In der Schweiz
entscheiden sich Schülerinnen und Schüler schon relativ früh für ihre
berufliche Zukunft. Zu früh, oder gerade früh genug? Die Meinungen darüber
gehen immer mehr auseinander.
Sind 14-Jährige alt genug für die Berufswahl?, swissinfo, 15.4. von Isobel Leybold-Johnson
Jugendliche in der Schweiz sind zwischen 15 und 16 Jahre
alt, wenn sie die obligatorische Schule abschliessen. Doch ihre Karriereplanung
müssen sie bereits zwei Jahre vorher angehen. Der Entscheid, welchen
beruflichen Weg man einschlagen will, sollte mit etwa 14 Jahren fallen – und das
kann ein sehr schwieriger Prozess sein.
Rund 20% der Jugendlichen entscheiden sich für das
Gymnasium, das ihnen später die Türen zu einem Universitätsstudium öffnet.
Mindestens zwei Drittel entscheiden sich für eine Berufslehre.
Im so genannten dualen
Bildungssystem, das eine praktische, bezahlte Ausbildung in einem
Betrieb mit dem Besuch einer Gewerbeschule vereint, kann aus über 250 Berufen
ausgewählt werden.
Mehrere Jugendliche, mit denen swissinfo.ch sprechen
konnte, betonen aber, es sei schwierig, mit 14 Jahren eine klare Vorstellung
davon zu haben, was genau man später einmal werden wolle.
Russische Expats
sagen, sie seien es aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit gewohnt, öfters
den Beruf zu wechseln. Deshalb wünschten sie sich mehr Flexibilität für ihre
Kinder, wenn es um die Karrieremöglichkeiten gehe, sagt eine Mutter gegenüber
swissinfo.ch.
In den USA und in Grossbritannien wird mehr Wert darauf
gelegt, an die Universität zu gehen und sich dort für einen Beruf zu
entscheiden, wie Eltern aus diesen Ländern sagen. Eine Berufslehre sehen sie
als weniger sinnvoll an, weil eine solche in ihren Herkunftsländern weniger
bekannt sei.
Auch für einige Schweizerinnen und Schweizer ist ein
Entscheid mit 14 Jahren zu früh. Kürzlich schlug der Kanton Nidwalden vor,
dass ein Teil seiner Grundschüler ein Jahr später in die Schule eintreten soll
(der Stichtag für den Schuleintritt ist derzeit beim sechsten Geburtstag vor
dem 30. Juni).
Immer
eine Herausforderung
Jürg Schweri, Professor am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB),
weist darauf hin, dass die Berufswahl immer eine Herausforderung sei, egal ob
im Alter von 15 oder von 25 Jahren. "Aus der Forschung wissen wir, dass
junge Menschen eine Vorstellung davon haben, was auf dem Arbeitsmarkt vor sich
geht, dass sie aber auch sehr unsicher darüber sind, was sie tun sollen."
Zudem seien junge Menschen im Alter von 14 oder 15 Jahren
noch daran, ihre Identität zu finden, was den Entscheid eher schwieriger mache.
Schliesslich gebe es zwei Optionen, und jede habe ihren
eigenen Zielkonflikt, sagt Schweri. Schülerinnen und Schüler könnten entweder
in der Schule bleiben und ihren Karriereentscheid verzögern, dafür aber das
echte Leben nicht kennenlernen. Oder sie könnten schon früh wichtige Entscheide
treffen, die Welt ausserhalb des Schulzimmers kennenlernen und hätten die
Möglichkeit, später den Kurs zu ändern, was im Schweizer System möglich sei.
"Lehrlinge werden schneller erwachsen als jene, die
weiter zur Schule gehen, weil sie mehr neue Erfahrungen machen und
Interaktionen erleben, die ihnen helfen, über ihre künftige Karriere zu
entscheiden", sagt Schweri.
Elterlicher
Druck
"Eltern haben oft sehr genaue Vorstellungen, was aus
ihren Kindern werden soll", sagt Daniel Reumiller, Leiter der Berufsberatungs- und Informationszentren (BIZ) des
Kantons Bern. Diese helfen Schulen dabei, ihre Schülerinnen und Schüler bei der
Berufswahl zu unterstützen.
Eltern können ihre Kinder unter Druck setzen, das
Gymnasium zu besuchen. Im Kanton Zürich wurde kürzlich die berühmt-berüchtigt
strenge Aufnahmeprüfung für
das so genannte Langzeit-Gymnasium durchgeführt, das ab dem Alter von 12 Jahren
beginnt. In einigen Teilen der Stadt, besonders in solchen mit einer hohen
Anzahl von Akademikern und Expats, nehme jeweils fast die halbe Schulklasse an
der Eintrittsprüfung teil, hiess es.
In der Schweiz hat die Anzahl der jungen Menschen, die
eine Maturitäts- oder eine Fachmaturitäts-Ausbildung belegen, während der
letzten zwei Jahrzehnte von 86'000 (Schuljahr 2000/01) auf 110'000 (2017/18)
zugenommen.
"Wir versuchen, besonders im Alter von 14 oder 15
Jahren, den Kindern zu zeigen, dass es über 250 Berufe gibt, aus denen sie
auswählen können; also nicht nur das, was ihnen ihre Eltern, Kollegen oder
sogar ihr grosser Bruder gesagt haben", sagt Reumiller, der auch die Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK)
präsidiert.
Im Normalfall würden die Eltern ebenfalls zu solchen
Terminen beigezogen, so dass die Beratenden den familiären Kontext sähen und
eine gute Kommunikation gewährleisten könnten. Oft seien
Geschlechterstereotypen ein Thema, weil viele Schülerinnen und Schüler nicht
gerne auffallen möchten, indem sie sich für geschlechtsatypische Berufe
entscheiden, so Reumiller.
Durchlässiges
System
Er weist darauf hin, dass jene, die sich mit einem
Entscheid schwertun, von so genannten "Überbrückungs-Lösungen"
profitieren können – beispielsweise ein Zusatzjahr an der Schule oder ein Jahr
im Ausland, um Sprachen zu lernen.
Und Schweri vom EHB betont, die nach einer Lehre erworbene
Qualifikation sei auf dem Arbeitsmarkt gut anerkannt.
Das Schweizer
Bildungssystem ist durchlässig und
ermöglicht jungen Menschen den Weg von der Lehre zur Universität, wenn sie sich
für ein weiterführendes Studium entscheiden. Laut Schweri ist die Angst vor
einem frühzeitigen beruflichen Entscheid oft auf die Angst zurückzuführen, eine
Berufsbildung gewählt zu haben, aber später an der Universität studieren zu
wollen.
Es sei ein bisschen schwieriger, sich seitwärts zu
bewegen, also von einer Berufslehre in die andere zu wechseln, sagt Reumiller.
Er schlägt vor, dass die horizontale Durchlässigkeit zwischen den Berufen in
der Schweiz "erhöht werden könnte". Er erwartet aber, dass dies in
Zukunft dank einigen laufenden Projekten einfacher wird.
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