Für
Schulleiterin Sarah Knüsel ist es ein «schlechter Witz». Einer, der sich seit
Jahren wiederholt: Im Frühling wird der Lehrermangel ausgerufen, im Sommer
folgt die Entwarnung. So gibt sich das Zürcher Volksschulamt auch dieses Jahr
zuversichtlich, «dass es im Kanton Zürich wieder gelingen wird, dass im neuen
Schuljahr keine Klasse ohne Lehrer dasteht», wie Amtsleiterin Marion Völger
sagt. Dies, obwohl noch rund 270 Stellen im Kanton Zürich ausgeschrieben sind.
Notlösungen an den Schulen, NZZaS, 30.6. von René Donzé
«Selbstverständlich
müssen wir für alle Kinder Lösungen finden», sagt Knüsel, die auch den Zürcher
Schulleiterverband präsidiert. Die Frage sei bloss, wie diese aussähen.
Tatsächlich werden Schulen immer kreativer. Oder verzweifelter. «Wir müssen
nehmen, was kommt», ist der meistgehörte Satz, wenn man mit Schulleitern
spricht. Jemand erzählt von einer Bewerberin, die er normalerweise nicht
eingestellt hätte, da sie ihm zu labil erschien. Nun müsse das Lehrerteam diese
neue Kollegin eben irgendwie mittragen. Knüsel sagt, manchmal würden bei der
«Teampassung» Abstriche gemacht. Dann würden Personen eingestellt, «bei denen
es sich abzeichnet, dass die Zusammenarbeit schwierig wird». Davon rät sie ab,
weil sich so bloss Probleme verlagerten.
Die
Qualität leidet
Zur
Not werden in vielen Schulen auch Personen eingesetzt, die kein adäquates
Diplom besitzen. Im Kanton Schaffhausen etwa wird eine Klasse von drei
Studentinnen der Pädagogischen Hochschule geführt. In den Kantonen Bern und
Zürich kann das Studium von drei auf vier Jahre verlängert und bereits in den
letzten beiden Studienjahren unterrichtet werden. Bern hat über siebzig
Pensionierte überzeugt, ins Schulzimmer zurückzukehren. Auch werden Personen
aus dem Ausland eingesetzt. Knüsel inseriert ihre Stellen oft in Deutschland,
mittlerweile ist ein Viertel des Teams deutsch.
Was
vor allem zugenommen hat, sind Vikariate: Lehrpersonen, die für ein paar Monate
einspringen – oft junge, urbane Lehrerinnen, die zwischendurch verreisen, oder
Wiedereinsteigerinnen. «Wie erkläre ich es den Eltern, wenn ihre Kinder alle
paar Monate eine neue Lehrerin haben?», fragt Knüsel. Für sie ist klar: «So
leidet die Qualität des Unterrichts.» So konnten nur rund zwei Drittel der
Schulen im vergangenen Sommer durchwegs qualifiziertes Personal einstellen, wie
eine Umfrage des Schulleiterverbands Schweiz ergab. Beim anderen Drittel fehlte
teilweise die fachliche Qualifikation.
Besonders
prekär ist die Situation in den Kindergärten. Sandra Altermatt hat für ihre
Schule im zürcherischen Volketswil zwei Kindergärtnerinnen gesucht.
Bewerbungen: keine. «Vor fünfzehn Jahren noch hatte ich pro Stelle etwa
hundertzwanzig Interessentinnen.» Nun musste sie ihr ganzes privates Netzwerk
aktivieren, bis sie eine Studentin fand, die für ein paar Monate einspringt.
Auch konnte sie eine Kindergärtnerin überzeugen, trotz Pensionsalter weiter zu
unterrichten.
Tausende
Lehrer fehlen
Im
Stadtzürcher Schulkreis Glatttal werden gar zwei Kindergärten geschlossen und
die Kinder auf andere Klassen verteilt. Klassenzusammenlegungen melden auch die
Kantone Bern und Schaffhausen. Oberste Maxime: «Es wird alles unternommen, dass
der den Schülerinnen und Schülern gesetzlich zugesicherte Unterricht auch
stattfinden kann», sagt der Schaffhauser Erziehungsdirektor Christian Amsler.
So
kommt es, dass trotz allem im neuen Schuljahr kein Kind ohne Lehrer dastehen
wird. Das täuscht über das strukturelle Problem der Volksschule weg: Über kurz
oder lang fehlen ihr Zehntausende Lehrkräfte. Erstens gehen in den nächsten
Jahren viele Lehrer der Babyboomer-Generation in Pension, zweitens arbeiten
jüngere Lehrerinnen vorwiegend Teilzeit und drittens gibt es immer mehr
Schulkinder (Grafik). «Wir gehen davon aus, dass man pro Jahr rund 11000
Lehrpersonen ersetzen muss, weil sie entweder pensioniert werden, den Lehrberuf
verlassen oder ihr Pensum reduzieren», sagt Bildungsökonom Stefan Wolter. Das
Problem: Die Pädagogischen Hochschulen bilden jährlich bloss etwa 4000 neue
Lehrerinnen aus. Der Rest müsse durch Wiedereintritte in den Beruf oder durch
Pensumserhöhungen abgedeckt werden, sagt Wolter.
Für
die Lehrerverbände ist die Situation günstig: Sie machen Druck für mehr Lohn
und weniger Arbeitsbelastung. Teilweise mit Erfolg. Kürzlich erst glich der
Kanton Schaffhausen den Lohn der Kindergärtnerinnen dem Primarlehrerlohn an.
Auch in Zürich werden Massnahmen diskutiert. Hier sind die Kindergärtnerinnen
trotz gleich langer Ausbildung tiefer eingestuft als Primarlehrerinnen – obwohl
die Arbeit über die Jahre anspruchsvoller wurde. Bildungsdirektorin Silvia
Steiner lässt nun die Situation an den Kindergärten untersuchen.
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