Der Lehrermangel im Kanton Bern spitzt sich zu. In Thun konnte man
mit Ach und Krach die nötigen Stellen fürs nächste Schuljahr besetzen. Den
Lehrkräften fehlt es an Wertschätzung. Und Geld.
Vom Ende eines Traumberufes, Jungfrau Zeitung, 15.7. von Nils Sager
Für das kommende Schuljahr
fehlen Lehrer. Über fünfzig Stellen im Kanton Bern sind einen knappen Monat vor
dem Start des neuen Schuljahres noch unbesetzt. Die meisten davon Jobs auf der
Stufe Kindergarten und Primarschule. Dort also, wo der Grundstein in Erziehung
und Bildung der nächsten Generation gelegt wird. Dort, wo die Zukunft
heranwächst. «Der Beruf ist immer anspruchsvoller geworden, die Attraktivität
hat abgenommen», fasst eine Primarschullehrerin aus Thun die Probleme zusammen.
Sie möchte anonym bleiben. Seit vielen Jahren ist sie nun Lehrerin. Als sie
sich auf ihre erste Stelle beworben hat, gab es 108 Mitbewerberinnen, erzählt
sie. Heute könne man die Interessenten an einer Hand abzählen. Und:
«Stellvertretungen sind fast gar nicht mehr zu bekommen.»
Die Gründe für den
Lehrkräftemangel sind vielfältig. Pensionierungen, mehr Teilzeitarbeit,
steigende Schülerzahlen, da kommt einiges zusammen. Dazu hat der Beruf Lehrerin
in der Vergangenheit an Attraktivität eingebüsst. Die Anforderungen von
Gesellschaft und Politik seien gestiegen, findet die Primarschullehrerin aus
Thun. «Ich bin dankbar, dass ich so eine grosse Routine habe, um all die neuen
Entwicklungen zu meistern», sagt sie. An ihrer Schule unterrichten auch
Studierende der Pädagogischen Hochschule (PH) im Praxissemester. Die Lehrerin
stellt fest: «Der Unterricht verlangt ihnen ziemlich schnell alles ab».
Neue Massnahmen
«In den
letzten Wochen hat die Anzahl offener Stellen an der Volksschule kontinuierlich
abgenommen», zeigt sich Regierungsrätin Christine Häsler optimistisch. Ihre
Erziehungsdirektion begegnet dem Lehrkräftemangel mit einem Massnahmenkatalog:
Aktuelle Lehrpersonen sollen ihre Teilpensen erhöhen, im Bedarfsfall können
PH-Studierende und pensionierte Lehrkräfte eingesetzt werden. Ausserdem wolle
man «Sorge tragen zu den amtierenden Lehrkräften», so Häsler.
Dabei
hat ihre Direktion 2016 selbst festgestellt, dass man bei den Gehältern für
Lehrkräfte im kantonalen Vergleich hinterherhinkt. Im letzten Jahr lag der
Jahreslohn einer Primarlehrerin mit elf Dienstjahren 11'561 Franken unter dem
Durchschnitt in der Deutschschweiz. Ein politischer Vorstoss, diesen Rückstand
aufzuholen, ist im Grossen Rat gescheitert – auch am Nein des Regierungsrates.
«Wir verurteilen diesen Entscheid», hiess es
damals von Bildung Bern, dem Berufsverband der Lehrkräfte im Kanton. «Mit
unattraktiven Rahmenbedingungen hält der Kanton weder erfahrene, professionelle
Lehrpersonen, noch zieht er gute neue oder wiedereinsteigende an», schreibt der
Verband in einer Mitteilung zum aktuellen Lehrkräftemangel. Darin empfiehlt
Bildung Bern den Schulleitungen, als Notmassnahme, Lektionen ausfallen zu
lassen, falls kein entsprechend ausgebildetes Personal gefunden wird.
Angespannte
Lage
In Thun
kann man sich glücklich schätzen. Bis auf einzelne Speziallektionen habe man
alle offenen Lehrstellen besetzen können, sagt Gemeinderat Roman Gimmel,
Vorsteher der Direktion Bildung Sport Kultur. «Teilweise jedoch erst vor
wenigen Tagen», fügt er an. Im Vergleich zu früheren Jahren sei die Suche nach
Lehrpersonen schwieriger geworden. «Der Stellenmarkt ist ausgetrocknet, die
Situation sehr angespannt.» Für die Lektionen, die allenfalls im August noch
unbesetzt sind, wolle man interne Lösungen finden.
«Es wird immer schwieriger,
die Stellen zu besetzen. Man muss um gute Lehrer kämpfen», sagt auch Toni
Balett, Abteilungsleiter Bildung in der Gemeinde Spiez. In diesem Jahr habe er
manche Stellen mehrmals ausschreiben müssen, bis sich jemand Qualifiziertes hat
finden lassen. Geholfen habe das gute Netzwerk der Spiezer Schulleitungen.
Ausserdem die Lage, die Infrastruktur, der Ruf der Schulen. «Mit mehr Lohn
können wir niemand locken. Aber eine gute Schule, das spricht sich rum», sagt
Balett. So habe Spiez zum nächsten Schuljahr alle Stellen besetzen können.
Ungelöste
Probleme
Die
strukturellen Probleme sind damit freilich nicht gelöst. «Ich habe das Gefühl,
ich arbeite immer mehr. Mir geht der Idealismus verloren», sagt die
Primarlehrerin aus Thun. Ihr Job habe auch viel Positives. Aber: «Eine Klasse
zu führen, verlangt enorm viel von einem». Sie findet: «Eigentlich müsste man
das ganze Schulkonzept von null wiederaufbauen».
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