18. Juni 2019

'Lesen durch Schreiben' sofort verbieten


Im Thurgau werden immer mehr Volksschulen zu Lernwerkstätten umgewandelt, in der die Lehrperson nicht mehr normal unterrichten, sondern nur noch autonom lernende Schüler begleiten sollen. Der aktuelle Konflikt in Wigoltingen hat bekanntermassen auch mit solchen Umwälzungen zu tun, gegen die sich die dortigen Lehrpersonen gewehrt haben. Schulleitung und Schulbehörde beharren jedoch auf ihrem Reformkurs.

Schreibbeispiel mit Lehrerkommentar. Bild: Eltern für eine gute Volksschule

Rechtschreiben oder schlechtschreiben? Eltern für eine gute Volksschule, 18.6.

Als Beispiel für solch ein autonomes Lernen zeigte der ehemalige Gründungsrektor der PH Zug, Dr. Carl Bossard, anhand des Schreib- und Leseunterrichts auf, warum so viele Schulabgänger spürbare Lücken im Rechtschreiben zeigen. Doch allzu viele sehen weg oder beschönigen. Eine Studie der Universität Freiburg zeigt auf, dass Kinder aus der Schweiz deutlich mehr Fehler als deutsche und österreichische machen.

Untersucht wurden 1'650 Primarschüler im deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg. Die Ergebnisse decken sich mit einer Studie im Kanton Solothurn und einer repräsentativen Stichprobe im Kanton Bern. Die Gründe für die schwächeren Leistungen von Schweizer Kindern in der Rechtschreibung verortet der Wissenschaftler im Unterricht und in den Lehrmitteln. Lautorientiertes und freies Schreiben stünden im Vordergrund. Das geht auf Kosten der korrekten Orthografie. Man will so die Kleinen zu furchtlosen Schreibern heranbilden. Üben und Wiederholen, diese uralten Prinzipien aus der Zeit vor den reformpädagogischen Innovationen, scheinen überholt.

Seit Jahren werden im deutschsprachigen Raum viele Kinder nach einem Konzept alphabetisiert, bei dem sie sich die Schriftsprache selber erarbeiten sollen. Auch bei allen im Thurgau obligatorischen Lehrmitteln ist diese Methode integraler Bestandteil. Das Konzept verspricht, die Kinder das Schreiben individuell und nach eigenem Tempo lernen zu lassen – eben selbstgesteuert oder autonom.

Auf ihre Wirkung untersucht wurde dieses Konzept erst vor Kurzem. „Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie sind katastrophal, eigentlich müsste ‚Lesen durch Schreiben‘ sofort verboten werden“, urteilt der emeritierte Zürcher Pädagogikprofessor Jürgen Oelkers.

Im Publikum der Veranstaltung im Evangelischen Kirchgemeindehaus Weinfelden hatten sich am Samstag Nachmittag neben vielen Eltern auch Nationalrätin Verena Herzog und Alt-Nationalrat Peter Schmid eingefunden. Gemeinsam wurde festgehalten, wie wertvoll es sei, dass der Zusammenschluss „Eltern für eine gute Volksschule“ solche bildungspolitischen Fragen zur Diskussion stellt. Nur durch einen ruhigen Dialog in der Sache lassen sich so heftige Auseinandersetzungen wie in Wigoltingen vermeiden.

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