20. Juli 2019

Angespannte Situation bei ausgetrocknetem Stellenmarkt


Der Lehrermangel im Kanton Bern spitzt sich zu. In Thun konnte man mit Ach und Krach die nötigen Stellen fürs nächste Schuljahr besetzen. Den Lehrkräften fehlt es an Wertschätzung. Und Geld.
Vom Ende eines Traumberufes, Jungfrau Zeitung, 15.7. von Nils Sager



Für das kommende Schuljahr fehlen Lehrer. Über fünfzig Stellen im Kanton Bern sind einen knappen Monat vor dem Start des neuen Schuljahres noch unbesetzt. Die meisten davon Jobs auf der Stufe Kindergarten und Primarschule. Dort also, wo der Grundstein in Erziehung und Bildung der nächsten Generation gelegt wird. Dort, wo die Zukunft heranwächst. «Der Beruf ist immer anspruchsvoller geworden, die Attraktivität hat abgenommen», fasst eine Primarschullehrerin aus Thun die Probleme zusammen. Sie möchte anonym bleiben. Seit vielen Jahren ist sie nun Lehrerin. Als sie sich auf ihre erste Stelle beworben hat, gab es 108 Mitbewerberinnen, erzählt sie. Heute könne man die Interessenten an einer Hand abzählen. Und: «Stellvertretungen sind fast gar nicht mehr zu bekommen.»

Die Gründe für den Lehrkräftemangel sind vielfältig. Pensionierungen, mehr Teilzeitarbeit, steigende Schülerzahlen, da kommt einiges zusammen. Dazu hat der Beruf Lehrerin in der Vergangenheit an Attraktivität eingebüsst. Die Anforderungen von Gesellschaft und Politik seien gestiegen, findet die Primarschullehrerin aus Thun. «Ich bin dankbar, dass ich so eine grosse Routine habe, um all die neuen Entwicklungen zu meistern», sagt sie. An ihrer Schule unterrichten auch Studierende der Pädagogischen Hochschule (PH) im Praxissemester. Die Lehrerin stellt fest: «Der Unterricht verlangt ihnen ziemlich schnell alles ab».

Neue Massnahmen
«In den letzten Wochen hat die Anzahl offener Stellen an der Volksschule kontinuierlich abgenommen», zeigt sich Regierungsrätin Christine Häsler optimistisch. Ihre Erziehungsdirektion begegnet dem Lehrkräftemangel mit einem Massnahmenkatalog: Aktuelle Lehrpersonen sollen ihre Teilpensen erhöhen, im Bedarfsfall können PH-Studierende und pensionierte Lehrkräfte eingesetzt werden. Ausserdem wolle man «Sorge tragen zu den amtierenden Lehrkräften», so Häsler.

Dabei hat ihre Direktion 2016 selbst festgestellt, dass man bei den Gehältern für Lehrkräfte im kantonalen Vergleich hinterherhinkt. Im letzten Jahr lag der Jahreslohn einer Primarlehrerin mit elf Dienstjahren 11'561 Franken unter dem Durchschnitt in der Deutschschweiz. Ein politischer Vorstoss, diesen Rückstand aufzuholen, ist im Grossen Rat gescheitert – auch am Nein des Regierungsrates.

 «Wir verurteilen diesen Entscheid», hiess es damals von Bildung Bern, dem Berufsverband der Lehrkräfte im Kanton. «Mit unattraktiven Rahmenbedingungen hält der Kanton weder erfahrene, professionelle Lehrpersonen, noch zieht er gute neue oder wiedereinsteigende an», schreibt der Verband in einer Mitteilung zum aktuellen Lehrkräftemangel. Darin empfiehlt Bildung Bern den Schulleitungen, als Notmassnahme, Lektionen ausfallen zu lassen, falls kein entsprechend ausgebildetes Personal gefunden wird.

Angespannte Lage
In Thun kann man sich glücklich schätzen. Bis auf einzelne Speziallektionen habe man alle offenen Lehrstellen besetzen können, sagt Gemeinderat Roman Gimmel, Vorsteher der Direktion Bildung Sport Kultur. «Teilweise jedoch erst vor wenigen Tagen», fügt er an. Im Vergleich zu früheren Jahren sei die Suche nach Lehrpersonen schwieriger geworden. «Der Stellenmarkt ist ausgetrocknet, die Situation sehr angespannt.» Für die Lektionen, die allenfalls im August noch unbesetzt sind, wolle man interne Lösungen finden.

«Es wird immer schwieriger, die Stellen zu besetzen. Man muss um gute Lehrer kämpfen», sagt auch Toni Balett, Abteilungsleiter Bildung in der Gemeinde Spiez. In diesem Jahr habe er manche Stellen mehrmals ausschreiben müssen, bis sich jemand Qualifiziertes hat finden lassen. Geholfen habe das gute Netzwerk der Spiezer Schulleitungen. Ausserdem die Lage, die Infrastruktur, der Ruf der Schulen. «Mit mehr Lohn können wir niemand locken. Aber eine gute Schule, das spricht sich rum», sagt Balett. So habe Spiez zum nächsten Schuljahr alle Stellen besetzen können.

Ungelöste Probleme
Die strukturellen Probleme sind damit freilich nicht gelöst. «Ich habe das Gefühl, ich arbeite immer mehr. Mir geht der Idealismus verloren», sagt die Primarlehrerin aus Thun. Ihr Job habe auch viel Positives. Aber: «Eine Klasse zu führen, verlangt enorm viel von einem». Sie findet: «Eigentlich müsste man das ganze Schulkonzept von null wiederaufbauen».


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