Seit einiger Zeit brodelt es in
verschiedenen Schulen, weil Schulbehörden, aber zunehmend auch Schulleiter den
Lehrkräften in teilweise forscher Gangart neue, sich am Lehrplan 21 orientierende
Lernkonzepte verordnen wollen.
Die
Lehrer werden dazu in Weiterbildungskurse geschickt, um auf ihre neue Rolle als
Coaches oder Lernbegleiter getrimmt zu werden. Als solche dürfen sie den
Schülern, die jetzt Lernpartner heissen, nichts mehr erklären; diese sollen
sich den Lernstoff selbst beibringen. Jeder hat für sich allein am Laptop oder
Tablet-Computer und anhand von Arbeitsblättern die einzelnen Aufgaben zu lösen
und am Schluss erst noch alles eigenhändig zu korrigieren. Die zu reinen Lernbegleitern
degradierten Lehrer werden angehalten, nur noch einzelnen Schülern zu helfen,
wenn diese Fragen haben.
Wer
will unter solchen, nicht kindgerechten Voraussetzungen noch Lehrer sein? Und
wie sollen Lehrer als souveräne Persönlichkeiten unterrichten können, wenn sie
immer mehr am Gängelband selbstherrlicher Schulleiter und weltfremder
Bürokraten tanzen müssen? Da taugen auch die teilweise abenteuerlichen
Lösungsvorschläge zur Behebung des Lehrermangels – ein Verbot von
Teilzeitarbeit und die Erhöhung des Pflichtpensums – kaum etwas. Es muss eine
andere Lösung her. Neben attraktiveren Rahmenbedingungen, zu denen unter
anderem mehr Lohn, weniger Unterrichtsstunden sowie kleinere Klassen zählen
mögen, muss sich die Unterrichtsform selber tiefgreifend ändern. Aus dem
Lernatelier muss wieder ein Klassenzimmer, aus dem «selbstgesteuerten Lernen»
ein Klassenunterricht und aus dem Lernbegleiter eine Lehrperson werden, die
sich in der Beziehung zu ihren Schülern als vorbildliche Persönlichkeit
souverän einbringen kann, ohne dauernd durch unergiebige Evaluationen und
fragwürdige Reformen von ihrem Kernauftrag abgelenkt zu werden. Nur so lässt
sich wieder ein solides Bildungsfundament aufbauen.
Nicht
zuletzt muss den Lehrerinnen und Lehrern von Seiten der Öffentlichkeit, vor
allem der Eltern und der Schulbehörden, wieder jene Wertschätzung für ihre
verantwortungsvolle Lehrtätigkeit und Erziehungsarbeit entgegengebracht werden,
die heute viele zunehmend vermissen lassen. Das wären die besten
Voraussetzungen, um weiterhin geeignete Frauen, aber auch Männer für den
Lehrerberuf zu gewinnen und sie auch längerfristig in diesem Beruf zu halten –
damit der Lehrermangel wieder der Vergangenheit angehört. Zum Wohle unserer
Kinder.
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