Schüler schnitten im Schweizer «Pisa»-Test in Mathematik schlecht ab,
weil die Aufgaben zu schwierig waren. Nur drei von fünf Schülern können gut
rechnen. Das zumindest ist das Resultat des ersten landesweit durchgeführten
Schülertests. Die Ergebnisse wurden am Freitag veröffentlicht. Der ernüchternde
Befund im Fach Mathematik steht im Widerspruch zum Abschneiden der Schweizer
Schüler beim Pisa-Test der OECD: Dort erzielten sie 2015 einen Spitzenplatz.
Beim Mathe-Test versagten die Prüfer, Sonntagszeitung, 26.5. von Nadja Pastega
Beim jetzt vorliegenden Schweizer «Pisa»-Test unter der Leitung der
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) wurde 2016 erhoben, ob die
Schüler die sogenannten Grundkompetenzen in Mathematik beherrschen. Es handelt
sich dabei um Minimalanforderungen, die von der EDK festgelegt wurden.
Entsprechend machte die EDK im Vorfeld die Erwartung klar, dass das Schweizer
Bildungssystem gewährleistet, «dass praktisch alle Schülerinnen und Schüler
diese Mindestanforderungen erreichen». Gemäss den jetzt vorliegenden Ergebnissen
ist man davon allerdings weit entfernt.
Recherchen zeigen: Das schlechte Abschneiden liegt weniger an inkompetenten
Schülern als an den gestellten Aufgaben. Die Mathe-Aufgaben waren schlicht zu
schwierig.
Aufgeschreckt durch die Mathe-Testresultate, die ursprünglich im letzten
Jahr im Bildungsbericht hätten publiziert werden sollen, gab eine Kommission
der EDK Ende 2017 ein Gutachten beim Luxemburger Zentrum für Bildungstest in
Auftrag–um zu überprüfen, ob die gewählte Übungsanlage für die Messung der
Grundkompetenzen überhaupt geeignet ist. Seit 2014 investierte die EDK jährlich
1,1 Millionen Franken in die Entwicklung dieses landesweiten Examens, das in
Luxemburg bestellte Gutachten kostete dem Vernehmen nach weitere 37'000
Franken.
Lernschwache Schüler blieben
unberücksichtigt
In ihrem Bericht halten die Luxemburger Experten fest: Die Datenerhebung
und-analyse sowie die Festlegung des Schwellenwerts, ab dem das geforderte
Leistungsniveau als erfüllt gilt, entspreche beim Schweizer «Pisa»-Test den
aktuellen wissenschaftlichen Qualitätsstandards–die
Note ungenügend gibt es aber für die gestellten Mathe-Aufgaben. Diese seien im
Vorfeld zum Teil nicht genügend validiert und getestet worden und «übertrieben
ambitioniert». Das zeige sich darin, dass «kaum zwei Drittel der Schüler diese Minimalanforderungen
erreicht haben». Die Schweizer Mathe-Ambitionen seien «im internationalen
Vergleich sehr, wenn nicht sogar extrem hoch». Statt um Minimalanforderungen, die
auch lernschwache Schüler erreichen könnten, handle es sich «eher um
Regelstandards» für durchschnittliche Schüler. Das sei der Grund für die «unerwarteten»
Ergebnissen im Mathe-Test.
Die Gutachter kritisieren weiter die Intransparenz bei der Festlegung
der geforderten Grundkompetenzen. «Wir haben wirklich hart versucht zu
verstehen, wie genau diese Minimalanforderungen entstanden sind», schreiben sie
in ihrem Bericht, aber «weder die verfügbaren Dokumente noch Interviews haben
eine wissenschaftlich befriedigende Antwort geliefert.»
Debatte über Grundkompetenzen
versäumt
Im Kapitel «Empfehlungen» schlagen die Gutachter vor, das geforderte
Leistungsniveau in Mathematik zu überarbeiten oder die Terminologie von
«Minimalstandards» in «Regelstandards» zu ändern. Eine dritte Möglichkeit für
die EDK sei «der rhetorische Approach»: «Argumentieren, dass die
Mathe-Testergebnisse so ausgefallen seien wie erwartet, weil die teilnehmenden
Schüler noch nicht explizit auf der Basis der Minimalanforderungen von Harmos
und der entsprechenden Lehrpläne unterrichtet wurden.» Das sei aber eine etwas wacklige
Argumentation, weil die Frage auftauchen könnte, ob sich denn die neuen
Mathe-Lehrpläne wirklich fundamental von den bisherigen unterscheiden würden.
Gleichwohl hat die EDK bei der Präsentation der Testergebnisse diese rhetorische
Nebelpetarde gezündet.
Gleichzeitig wird bei der EDK aber auch Handlungsbedarf eingeräumt. «Wie
der Audit-Reportrichtig festhält, gibt es Hinweise, dass die Mathe-Aufgaben zum
Teil zu schwierig waren», sagt EDK-Generalsekretärin Susanne Hardmeier. «Wir
werden dem jetzt nachgehen und haben damit eine Kommission beauftragt.»
Auf Kritik stösst das Vorgehen der EDK bei Schweizer Bildungsexperten
wie Walter Herzog, emeritierter Professor für Pädagogische Psychologie an der
Universität Bern. Die Diskussion, ob die Minimalstandards zu hoch angesetzt
wurden oder nicht, sei «absurd», sagt Herzog. «Statt im Nachhinein zu
überprüfen, ob die Kompetenzen wirklich Grundkompetenzen sind, hätte man sich
bei deren Festlegung überlegen müssen, über welche Fähigkeiten unsere Schüler
am Ende der Schulzeit verfügen sollten.» Es könne nicht sein, dass man jetzt
bereits wieder relativieren müsse. «Massstab zur Beurteilung, was unsere
Schulen leisten sollen, muss sein, welche Bildung im Minimum notwendig ist, um
in unserer Gesellschaft zu reüssieren», sagt Herzog. «Darüber eine offene
Diskussion zu führen, wurde leider versäumt.»
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