Auf dem Schweizer
Lehrstellenmarkt ist es in den vergangenen Jahren zu eklatanten Verschiebungen
gekommen. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik(BFS),die das Tamedia-Datenteam
ausgewertet hat. Die Bereiche Betreuung, Gesundheit und Informatik boomen.
Begannen 2010 noch gut 2500 Jugendliche eine Lehre als Fachmann/Fachfrau Betreuung,
waren es 2018 bereits über 3800. Sie arbeiten etwa in einer Kita, in einem
Altersheim oder einer Institution mit beeinträchtigten Menschen. Auch den Beruf
Fachmann/Fachfrau Gesundheit wählen heute 50 Prozent mehr Jugendliche. Zudem wächst
ein weiterer Lehrberuf, der die zwei Berufszweige vereint: die zweijährige Attestlehre
Gesundheit und Soziales. 2011 erschaffen, begannen 2018 bereits über 1000
Personen diese Lehre.
So wandelt sich der Lehrstellenmarkt, Basler Zeitung, 27.11. von Tim Wirth und Sven Cornehis
Die Arbeitgeber regulieren
Seit 2010
macht zudem fast ein Drittel mehr Schweizerinnen und Schweizer eine Informatik-Lehre.
Ein Trend, der nicht stoppen wird, wie Zahlen zeigen, die das Meinungsforschungsinstitut
GFS Bern für diese Zeitung berechnet hat: Der Bereich «Industrie, Technik, Informatik»
wächst stark. Gab es bei diesen Berufen im Sommer vor einem Jahr 9546 neue Lehrstellen,
waren es diesen Sommer bereits 16979.
Darunter fallen
neben der Informatik unter anderem auch Berufe im Metallbau und in der Elektrotechnik.
«Die IT-Betriebe brauchen Fachkräfte. Weil sie diese nicht auf dem Markt
finden, schaffen sie Lehrstellen», sagt Serge Frech. Er ist Geschäftsführer des
Verbands ICT-Berufsbildung Schweiz. Im Unterschied zu Ländern wie Deutschland
oder Dänemark regulieren in der Schweiz die Arbeitgeber den Lehrstellenmarkt. Wollen
sie ein neues Berufsbild schaffen, müssen sie auf den Staat zukommen. Nur
selten kommen jedoch neue Grundbildungen zum bestehenden Kanon der rund 230 Lehrberufe hinzu. Zehn waren es laut dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung
und Innovation (SBFI) seit 2010, unter anderem
die Medizinproduktetechnologin oder der Hörsystemakustiker.
Der Bund überprüft
am Ende, ob es einen neuen Lehrberuf wirklich braucht. Der IT-Quereinsteiger
Stefan Wössner kritisierte dies im «St.Galler Tagblatt». Er will den Lehrberuf
«Frontend-Entwickler» neu erschaffen, weil es zu wenige Fachkräfte gebe, die
Layouts von Websitesentwickelten. «Die Bestrebungen drohen in den umständlichen
Windungen von Bund und Verbänden im Sand zu verlaufen», sagt Wössner.
Bildungsforscher Stefan Wolter von der Universität Bern verteidigt das
Schweizer System. Der Bund sichere die Qualität der Lehrberufe. Wolter erinnert
an die Aerobic-Welle in den 90erJahren. «Damals forderten die Studios eine
Aerobic-Trainer-Lehre», sagt er. Das SBFI habe diese zum Glück nicht genehmigt,
denn sonst würden heute viele Aerobic-Fachleute auf der Strasse stehen. Dass
Lehrberufe aussterben, kommt selten vor. 13 waren es seit 2010. Zu ihnen
gehören der Etuimacher und die Fotolaborantin. «Es sind Berufe, für die es
keine Nachfrage mehr gibt», sagt Irene Kriesi vom Eidgenössischen
Hochschulinstitut für Berufsbildung. Entweder weil sie durch den technologischen
Wandel überflüssig werden oder weil die Produktion ins Ausland verlagert wurde.
Fachmänner Gesundheit
Viel
weniger Lernende gibt es laut den BFS-Zahlen bei den Coiffeuren und den Kosmetikerinnen.
2018 starteten weniger als 1000 Coiffeusen die Lehre. Acht Jahre zuvor waren es
noch knapp1400. Damien Ojetti, Zentralpräsident von Coiffure Suisse, sagt: «Der
Verband überprüft dieses Jahr die Grundbildung und den verhältnismässig tiefen
Lohn.» Auch in der Nahrungsmittelbranche und im Gastgewerbe machen immer
weniger Menschen eine Lehre. Köche, Fleischfachfrauen und
Restaurationsfachmänner – überall sinkt die Zahl der Lehrstellen. Diese
Entwicklung hält an, wie die Auswertungen von GFS Bern verdeutlichen. Im Sommer
2018gab es noch 7571 neue Lehrstellen im Bereich «Nahrung, Gastgewerbe,
Hauswirtschaft». Diesen Sommer waren es nur noch 5416.«Die Gastronomie ist im
Wandel», sagt Daniel C. Jung, stellvertretender Direktor von Gastro Suisse. Im vergangenen
Sommer startete die reformierte Grundbildung für Restaurantfachfrauen. Neu
können die Lernenden Module wie «Jung-Barista» oder «Jung-Sommelier» auswählen.
«Damit wird auf die neuen Marktbedürfnisse reagiert, unter anderem von casual
geprägten Gastrobetrieben», sagt Jung. Relativ konstant hält sich das KV. Rund
14000 Lernende starten pro Jahr, wie der Kaufmännische Verband mitteilt. Das KV
ist denn auch die beliebteste Lehre, sowohl bei Frauen als auch bei Männern.
Ansonsten unterscheiden sich dieTop 5 der Männer und der Frauen in diesem Jahr laut
GFS aber. Noch immer favorisieren Männer eher technische Berufe, bei Frauen
sind Lehren in der Betreuung und in der Krankenpflege beliebt. Die Auswertung der
Zahlen zeigt aber, dass sich diese Stereotype aufweichen, besonders in den
wachsenden Branchen. 2018 begannen mehr als doppelt so viele Fachmänner
Betreuung und Gesundheit ihre Lehre als noch 2010.Und auch 40 Prozent mehr
Informatikerinnen. «Der Dienstleistungssektor und insbesondere die
Medizinbranche und der soziale Bereich werden vermutlich weiterwachsen», sagt
Bildungsforscherin Irene Kriesi. Und alles, was mit Technologie zu tun habe.
Als Zukunftsberuf nennt sie den Schwerpunkt «Onlinehandel», den Detailhandelsfachmänner
ab 2022 wählen können.
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