Die Aufarbeitung des Gamser
Schulstreits endet vor dem Kreisgericht Sarganserland-Werdenberg mit
Freisprüchen. Die beiden Angeklagten hätten die Grenze zur Strafbarkeit nicht
erreicht. Vor der Urteilsverkündung waren in einer erhitzenden, neunstündigen Verhandlung
am Kreisgericht in Mels emotionale Abgründe spürbar geworden, die einer
griechischen Tragödie zum Ruhm gereichen würden. Rein juristisch gesehen
standen zwar eher leichte Vorwürfe im Raum, die mit überschaubarem Strafmass
versehen werden sollten.
Gamser Schlammschlacht endet mit betretenem Schweigen, St. Galler Tagblatt, 23.6.
Es ging vor dem Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland
um Ehrverletzungen, für die je eine bedingte und eine unbedingte Geldstrafe in
Höhe von 4200 respektive 14000 Franken gefordert wurde (der W&O berichte am
11. Juni). Aber unsichtbar tobte ein wilder Streit um böse Kränkungen,
schlaflose Nächte, Umgangsstil und Demokratie, durchzogen von persönlichen
Abhängigkeiten und alten Geschichten.
Lieber zu Polizei und Gerichten rennen
In
der Urteilsbegründung mahnte der Richter denn auch überdeutlich daran, dass der
epische Schul-Zwist im fairen Gespräch unter Erwachsenen zu lösen gewesen wäre.
«Er gehört nicht ans Gericht». Es entspreche aber dem Zeitgeist, lieber zu
Polizei und Gerichten zu rennen, statt selbst mit Anderen klarzukommen, schrieb
er allen Beteiligten ins Stammbuch. Darauf herrschte eine mit den Händen zu
greifende Stille, die ahnen liess, dass es hier kaum Sieger gab, sondern
Verlierer den Platz verliessen. In der Sache sei freizusprechen, hiess es
weiter, weil der Kampf zwar hart aber nicht strafbar geführt geworden sei.
Amtspersonen müssten nicht alles, aber manches aushalten, auch überzogene
Kritik.
Kränkungen, Krankheiten und Krawall
Die Staatsanwaltschaft hatte die
Sache zur Anklage gebracht, weil ein 61-jähriger Landwirt die Schulratspräsidentin
in einem Flugblatt, mit E-Mails und Leserbriefen heftig angegriffen hatte.
Dabei habe er auf vermeintliche charakterliche Defizite gezielt. Er habe
planvoll und wider besseres Wissen behauptet, sie sei inkompetent, unehrlich,
intransparent und niveaulos. Sie hätte sogar eine Sekretärin in die Krankheit
getrieben. Mit diesen Äusserungen habe er die Frau verleumdet und ihren
beruflichen wie privaten Leumund schwer beschädigt, so die Anklage. "Ich
habe alles so erlebt. Ich hätte nie erwartet, dass es eine solche Dynamik
gibt." Die ganze Familie hätte bis heute darunter zu leiden. Zudem habe er
versucht, sie mit dem Hinweis zu nötigen, sie werde keine Ruhe haben, wenn sie
ihre Wiederwahl anstrebe. Angeklagt war zudem eine heute 68-jährige ehemalige
Lehrerin, die mehrere Leserbriefe verfasst hatte. Darin hatte sie ihrer Chefin
vorgeworfen, Entlassungen seien unsauber gewesen, die Präsidentin agiere
diktatorisch, sie lüge und verbreite ein Klima der Angst.
Verrohte Sitten und
verlorener Seelenfrieden?
Beide Angeklagte plädierten auf unschuldig, die Frau
mittels Anwältin, der Mann grad selbst. Sinngemäss machten sie geltend, dass
sie nicht anders auf die von ihnen empfundenen Defizite in der Amtsführung
hätten reagieren können. Sie hätten nur gesagt, was sie tatsächlich gesehen
hätten. «Ich habe alles so erlebt», erklärte die Lehrerin. «Ich hätte nie
erwartet, dass es so eine Dynamik gibt», zeigte sich der Landwirt überrascht.
Drei Zeuginnen, die ehemalige Schulleiterin und zwei ehemalige Lehrerinnen
bestätigten das Bild eines für sie schockierenden Kulturwechsels, der mit der neuen Präsidentin
Einzug gehalten habe. Früher habe man stets kollegial entschieden. Das sei in
einer Schule auch nötig, sie müsse auf Teamwork basieren, nicht wie in der
Wirtschaft auf Konkurrenz. Dann sei plötzlich alles anders gewesen, verdiente
Mitarbeiter seien kurz vor den Ferien oder in hohem Alter freigestellt oder
gemobbt worden. Ausdrücke wie «vergiftete Atmosphäre, verrohte Sitten,
verlorener Seelenfrieden» zeigten sich als scharfe Riffe, die aus der
aufgewühlten See verletzter Gefühle emporragten.
Ein nicht geklärter
Wertekonflikt
Bald wurde deutlich, dass es im Kern ursprünglich um einen
Wertekonflikt ging, der Haltungen, Beziehungsgestaltung und Prioritätensetzung
im Schulalltag betraf. Dieser Wertekonflikt wurde offenbar nie geklärt. So
blieb der eskalierte Streit über Jahre hinweg nur oberflächlich sichtbar und
dürfte auch nach der juristischen Klärung noch bitter schmecken.
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