30. Juni 2019

Zunehmend nicht qualifiziertes Personal


Für Schulleiterin Sarah Knüsel ist es ein «schlechter Witz». Einer, der sich seit Jahren wiederholt: Im Frühling wird der Lehrermangel ausgerufen, im Sommer folgt die Entwarnung. So gibt sich das Zürcher Volksschulamt auch dieses Jahr zuversichtlich, «dass es im Kanton Zürich wieder gelingen wird, dass im neuen Schuljahr keine Klasse ohne Lehrer dasteht», wie Amtsleiterin Marion Völger sagt. Dies, obwohl noch rund 270 Stellen im Kanton Zürich ausgeschrieben sind.

Notlösungen an den Schulen, NZZaS, 30.6. von René Donzé


«Selbstverständlich müssen wir für alle Kinder Lösungen finden», sagt Knüsel, die auch den Zürcher Schulleiterverband präsidiert. Die Frage sei bloss, wie diese aussähen. Tatsächlich werden Schulen immer kreativer. Oder verzweifelter. «Wir müssen nehmen, was kommt», ist der meistgehörte Satz, wenn man mit Schulleitern spricht. Jemand erzählt von einer Bewerberin, die er normalerweise nicht eingestellt hätte, da sie ihm zu labil erschien. Nun müsse das Lehrerteam diese neue Kollegin eben irgendwie mittragen. Knüsel sagt, manchmal würden bei der «Teampassung» Abstriche gemacht. Dann würden Personen eingestellt, «bei denen es sich abzeichnet, dass die Zusammenarbeit schwierig wird». Davon rät sie ab, weil sich so bloss Probleme verlagerten.

Die Qualität leidet

Zur Not werden in vielen Schulen auch Personen eingesetzt, die kein adäquates Diplom besitzen. Im Kanton Schaffhausen etwa wird eine Klasse von drei Studentinnen der Pädagogischen Hochschule geführt. In den Kantonen Bern und Zürich kann das Studium von drei auf vier Jahre verlängert und bereits in den letzten beiden Studienjahren unterrichtet werden. Bern hat über siebzig Pensionierte überzeugt, ins Schulzimmer zurückzukehren. Auch werden Personen aus dem Ausland eingesetzt. Knüsel inseriert ihre Stellen oft in Deutschland, mittlerweile ist ein Viertel des Teams deutsch.

Was vor allem zugenommen hat, sind Vikariate: Lehrpersonen, die für ein paar Monate einspringen – oft junge, urbane Lehrerinnen, die zwischendurch verreisen, oder Wiedereinsteigerinnen. «Wie erkläre ich es den Eltern, wenn ihre Kinder alle paar Monate eine neue Lehrerin haben?», fragt Knüsel. Für sie ist klar: «So leidet die Qualität des Unterrichts.» So konnten nur rund zwei Drittel der Schulen im vergangenen Sommer durchwegs qualifiziertes Personal einstellen, wie eine Umfrage des Schulleiterverbands Schweiz ergab. Beim anderen Drittel fehlte teilweise die fachliche Qualifikation.

Besonders prekär ist die Situation in den Kindergärten. Sandra Altermatt hat für ihre Schule im zürcherischen Volketswil zwei Kindergärtnerinnen gesucht. Bewerbungen: keine. «Vor fünfzehn Jahren noch hatte ich pro Stelle etwa hundertzwanzig Interessentinnen.» Nun musste sie ihr ganzes privates Netzwerk aktivieren, bis sie eine Studentin fand, die für ein paar Monate einspringt. Auch konnte sie eine Kindergärtnerin überzeugen, trotz Pensionsalter weiter zu unterrichten.

Tausende Lehrer fehlen

Im Stadtzürcher Schulkreis Glatttal werden gar zwei Kindergärten geschlossen und die Kinder auf andere Klassen verteilt. Klassenzusammenlegungen melden auch die Kantone Bern und Schaffhausen. Oberste Maxime: «Es wird alles unternommen, dass der den Schülerinnen und Schülern gesetzlich zugesicherte Unterricht auch stattfinden kann», sagt der Schaffhauser Erziehungsdirektor Christian Amsler.

So kommt es, dass trotz allem im neuen Schuljahr kein Kind ohne Lehrer dastehen wird. Das täuscht über das strukturelle Problem der Volksschule weg: Über kurz oder lang fehlen ihr Zehntausende Lehrkräfte. Erstens gehen in den nächsten Jahren viele Lehrer der Babyboomer-Generation in Pension, zweitens arbeiten jüngere Lehrerinnen vorwiegend Teilzeit und drittens gibt es immer mehr Schulkinder (Grafik). «Wir gehen davon aus, dass man pro Jahr rund 11000 Lehrpersonen ersetzen muss, weil sie entweder pensioniert werden, den Lehrberuf verlassen oder ihr Pensum reduzieren», sagt Bildungsökonom Stefan ­Wolter. Das Problem: Die Pädagogischen Hochschulen bilden jährlich bloss etwa 4000 neue Lehrerinnen aus. Der Rest müsse durch Wiedereintritte in den Beruf oder durch Pensumserhöhungen abgedeckt werden, sagt Wolter.

Für die Lehrerverbände ist die Situation günstig: Sie machen Druck für mehr Lohn und weniger Arbeitsbelastung. Teilweise mit Erfolg. Kürzlich erst glich der Kanton Schaffhausen den Lohn der Kindergärtnerinnen dem Primarlehrerlohn an. Auch in Zürich werden Massnahmen diskutiert. Hier sind die Kindergärtnerinnen trotz gleich langer Ausbildung tiefer eingestuft als Primarlehrerinnen – obwohl die Arbeit über die Jahre anspruchsvoller wurde. Bildungsdirektorin Silvia Steiner lässt nun die Situation an den Kindergärten untersuchen.


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