Manches spricht dafür, dass psychische
Störungen in unserer Gesellschaft zunehmen. Ganz sicher aber gehören sie zu den
häufigsten, den einschränkendsten und insgesamt kostenintensivsten Erkrankungen
überhaupt. Dazu kommt, dass sich auch ein Grossteil der psychisch Gesunden
gestresst fühlt und nicht das Mass an Glück erlebt, das in den westlichen
Wohlstandsländern eigentlich möglich wäre.
Glück und Zufriedenheit muss man in der Schule lernen, NZZaS, 12.5. von Dietmar Hansch
Die Lösung liegt auf der
Hand: Wir müssen die «Selbst- und Gesundheitskompetenz» entwickeln und fördern.
Das geht am besten über ein eigenes Fach in der Schule.
Selbstkompetenz, also das
meisterhafte Kennen, Beherrschen und Entwickeln der eigenen
Funktionsmöglichkeiten, ist die wichtigste Schlüsselkompetenz. Ihre Steigerung
wirkt sich in allen Lebensbereichen positiv aus. Auch in Sachen Glück – und das
ist schliesslich unser wichtigstes Lebensziel! Ein Meditationskurs nebenbei
reicht dafür keinesfalls aus. Der Erwerb wirklicher Selbstkompetenz, das
erkennen wir in der Psychologie immer besser, ist schwierig. Damit er gelingt,
braucht es viel Wissen und viel Übung.
Steinzeitgeprägtes
Unbewusstes
Die psychologische
Forschung der letzten 30 Jahre hat gezeigt: Unser steinzeitgeprägtes
Unbewusstes passt nicht mehr in unsere moderne Lebenswelt. Es lässt uns eine
Fülle von Fehlentscheidungen treffen, die wir im Nachhinein oft so
rationalisieren, dass wir sie nicht einmal bemerken.
Spätestens seit den
Bestsellern von Rolf Dobelli («Die Kunst des klaren Denkens») sind die
Ergebnisse der sogenannten Heuristics-und Biases-Forschung recht bekannt:
Unsere Intuitionen bescheren uns systematisch Denkfehler, insbesondere Fehleinschätzungen
von Wahrscheinlichkeiten und Risiken.
So lassen wir uns
beispielsweise aus einer überzogenen Furcht vor kleinen Verlusten (die in der
Steinzeit tatsächlich fatal sein konnten) oft grosse Gewinnchancen entgehen:
Das Geld verbleibt auf dem sicheren Sparkonto, obwohl die schwankenden Aktien
langfristig mehr Gewinn abwerfen.
Weniger bekannt sind die
Ergebnisse der modernen Evolutionspsychologie: Auch unsere genetisch geprägten
Gefühlsmechanismen leiten uns in grundlegenden Verhaltensbereichen in die Irre:
Im Essverhalten lassen sie uns zu oft zu Süssem und Fettigem greifen und
fördern so Übergewicht. Sie beeinflussen die Partnerwahl ungut, indem wir uns
zu sehr an Äusserlichkeiten orientieren.
Der
Einfluss der Aussenreize
Stress bereitet auf Kampf
oder Flucht vor – beim Lösen geistiger Probleme aber ist er hinderlich, weil er
mental einengt. Und bei der Wahl unserer Lebensziele orientieren wir uns zu
sehr an Luxus, Status und Macht. Die sogenannte Priming-Forschung wiederum
zeigt, wie sehr unser Verhalten unbemerkt durch Aussenreize beeinflusst wird:
Trinkt im TV jemand Alkohol, füllen auch wir unser Weinglas automatisch noch
einmal auf.
All dies führt zu vielen
Problemen, Konflikten und Stress. Und nun neigt unser Gehirn leider sehr dazu,
sich selbst verstärkende Teufelskreis-Mechanismen auszubilden, das heisst:
Negative Gedanken und Gefühle schaukeln sich wechselseitig auf. So steigern wir
uns in Extremzustände hinein, zum Beispiel in Panik oder Verzweiflung. Daraus
können dann psychische Erkrankungen entstehen.
Vieles davon wäre
vermeidbar. Denn unser heutiger Wissensschatz erlaubt uns eine neue Stufe der
Selbsterkenntnis. Er ermöglicht das Erlernen einer besseren Selbststeuerung:
Wenn wir die genannten und weitere Fehlveranlagungen erkennen und ihre
Hintergründe verstehen, können wir im Alltag sensibel für sie werden. Wir
können sie kritisch reflektieren und ihnen vernünftige Verhaltens- und
Lebensprinzipien gegenüberstellen.
Wir können entsprechende
korrigierende Kompetenzen so gut einüben, dass sie quasi zu unserer zweiten
Natur werden. Wir können gezielt innere, kulturgeprägte Glücksquellen
entwickeln, die uns unabhängiger machen von den genetisch geprägten äusseren
Glücksverheissungen: Wissenschaft, Literatur und Kunst statt Luxus, Ruhm und Macht.
Es gilt, alles für eine
glückende Lebensgestaltung relevante Wissen zusammenzutragen und schlüssig in
einem zentralen Schulfach zu integrieren – unter Einbezug angrenzender Themen
wie Sozial-, Medien- und Gesundheitskompetenz. Unter Bezugnahme hierauf wären
dann alle sich im Schulalltag bietenden Gelegenheiten zu nutzen, um die
vermittelten Kompetenzen praktisch einzuüben.
Erste Schritte in diese
Richtung geht der deutsche Pädagoge Ernst Fritz-Schubert mit seinem Schulfach
Glück. Auch in der Schweiz wurde es in einer ersten Schule eingeführt. Es
handelt sich hierbei um die wichtigste Hebelmassnahme unserer Zeit – zum Wohl
des Einzelnen wie zum Wohl der Gesellschaft. Und zu guter Letzt: Wir
Psychotherapeuten müssten wohl deutlich weniger Überstunden machen.
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