Geht es nach dem Bund, wird die kaufmännische Ausbildung schon 2022 auf den Kopf gestellt. Statt um Fächer geht es dann um Kompetenzen und ein ganzer Leistungszug wird gestrichen. Bildungsdirektorin wie auch der Landrat befürchten grosse Schwierigkeiten und fordern mehr Zeit.
«Schockiert», «konsterniert», «entsetzt»: Landrat will sich beim Bund gegen Reform der KV-Lehre wehren, BZ Basel, 22.4. von Michael Nittnaus
Wenn es um Kritik
an Bildungsreformen geht, dreht sich meist alles um die Volksschule. Bisher
fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit steht auf Bundesebene aber eine
Reform auf der Zielgeraden, welche direkt danach ansetzt und die grösste Gruppe
der Lernenden im Baselbiet vor eine unsichere Zukunft stellt: jene der
KV-Lehrlinge. Rund 2200 von 6000 Lernenden wählen in Baselland eine Ausbildung
zur Kauffrau oder zum Kaufmann statt des Weges über eine Mittelschule.
Das Staatssekretariat
für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) plant eine Totalrevision der KV-
und Detailhandelsberufe – und das bereits per 2022. Zurzeit läuft eine zweite
Vernehmlassungsrunde bis Ende Juni. Die erste Runde endete vor wenigen Tagen
und offenbarte, dass der Widerstand bei vielen Kantonen und auch den
betroffenen Institutionen massiv ist.
In einem Jahr sind
Probleme nicht zu lösen
Grund genug für die
Baselbieter FDP, dass das Thema endlich auch die Kantonspolitik beschäftigt:
Mit einer Dringlichen Interpellation wollte sie an der Landratssitzung von
heute Donnerstag von der Regierung wissen, wie diese zur Reform steht und ob
sie eine Möglichkeit sieht, beim SBFI eine Verschiebung der Pläne auf 2023 zu
erwirken. Damit rannte die FDP-Fraktion bei ihrer eigenen Regierungsrätin
Monica Gschwind, die passenderweise Bildungsdirektorin ist, offene Türen ein.
Gschwind nutzte es als Steilpass für eine eindringliche Rede, in der sie die
Schwächen der KV-Reform schonungslos benannte.
Das sind die
wichtigsten Änderungen:
- Die klassische Fächerstruktur der
KV-Ausbildung soll aufgelöst werden. Neu müssen die Jugendlichen
Kompetenzen erlangen. Anstatt Deutsch und Mathematik steht dann im
Stundenplan «Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld» oder
«Gestalten von Kunden- und Lieferantenbeziehungen», berichtete etwa «Watson».
- Fächer wie Finanz- und Rechnungswesen sind nicht
mehr obligatorisch.
- Es soll nur noch eine Fremdsprache
obligatorisch sein.
- Von den drei Leistungszügen B (Basis), E
(erweitert) und M (Berufsmatur) könnte B oder E komplett gestrichen
werden.
- Bei der Lehrabschlussprüfung gibt es keine
Noten pro Fach mehr.
«Fachkenntnisse in
Finanz- und Rechnungswesen sind essenziell», hielt Gschwind fest und zeigte
sich «sehr skeptisch». Und die Fremdsprachen-Reduktion sei politisch derart
brisant, dass nun der Bundesrat in den Entscheid eingebunden werden soll.
Grundsätzlich sagt sie:
«Es
kommt zu einem pädagogischen Paradigmenwechsel, der eine ganz neue
Schulorganisation benötigt.»
Gschwind stützt
denn auch die Forderung der FDP nach einer Verschiebung der Reform auf 2023/24.
Denn: «Es gibt so viele offene Fragen und diverse Bedenken, die nicht bis Ende
Jahr gelöst werden können.»
Reform wirkt sich
auch auf FHNW aus
Quer durch alle
Fraktionen lösen die Pläne des Bundes Kopfschütteln aus. «Ich bin schockiert»,
sagte Andreas Dürr (FDP). «Ich bin konsterniert», fügte Jan Kirchmayr (SP) an
und «Ich bin entsetzt», stimmte dessen Vater Klaus Kirchmayr (Grüne) in den
Chor ein. Das SBFI habe etwas im Elfenbeinturm erarbeitet, ohne die Basis, die
Schulen, zu fragen. Mehrere Stimmen warnten auch, dass die Jugendlichen, die in
diesen Monaten einen KV-Lehrvertrag abschliessen, gar nicht wüssten, was auf
sie zukommt. Und auch der erfolgreiche Abschluss der Berufsmaturität sei
gefährdet und damit der Anschluss an die Fachhochschule Nordwestschweiz.
Da die Musik aber
auf Bundesebene spielt, sind die Möglichkeiten Basellands beschränkt,
einzugreifen. Dürr kündigte an, parteiübergreifend eine Resolution anzustossen.
Und Gschwind zeigte auf, über den Bildungsraum Nordwestschweiz bereits Druck
auf das SBFI auszuüben. Ein Alleingang Basellands, Basel-Stadts, Solothurns und
Aargaus sei aber nicht möglich. In der Berufsbildung entscheide am Ende der
Bund.
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