Der Bund will keinen Qualitätsvergleich von Gymnasien
in der Öffentlichkeit. Diese Daten seien bei den Kantonen besser aufgehoben,
argumentiert er. Allerdings: Zwei Drittel der Kantone schauen sich die Zahlen
nicht mal an.
Vielen Kantonen sind die Abschluss-Quoten der Gymnasien egal, Schweiz am Wochenende, 12.5. von Roger Braun
Der Verdacht ist weit verbreitet, doch kein
Bildungsverantwortlicher würde ihn öffentlich äussern: Nicht alle Gymnasien in
der Schweiz haben dieselbe Qualität. Es gibt Schulen, welche ihre Gymnasiasten
deutlich schlechter auf ein Studium vorbereiten als andere.
Der Bund könnte für Aufklärung sorgen, denn das
Bundesamt für Statistik verfügt über langjährige Daten zum Studienerfolg
sämtlicher Gymnasiasten der Schweiz. Die Daten sind allerdings unter
Verschluss. Einzig Kantone erhalten die Hochschulabschlussquote der Gymnasien
auf Anfrage.
Unverständlich findet dies der Nationalrat. Er hat
vergangenen Herbst einen Vorstoss der Luzerner CVP-Nationalrätin Andrea Gmür
zur Offenlegung der Daten gutgeheissen. Dagegen stellen sich Bundesrat und
Kantonsvertreter. Ihr Argument: Werden die unterschiedlichen Studienerfolge der
Gymnasien publik, drohten Rankings nach US-amerikanischem Muster ohne jeglichen
Informationswert.
Die Publikation ist in ihren Augen unnötig.
Vielmehr seien die Daten bei den Kantonen in den richtigen,
verantwortungsbewussten Händen. Die Kantone, die ja für die Gymnasien verantwortlich
sind, wüssten am besten damit umzugehen.
Economiesuisse fordert Offenlegung
Nur: Die Mehrheit der Kantone scheint sich nicht
für den Studienerfolg ihrer Gymnasiasten zu interessieren. Wie das Bundesamt
für Statistik auf Anfrage bekanntgibt, haben lediglich 9 der 26 Kantone
überhaupt Interesse an den Daten angemeldet. Es sind das die Kantone Aargau,
Freiburg, Graubünden, Luzern, Solothurn, Thurgau, Waadt, Zug und Zürich. Alle
anderen scheinen sich um die Studienerfolge ihrer Gymnasiasten zu foutieren –
und das, obwohl Gmürs Vorstoss bereits zu einer vifen Debatte über den Wert dieser
Zahlen geführt hatte.
Für den Chefökonomen des Wirtschaftsdachverbands
Economiesuisse, Rudolf Minsch, ist die Passivität der Kantone symptomatisch. Er
setzt sich seit Jahren für eine nationale Debatte zur Qualität an den Gymnasien
ein. Er sagt: «Einmal mehr zeigt sich, dass die Kantone ihre Schulen nicht
hinterfragen wollen.»
Minsch wirft den Bildungsverantwortlichen vor,
bewusst wegzuschauen, um ihre Illusionen der perfekten Schulen nicht aufgeben
zu müssen. «Man glaubt, man sei über alle Zweifel erhaben, und ruht sich auf
dem Erreichten aus», kritisiert er.
Minsch konstatiert auch Beisshemmungen. «Es fehlt
im Schweizer Bildungswesen oftmals der Mut, eine echte Qualitätsdiskussion zu
führen.» Der Schluss für ihn ist klar. «Es braucht eine Offenlegung und eine
nationale Debatte zur Qualität an den Gymnasien.»
Verschiedene Faktoren spielen eine Rolle
Wie kann es sein, dass die Kantone die vorliegenden
Daten nicht nutzen, um ihre Schulen zu verbessern? Silvia Steiner als
Präsidentin der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren nimmt nur
schriftlich Stellung. «Weshalb nicht mehr Kantone die Zahlen angefordert haben,
kann ich nicht sagen», schreibt sie. «Es heisst aber nicht, dass, wenn ein
Kanton die Zahlen nicht angefordert hat, er sich nicht für die Qualität seiner
Gymnasien interessiert.»
Steiner ist Zürcher Bildungsdirektorin und vertritt
damit einen Kanton, der die Studienerfolge seiner Gymnasiasten beim Bund
eingeholt hat. Sie schreibt denn auch, dass die Studienverläufe für die
Bildungspolitik durchaus relevant seien. Man dürfe daraus allerdings keine
vorschnellen Schlüsse auf die Qualität der Schulen ziehen. Es gebe
«verschiedene Faktoren», die ohne Einbettung schwierig zu interpretieren seien,
wiederholt sie die Befürchtungen vor den Rankings.
CVP-Nationalrätin Gmür äussert sich überrascht,
dass lediglich ein Drittel der Kantone die Daten zum Studienerfolg ihrer
Gymnasien eingeholt haben. «Offenbar muss man die Kantone zu ihrem Glück
zwingen», sagt sie.
Sie bekräftigt ihre Forderung nach der Offenlegung.
«Es braucht den Druck, dass die Kantone diese Qualitätskontrolle durchführen
und, falls angezeigt, Gegenmassnahmen ergreifen.»
Interesse an den Daten des Bundesamts für Statistik
meldet auch die Schweizer Maturitätskommission an. Sie ist für die Maturitätsanerkennungen
im Land zuständig. «Der Studienerfolg an den Hochschulen ist für uns ein
wichtiger Gradmesser, ob die Gymnasien ihre Bildungsziele erreichen», sagt
Kommissionspräsident Hans Ambühl. Der ehemalige Generalsekretär der Konferenz
der Erziehungsdirektoren ist seit gut zwei Jahren im Amt und hat sich dafür
eingesetzt, dass die Kommission Einblick in die Daten erhält.
Derzeit ist er mit einer Arbeitsgruppe daran, die
Zahlen zu interpretieren. «Wenn wir Auffälligkeiten sehen, werden wir mit den betroffenen
Kantonen und Gymnasien das Gespräch suchen», kündigt Ambühl an. Dann gehe es
darum, zu klären, ob der mangelnde Studienerfolg auf die ungenügende
Vorbereitung der Gymnasien zurückzuführen ist.
Nationalrätin Andrea Gmür und Rudolf Minsch von
Economiesuisse begrüssen, dass die Maturitätskommission aktiv wird. Minsch
weist auf die Schweizer Besonderheit hin, dass die Maturität automatisch zum
Eintritt in eine Hochschule berechtige. Dies sei ein «unerhörtes Privileg» der
Schweizer Gymnasien. Umso wichtiger sei es, dass diese an ihrer Qualität
arbeiteten. «Sonst ist über kurz oder lang der prüfungsfreie Zugang zu den
Hochschulen gefährdet», sagt Minsch.
Zur Forderung der Transparenz will sich Ambühl von
der Maturitätskommission nicht äussern. Dies gehöre nicht zu seinem Auftrag.
Für Gmür und Minsch ist es indes klar, dass es beides braucht. «Die
Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, ob das Geld in der Bildung
zielgerichtet eingesetzt wird», sagt Gmür. Und Minsch sagt: «Dass man im Jahr
2019 noch eine solche Transparenzdiskussion führen muss, ist beschämend.»
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