26. Mai 2019

Die rhetorischen Nebelpetarden der EDK


Schüler schnitten im Schweizer «Pisa»-Test in Mathematik schlecht ab, weil die Aufgaben zu schwierig waren. Nur drei von fünf Schülern können gut rechnen. Das zumindest ist das Resultat des ersten landesweit durchgeführten Schülertests. Die Ergebnisse wurden am Freitag veröffentlicht. Der ernüchternde Befund im Fach Mathematik steht im Widerspruch zum Abschneiden der Schweizer Schüler beim Pisa-Test der OECD: Dort erzielten sie 2015 einen Spitzenplatz.
Beim Mathe-Test versagten die Prüfer, Sonntagszeitung, 26.5. von Nadja Pastega

Beim jetzt vorliegenden Schweizer «Pisa»-Test unter der Leitung der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) wurde 2016 erhoben, ob die Schüler die sogenannten Grundkompetenzen in Mathematik beherrschen. Es handelt sich dabei um Minimalanforderungen, die von der EDK festgelegt wurden. Entsprechend machte die EDK im Vorfeld die Erwartung klar, dass das Schweizer Bildungssystem gewährleistet, «dass praktisch alle Schülerinnen und Schüler diese Mindestanforderungen erreichen». Gemäss den jetzt vorliegenden Ergebnissen ist man davon allerdings weit entfernt.

Recherchen zeigen: Das schlechte Abschneiden liegt weniger an inkompetenten Schülern als an den gestellten Aufgaben. Die Mathe-Aufgaben waren schlicht zu schwierig.

Aufgeschreckt durch die Mathe-Testresultate, die ursprünglich im letzten Jahr im Bildungsbericht hätten publiziert werden sollen, gab eine Kommission der EDK Ende 2017 ein Gutachten beim Luxemburger Zentrum für Bildungstest in Auftrag–um zu überprüfen, ob die gewählte Übungsanlage für die Messung der Grundkompetenzen überhaupt geeignet ist. Seit 2014 investierte die EDK jährlich 1,1 Millionen Franken in die Entwicklung dieses landesweiten Examens, das in Luxemburg bestellte Gutachten kostete dem Vernehmen nach weitere 37'000 Franken.

Lernschwache Schüler blieben unberücksichtigt
In ihrem Bericht halten die Luxemburger Experten fest: Die Datenerhebung und-analyse sowie die Festlegung des Schwellenwerts, ab dem das geforderte Leistungsniveau als erfüllt gilt, entspreche beim Schweizer «Pisa»-Test den aktuellen wissenschaftlichen  Qualitätsstandards–die Note ungenügend gibt es aber für die gestellten Mathe-Aufgaben. Diese seien im Vorfeld zum Teil nicht genügend validiert und getestet worden und «übertrieben ambitioniert». Das zeige sich darin, dass «kaum zwei Drittel der Schüler diese Minimalanforderungen erreicht haben». Die Schweizer Mathe-Ambitionen seien «im internationalen Vergleich sehr, wenn nicht sogar extrem hoch». Statt um Minimalanforderungen, die auch lernschwache Schüler erreichen könnten, handle es sich «eher um Regelstandards» für durchschnittliche Schüler. Das sei der Grund für die «unerwarteten» Ergebnissen im Mathe-Test.

Die Gutachter kritisieren weiter die Intransparenz bei der Festlegung der geforderten Grundkompetenzen. «Wir haben wirklich hart versucht zu verstehen, wie genau diese Minimalanforderungen entstanden sind», schreiben sie in ihrem Bericht, aber «weder die verfügbaren Dokumente noch Interviews haben eine wissenschaftlich befriedigende Antwort geliefert.»

Debatte über Grundkompetenzen versäumt
Im Kapitel «Empfehlungen» schlagen die Gutachter vor, das geforderte Leistungsniveau in Mathematik zu überarbeiten oder die Terminologie von «Minimalstandards» in «Regelstandards» zu ändern. Eine dritte Möglichkeit für die EDK sei «der rhetorische Approach»: «Argumentieren, dass die Mathe-Testergebnisse so ausgefallen seien wie erwartet, weil die teilnehmenden Schüler noch nicht explizit auf der Basis der Minimalanforderungen von Harmos und der entsprechenden Lehrpläne unterrichtet  wurden.» Das sei aber eine etwas wacklige Argumentation, weil die Frage auftauchen könnte, ob sich denn die neuen Mathe-Lehrpläne wirklich fundamental von den bisherigen unterscheiden würden.
Gleichwohl hat die EDK bei der Präsentation der Testergebnisse diese rhetorische Nebelpetarde gezündet.

Gleichzeitig wird bei der EDK aber auch Handlungsbedarf eingeräumt. «Wie der Audit-Reportrichtig festhält, gibt es Hinweise, dass die Mathe-Aufgaben zum Teil zu schwierig waren», sagt EDK-Generalsekretärin Susanne Hardmeier. «Wir werden dem jetzt nachgehen und haben damit eine Kommission beauftragt.»

Auf Kritik stösst das Vorgehen der EDK bei Schweizer Bildungsexperten wie Walter Herzog, emeritierter Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Bern. Die Diskussion, ob die Minimalstandards zu hoch angesetzt wurden oder nicht, sei «absurd», sagt Herzog. «Statt im Nachhinein zu überprüfen, ob die Kompetenzen wirklich Grundkompetenzen sind, hätte man sich bei deren Festlegung überlegen müssen, über welche Fähigkeiten unsere Schüler am Ende der Schulzeit verfügen sollten.» Es könne nicht sein, dass man jetzt bereits wieder relativieren müsse. «Massstab zur Beurteilung, was unsere Schulen leisten sollen, muss sein, welche Bildung im Minimum notwendig ist, um in unserer Gesellschaft zu reüssieren», sagt Herzog. «Darüber eine offene Diskussion zu führen, wurde leider versäumt.»

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