Verena Studer ist eine von vier Seniorinnen, die
sich im Rahmen des Projektes «Senioren im Klassenzimmer» der Pro Senectute
freiwillig in der Wolfwiler Primarschule engagieren. Jeweils einen Halbtag lang
unterstützen sie die Klassenlehrerin beim Unterricht.
Senioren entlasten Lehrer für mehr individuelle Betreuung der Schüler auf der Primarstufe, Oltner Tagblatt, 3.6. von Gülpinar Günes
Es ist Dienstagmorgen. Die dreizehn Zweitklässler
der Primarschule Wolfwil sind gerade am Malen: Allmählich nehmen die kahlen
Häuschen der gezeichneten Schnecken Farbe an. «Nicht über die Linien hinaus
malen!» heisst es aus der hinteren Ecke des Klassenzimmers, wo Seniorin Verena
Studer sitzt. Während sich die Klassenlehrerin Rahel Kissling vorne um die
Kinder in der ersten Reihe kümmert, nimmt sie sich Zeit für diejenigen, die
weiter hinten sitzen. «Es ist mein Traumjob – ich arbeite liebend gerne mit Kindern»,
sagt sie in einem Gespräch nach der Morgenlektion.
Verena Studer ist eine von vier Seniorinnen, die
sich im Rahmen des Projektes «Senioren im Klassenzimmer» der Pro Senectute
freiwillig in der Wolfwiler Primarschule engagieren. Jeweils einen Halbtag lang
unterstützen sie die Klassenlehrerin beim Unterricht. «Es ist für die
Lehrpersonen eine grosse Herausforderung, alle Kinder, sowohl die stärkeren als
auch die schwächeren, in den Unterricht zu integrieren.» So erklärt der
Schulleiter Hanspeter Stöckli, warum die Schule an diesem Projekt teilnimmt.
«Die Senioren unterstützen die Lehrkräfte bei der individuellen Betreuung der
Kinder.» Kantonsweit sind laut Pro Senectute rund 210 Seniorinnen und Senioren
in bald 70 Gemeinden im Einsatz. Die Idee ist es auch, eine bessere Betreuung
der Kinder zu gewährleisten und einen Austausch zwischen Generationen zu
ermöglichen. Die Lehrperson bereitet wie gewohnt den Unterricht vor und
instruiert die Seniorin jeweils vor der Stunde über das Programm. Die
Verantwortung über die Klasse liegt nach wie vor bei ihr.
Verwöhnende «Grosis»?
«Stellen Sie sich vor, Sie müssten 17 Kindern
gleichzeitig das Stricken beibringen. Jedes einzelne erwartet individuelle
Betreuung», veranschaulicht Elisabeth Ackermann die Herausforderung, der sich
die Lehrpersonen täglich stellen müssen. Die Seniorin beteiligt sich seit drei
Jahren jeweils zwei Mal wöchentlich am Unterricht der Primarschule. Besonders
im Werkunterricht ist ihr Einsatz mehr als willkommen, da die Kinder in
kleineren Gruppen betreut werden können. «Beim Werken kommen viele Kinder zu
kurz. Da bin ich froh um jede Unterstützung», ergänzt Lehrerin Rahel Kissling
und fügt hinzu: «Ich muss den Kindern manchmal aber sagen, dass sie zuerst
selber überlegen sollen, bevor sie Frau Studer rufen.» Dass manche Kinder die
gutmütige Seniorin aus reiner Bequemlichkeit rufen, das mache Verena Studer
nichts aus. «Ich bin nicht die Lehrerin, ich darf die Kinder doch etwas
verwöhnen», sagt sie lachend.
Manchen Kindern lägen jedoch ganz andere Fragen auf
dem Herzen, die sie dem «Schulgrosi» stellen möchten, wie Elisabeth Ackermann
erzählt. «Frou Ackermaa, müend Sie glii stärbe?» sei sie bereits von
neugierigen Schülern gefragt worden. «Gäu, Sie sind en alti Frou?» habe es auch
schon geheissen. «Ich schätze sehr, dass ich in der Klasse gewissermassen eine
Grossmutterfunktion habe», sagt sie. Kindern, die wenig oder keinen Kontakt zu
den eigenen Grosseltern pflegen, werde so die Möglichkeit geboten, sich mit dem
Alter auseinanderzusetzen und Fragen dazu loszuwerden. Im Rahmen von
Schulprojekten, wie «Früher und Heute», können somit sowohl die Lehrpersonen
als auch die Schüler von der Lebenserfahrung der Senioren profitieren und
lernen.
Weiterbildung im Gegenzug
Dass es beim Projekt aber nicht nur um den
Austausch zwischen den Generationen geht, betont die «Seniorin im
Klassenzimmer», Verena Studer. «Wenn nur der Austausch im Vordergrund gewesen
wäre und ich die Lehrperson nicht unterstützen könnte, hätte ich mich nicht
angemeldet», sagt sie. Im Gegenzug zu ihrer freiwilligen Arbeit erhalten die
Senioren regelmässige Weiterbildungsangebote und Kurse der Pro Senectute. Sie
sollen ihnen helfen, sich besser im Unterricht einzubringen, welcher sich im
Vergleich zu ihrer Zeit wesentlich verändert hat. Eine der drei jährlichen
Weiterbildungen thematisierte auf Wunsch der Senioren dieses Jahr beispielsweise
den Lehrplan 21.
Für eine gute Zusammenarbeit müsse jedoch allen
voran die Chemie zwischen Lehrperson, Seniorin und der Klasse stimmen. In der
zweiten Klasse von Rahel Kissling sei dies von Anfang an der Fall gewesen. «Die
Kinder haben sehr positiv auf Verena Studer reagiert, mögen sie und
mittlerweile ist es selbstverständlich, dass sie am Dienstagmorgen anwesend
ist», sagt die Lehrerin. Auch die Pro Senectute berichtet von positiven
Rückmeldungen der Lehrerschaft: Die Zahl der teilnehmenden Schulen wachse
stetig und es werden regelmässig neue Freiwilligenstellen ausgeschrieben. Auch
die Seniorinnen im Schulhaus Wolfwil sind fest entschlossen, solange
weiterzumachen, wie es ihre Gesundheit erlaubt.
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