Auf der Primarschul-Stufe in Kriens
werden die Hausaufgaben aufs Schuljahr
2018/19 hin abgeschafft. Stattdessen werden neu jeden Vormittag während der
regulären Lektionen 20 bis 30 Minuten individuell Aufgaben gelöst und Übungen
gemacht – je nach Bedarf der einzelnen Kinder. Zudem sollen die Schülerinnen
und Schüler je nach Stufe an zwei bis drei Nachmittagen pro Woche je 20 bis 30
Minuten eine sogenannte freiwillige Lernzeit absolvieren können.
Eine schwierige Aufgabe, Luzerner Zeitung, 3.4. von Susanne Balli
Kriens begründet die Abschaffung der
klassischen Hausaufgaben mit mehreren Argumenten. Erstens sollen die
Kinder entlastet werden und genügend freie Zeit nach der Schule zur Verfügung
haben. Es ist laut Rektor Markus Buholzer eine Tatsache, dass Kinder mit der
neuen Wochenstundentafel mehr Lektionen besuchen müssen. Da wolle man ihre
knapp bemessene Freizeit nicht noch mit Hausaufgaben füllen. Zweitens führt Kriens die Chancengleichheit als Argument gegen
Hausaufgaben an. Viele Eltern seien berufstätig und könnten die Kinder bei den
Hausaufgaben nicht begleiten. Kaum Unterstützung gebe es in der Praxis für
Kinder von bildungsfernen Familien. Durch die neuen Lernzeiten innerhalb des
Unterrichts sollen alle Kinder die gleichen Lernmöglichkeiten haben.
Als drittes Argument nennt Kriens die
Erkenntnis verschiedener Studien, wonach Hausaufgaben nur wenig bis keine
Wirkung zeigten. Hausaufgaben müssten auf den individuellen Lern- und
Entwicklungsstand der Schüler angepasst sein, damit sie etwas brächten. Dies
sei in der Praxis nicht zu leisten.
Anders sehen es die Befürworter von
Hausaufgaben. Hausaufgaben würden verschiedene Eigenschaften schulen, die später
in Ausbildung und Beruf wichtig seien. Zum Beispiel Selbstdisziplin,
Pflichtbewusstsein, Durchhaltevermögen, Zeitmanagement, selbstständiges
Arbeiten und die Fähigkeit, Probleme selbstständig zu lösen, wie der Germanist,
Historiker und Didaktiker Mario Andreotti gegenüber unserer Zeitung ausführte.
Viele Fächer kämen ohne Hausaufgaben nicht aus, weil für das Einüben und die
Vertiefung eines neuen Lernstoffes die reguläre Unterrichtszeit nicht
ausreiche.
Hausaufgaben seien für die Eltern ein
«Fenster der Schule». So kann man es auch in der Hausaufgaben-Umsetzungshilfe nachlesen,
welche die kantonale Dienststelle für Volksschulbildung Schulleitungen und Lehrern
zur Verfügung stellt. Hausaufgaben zeigten den Eltern, woran die Kinder
arbeiteten, welchen Schulstoff sie behandelten und wie sie damit klarkämen,
lautet ein weiteres Argument der Verfechter von Hausaufgaben. Als Schwyz 1993
als erster Kanton die Hausaufgaben in der Volksschule abschaffte, gab es denn
auch besonders von Seiten der Eltern grossen Widerstand. Schliesslich machte
Schwyz den Entscheid vier Jahre später rückgängig und führte die Hausaufgaben
wieder ein.
Eine absolute Chancengleichheit in der
Schule ist für die Befürworter eine Utopie. Ob mit oder ohne Hausaufgaben
– die Bildungschancen von Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen
Schichten seien unterschiedlich. Und dem Argument der Gegner, Hausaufgaben
sorgten für gestresste Kinder, steht das Argument der Befürworter gegenüber,
der Stress sei vor allem durch das riesige Angebot an Freizeitbeschäftigungen
bedingt. Viele Kinder hätten in der Freizeit schlicht zu viele Aktivitäten.
Hausaufgaben haben eine lange
Tradition: Sie wurden bereits im 15. Jahrhundert mit der Entstehung der
ersten öffentlichen Schulen erwähnt. «Hausaufgaben sind ähnlich stark
verwurzelt wie das Notensystem. Sie lassen sich nicht so einfach abschaffen»,
sagte Annamarie Bürkli, Präsidentin des Luzerner Lehrerinnen- und
Lehrerverbands. Sie sieht in Hausaufgaben sowohl Vor- als auch Nachteile.
Eine Tatsache, die man nicht
wegdiskutieren kann: Bei zahlreichen Familien sorgen Hausaufgaben für Konflikte. Viele
Eltern wähnen sich in der Verantwortung, dass ihr Kind die Hausaufgaben macht.
Das nimmt unweigerlich Zeit in Anspruch, die viele Eltern heute nicht mehr
aufbringen wollen oder können. Dann werden Hausaufgaben als Belastung und
Konfliktherd im Familienleben empfunden.
Soweit muss es nicht kommen. Die
schulische Leistung sollte nicht davon abhängig
sein, ob Kinder von ihren Eltern bei den Hausaufgaben unterstützt
werden oder nicht. In erster Linie ist es für Kinder wichtig,
dass sich die Eltern überhaupt für das, was sie bewegt, interessieren. Alleine
dadurch können Eltern ihre Kinder unterstützen und für die Schule motivieren.
Werden Hausaufgaben erteilt, sollen sie
primär Sache zwischen Schülern und Lehrpersonen sein – nicht
zwischen Schülern und Eltern. Und sie sollen sinnvoll sein. Das heisst, es muss
den Kindern klar sein, wie sie die Aufgaben selbstständig lösen und mit welchen
Hilfsmitteln sie dies erreichen können. Zudem sollen die Hausaufgaben im
Unterricht wieder aufgegriffen und weitergeführt werden. Damit stehen auch für Kinder aus bildungsfernen Familien die
Chancen besser, Erfolg in der Schule und später im Beruf zu haben.
Ein Punkt, der auch eher für
Hausaufgaben spricht: Nach der Schule folgen in der Regel weitere Ausbildungen. In einer
Lehre, an der Mittelschule, der Hochschule oder Universität kommt der Moment,
wo selbstständiges Lernen ausserhalb der Unterrichtszeit unerlässlich ist. Wer
diese Erfahrung während der obligatorischen Schulzeit nicht machen konnte, wird
möglicherweise Mühe haben.
Und es ist eine Tatsache, dass Lernen
ohne Wiederholung und Übung nicht funktioniert. Das
Arbeitsgedächtnis behält Neues nur kurz, viele Informationen, mit denen das
Hirn gefüttert wird, verflüchtigen sich sehr schnell. Neu erworbene
Lerninhalte fallen wieder aus dem Bereich aktiv verfügbaren Wissens. Ohne
Repetition und ohne Üben bleibt davon am Ende nichts übrig. Es wird also auch
für die Primarschule in Kriens unerlässlich sein, den Kindern genügend
Möglichkeiten für das Üben und Repetieren von neuem Schulstoff zu bieten.
Dabei darf man nicht vergessen, dass
die Schule bereits heute enorm viele Aufgaben zu bewältigen hat. Sie muss
nicht nur Schulstoff vermitteln, sondern auch lernschwache und -starke Kinder
integrieren, sozialisieren, die Schüler beim Erwerb von Kompetenzen
unterstützen, Musisches und Kreatives fördern und die Kinder zur Freude an der
Bewegung ermutigen. Das ist viel. Und die Liste könnte beliebig weitergeführt
werden. Ob dabei der Raum und die Zeit zum Üben und Vertiefen innerhalb des
Unterrichts bleibt, ist kritisch zu hinterfragen.
Für die Volksschule Kriens ist es daher
unerlässlich, genau hinzuschauen, wie sich das neue Modell ohne
Hausaufgaben bewährt, und wie die neuen Lernzeiten in der Praxis funktionieren.
Und sie muss auch bereit sein, das neue Modell wieder über Bord zu werfen,
sollte es mehr Nach- als Vorteile bringen. Fazit: Kriens steht mit der Aufgabe
der klassischen Hausaufgaben eine ziemlich schwierige Aufgabe bevor. Aber die
Gemeinde soll versuchen dürfen, diese zu meistern.
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