Es war
eine erschreckende Erkenntnis: Jede fünfte Frau in der Schweiz, die älter als
16 Jahre ist, hat bereits einen sexuellen Übergriff erlebt. So das Resultat
einer Studie, welche Amnesty International Mitte Mai veröffentlicht hat. 4500
Frauen wurden für die repräsentative Umfrage befragt. Mehr als jede Zehnte
berichtete, vergewaltigt geworden zu sein. Seither bewegt das Thema die
Schweiz. Das zeigte auch die grosse Resonanz des Frauenstreiks: Am vergangenen
Freitag nahmen allein in Basel 40 000 Personen an der Demonstration teil, um
auf Missstände zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen.
Mädchen sollen kämpfen lernen, Basellandschaftliche Zeitung, 18.6. von Mélanie Honegger
Nun setzen sich
Basler Politiker und Politikerinnen für konkrete Massnahmen ein.
Basta-Grossrätin Beatrice Messerli hat gemeinsam mit Mitgliedern aus der SP und
der GLP eine Motion eingereicht, welche für Basler Schulen Projektwochen zu
sexueller Gewalt vorsieht. Der Regierungsrat solle innerhalb eines Jahres ein
Konzept erarbeiten lassen, welches Selbstverteidigungskurse für Schülerinnen
beinhaltet. Die Forderung erhält parteiübergreifend Zuspruch. Zu den
Mitunterzeichnerinnen gehört auch die jüngste Grossrätin des Kantons, Jo
Vergeat von den Jungen Grünen. «Ich hätte in der Schule gerne gelernt, mich in
unangenehmen Situationen zu wehren», sagt die 25-Jährige gegenüber der bz. «Als
junge Frau ist man immer wieder mit Angst und Unwohlsein konfrontiert, wenn man
alleine unterwegs ist.» Mit vierzehn Jahren sei sie von ihrer Mutter in einen
Selbstverteidigungskurs geschickt worden. «Eine gute Erfahrung», wie sie heute sagt.
Parteiübergreifender Zuspruch
Auch bei bürgerlichen Frauen findet die Idee
Unterstützung. «Ich habe selbst vor zwei Jahren einen Selbstverteidigungskurs
besucht», so GLP-Grossrätin Esther Keller. «Wenn ich heute nachts alleine
unterwegs bin, fühle ich mich sicherer als zuvor.» Sie finde es sinnvoll, ein
entsprechendes Angebot in der Schule zu schaffen. Und auch Martina Bernasconi
von der FDP begrüsst den Vorschlag: «Ich finde die Motion richtig und hätte sie
auch unterschrieben, wenn ich gefragt worden wäre.» Die Forderung der
Motionärinnen, ein Konzept zu sexueller Gewalt und Selbstverteidigung zu
erstellen, sei berechtigt.
Trotz grosser Unterstützung insbesondere von
Frauenseite: Nicht alle Politikerinnen
können dem Vorschlag etwas abgewinnen. Sie finde die Forderung nach mehr
Sensibilisierung zwar richtig, schreibt SVP-Grossrätin Gianna Hablützel-Bürki
auf Anfrage. Dies sei aber «nicht alleine Aufgabe des Staates, sondern auch des
Elternhauses».
Ähnlich klingt es bei ihrem Parteikollegen Joël Thüring. Dieser
plädiert für eine direkte Integration in den Schulunterricht: «Ich bin der
Meinung, dass es keine Projektwochen braucht.» Die Selbstverteidigung könne in
den Sport-, die Sensibilisierung für Alltagsfragen in den Sexualkundeunterricht
integriert werden. Durch die Integration in den üblichen Schulunterricht
könnten sich Schülerinnen und Schüler
ausserdem mit einer gewissen Regelmässigkeit mit der Thematik auseinandersetzen
und nicht nur in einer einmaligen Projektwoche.
Trotz einiger Vorbehalte: Auch
die SVP-Politiker betonen die Relevanz vermehrter Sensibilisierung. Die Motion
sei «sicher prüfenswert», so Pascal Messerli, der als Grossrat für die SVP
politisiert. Und auch Thüring betont, dass es sich um ein «wichtiges Thema»
handle.
Auch Jungen sollen profitieren
Einig sind sich die Grossratsmitglieder
auch darin, dass beide Geschlechter gleichermassen vom Projekt profitieren
müssen. Im Vorstoss ist von «separativen Einheiten»
die Rede, welche es ermöglichen sollten, das Thema geschlechterdifferenziert zu
behandeln. Wie solche geschlechterspezifischen Angebote aussehen könnten, ist
zurzeit indes noch unklar. Leila Straumann, die das Basler Amt für
Gleichstellung leitet, gibt sich zurückhaltend. Sie wolle bezüglich der Motion,
konkreten Massnahmen und Angeboten der Entscheidung des Regierungsrats nicht
vorweggreifen, schreibt sie auf Anfrage. Doch auch sie betont: «Sexuelle Gewalt
und geschlechtsspezifische Gewalt sind sehr relevante Themen, die angegangen
werden müssen.» Der Grosse Rat entscheidet nun darüber, die Motion zur
Bearbeitung an den Regierungsrat zu überweisen.
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