30. Mai 2016

Feige Kritik an Forscherin

Da wird von allen Seiten immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass man vermehrte empirische Evidenz bei den Frühfremdsprachen habe. Nun kommt eine Forscherin und liefert Daten. Sorgfältig ausgewertete Daten. Und jetzt folgt das Unerhörte: Anstatt, dass man sich für ihren Beitrag bedankt, schüttet man Spott und Häme über der Forscherin aus. Zuerst bezweifelt man die Qualität der Studie, dann geht man einen Schritt weiter und erklärt forsch, die Studie sei "offensichtlich qualitativ nicht genügend". Doch der Vorwurf ist haltlos und wird von verschiedenen Forschern vehement bestritten. Er ist ein Indiz dafür, wie fahrlässig und schlampig die verantwortlichen Stellen in Sachen Frühfremdsprachen argumentieren. Neu wird nun von "statistischen Mängeln" gemunkelt. Doch weder Eymann noch Wolter wollen sich konkret äussern. Das ist feige. Derweil kuscht Simone Pfenninger nicht vor den Exponenten der Schweizer Bildungspolitik. Die Argumente sind auf ihrer Seite. (uk)
Simone Pfenninger reagiert gelassen auf die Anwürfe, Bild: Sabina Bobst
Im Kreuzfeuer des Sprachenstreits, Tages Anzeiger, 30.5. von Mirjam Fuchs
Als die Linguistin Simone Pfenninger im Herbst 2014 ihre Studie zum Frühenglisch veröffentlichte, stach sie in ein politisches Wespennest. Die Resultate legten den Schluss nahe, dass die Einführung von Fremdsprachen in der Primarschule wenig bringt. In den zahlreichen Presseinterviews, die folgten, nahm sie kein Blatt vor den Mund: «Das heutige Kurzfutterkonzept mit rund zwei Wochenlektionen in der Primarschule pro Sprache ist zum Scheitern verurteilt», sagte Pfenninger zum «Tages-Anzeiger». Und zur «NZZ am Sonntag»: «Englisch kann man auf die Oberstufe verschieben.»

«Vage Empfehlungen bringen nichts», sagt die 35-Jährige im Gespräch am Englischen Seminar der Universität Zürich, wo sie als Oberassistentin arbeitet. Über ihre Forschung zu informieren, ist ihr ein Anliegen. Sie spricht oft auf Podien oder in den Medien. Deshalb kennen Eltern, Schulkritiker und Bildungspolitiker ihren Namen.
Mittlerweile ist Pfenningers Studie zum Spielball der Frühfremdsprachen-Debatte geworden – und die Verfasserin zur Zielscheibe öffentlicher Kritik. Dass die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse instrumentalisiert, ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist, dass die betroffene Forscherin selbst­sicher dagegenhält.

Lieblingsforscherin der Gegner
Am Anfang der Geschichte steht die Idee der jungen Forscherin und ausgebildeten Gymnasiallehrerin zu einer Langzeitstudie. Zwischen 2008 und 2015 untersuchte Pfenninger die Englischkenntnisse von 500 Zürcher Gymnasiasten zu Beginn und am Ende ihrer schulischen Ausbildung. Die einen Schüler hatten bereits seit der Primarschule Englischunterricht, die anderen fingen erst in der Oberstufe damit an. Pfenninger fand heraus: Schon nach sechs Monaten hatten die meisten Spätlerner den Vorsprung der Frühlerner eingeholt. Kurz vor der Matur fand die Linguistin keinerlei Unterschiede mehr. Ein dankbarer Stoff für die Medien, die den Befund sofort zuspitzten: «Frühenglisch bringt nichts», schrieb SRF.

In der Schweiz lernt ein Kind heute spätestens in der dritten Primarschulklasse eine zweite Landessprache oder Englisch. In der fünften Klasse kommt die zweite Fremdsprache dazu. Diese Strategie beschloss die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungs­direktoren (EDK) 2004. Gegen das Frühfremdsprachenmodell regt sich nun aber immer mehr Widerstand. In mehreren Kantonen sind Initiativen angekündigt mit dem Ziel, eine Sprache aus dem Lehrplan der Primarschule zu streichen. Anfang 2016 reichten überparteiliche Komitees in den Kantonen Zürich und Baselland solche Initiativen ein, im Kanton Thurgau wurde Frühfranzösisch im April aus dem künftigen Lehrplan getilgt. Die Initiativkomitees zitieren gerne Pfenningers Studie, um ihre Forderungen zu untermauern. Simone Pfenninger ist zur Lieblingsforscherin der Frühfremdsprachengegner geworden.

Mit Namen steht niemand hin
Im März schaltete sich der höchste Bildungspolitiker des Landes in die Debatte ein, der Basler Erziehungsdirektor und Präsident der EDK, Christoph Eymann (LDP). Unter Eymann hat Basel-Stadt als einer der ersten Kantone den umstrittenen Lehrplan 21 eingeführt. In einer Replik auf einen schulkritischen Artikel der «Basler Zeitung» schrieb er zu Pfenningers Studie: Sie sei «offensichtlich qualitativ nicht genügend».
Der Politiker griff somit die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftlerin an. Er verweist auf einen Bericht, den Bund und Kantone von der Universität Aarhus in Dänemark erstellen liessen. Dieser Bericht zeigt, was die internationale Forschung zum gleichzeitigen Erlernen von mehreren Fremdsprachen sagt. Pfenningers Studie ist nicht dabei. Für Eymann ein Beleg, dass ihre Ergebnisse nicht beachtet werden müssen. Er stützte sich dabei auf Stefan Wolter, den Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF). Wolter, ebenfalls eine gewichtige Stimme in der Schweizer Bildungslandschaft, wertete den Bericht aus. Laut Wolter gibt es keine Forschungsergebnisse, die eine Veränderung des Schweizer Modells nahelegen würden.

Pfenninger wollte das nicht auf sich beruhen lassen. Sie forderte von den dänischen Gutachtern eine Stellungnahme, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegt. Daraus wird ersichtlich, dass der Bericht nur Studien vor Juli 2014 berücksichtigt. Zwei frühere Artikel von Pfenninger wurden zwar geprüft, aber nicht in den Bericht aufgenommen. Dass jedoch ihre erst später publizierte Langzeitstudie den Qualitätsanforderungen nicht genüge, könne «auf keinen Fall» aus diesem Entscheid abgeleitet werden, schreibt die Direktorin des Forschungsinstituts.

Eymann hält dennoch an seiner Meinung fest, dass die Langzeitstudie der Zürcher Forscherin ungenügend sei. Anfang Mai wiederholte er seine Kritik im Basler Parlament. Eine Anfrage des «Tages-Anzeigers» wollte er nicht selbst beantworten, aus dem Umfeld von Eymann heisst es, die Studie weise statistische Mängel auf. Mit Namen hinstehen will niemand – auch SKBF-Direktor Wolter hat eine Stellungnahme abgelehnt.

Preisgekrönte Studie
Der Verdacht drängt sich auf, dass es hier nicht nur um einen Expertenstreit geht, sondern auch um Empfindlichkeiten von Politikern und Chefbeamten, die bei einem entscheidenden Dossier unter Druck geraten sind. Jedenfalls lässt sich die Studie von Simone Pfenninger nicht einfach so als wertlos abtun. Immerhin hat sie letztes Jahr damit den Zürcher Mercator-Preis für Nachwuchsforschung gewonnen. «Die Arbeiten von Simone Pfenninger sind von herausragender Qualität und in den wichtigsten Fachzeitschriften ihres Forschungsgebiets veröffentlicht worden», sagt auch Jean-Marc Dewaele, Professor für Angewandte Linguistik an der Birkbeck-Universität in London.
Pfenninger begegnet der Kritik an ihrer Studie gelassen. «Aus Fachkreisen erhalte ich viel Anerkennung, deshalb lasse ich mich nicht so schnell aus der Bahn werfen», sagt sie. Nächstes Jahr sollen die Ergebnisse der Langzeitstudie in Buchform unter dem Titel «Beyond Age Effects» erscheinen.

Gut möglich, dass die Gegner der frühen Fremdsprachen davon enttäuscht werden. Pfenninger legt nicht etwa eine Kampfschrift gegen das Frühenglisch vor, sondern eine differenzierte Untersuchung der Faktoren, die beim Sprachenlernen im Schulzimmer Erfolg bringen. Entscheidender als das Alter seien Dauer und Intensität der Auseinandersetzung.


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