15. April 2019

Die wichtigsten Aargauer Reform-Projekte


Die Aargauer Volksschule verändert sich rasant. Ein Reformvorhaben löst das andere ab, einige laufen gar gleichzeitig. Da kann es für die Gemeinden bisweilen schwierig sein, den Überblick zu wahren. Doch genau der ist unverzichtbar, wenn es für Gemeinden darum geht, selber handeln zu können, bevor Sachzwänge die Handlungsfreiheit beschränken.
Gemeinden fürchten Mehrkosten: Das sind die 6 wichtigsten Aargauer Schulreform-Projekte, Aargauer Zeitung, 15.4. von Jörg Meier


Das Politforum «Schulentwicklung Aargau» machte die stetige Veränderung der Aargauer Volksschule zum Thema und liess Fachleute erklären und diskutieren, was alles in Bereich Schule auf die Gemeinden zukommt, aber auch, welche konkreten Auswirkungen zu erwarten sind. Dabei beschränkte man sich auf sechs Themen, die alle eng miteinander verknüpft sind.

1. Schulen erhalten mehr Autonomie
Durch die Neuressourcierung erhalten die Schulen vor Ort mehr Autonomie. Der Kanton gibt weiterhin vor, was die Schulen zu tun haben. Er kontrolliert auch, ob die Vorgaben von den einzelnen Schulen eingehalten werden. Künftig kann aber jede Schule frei entscheiden, wie sie die Vorgaben des Kantons umsetzen will. Dafür erhält sie eine bestimmte Anzahl von Lektionen. Wie viel Unterrichtszeit einer Schule zugesprochen wird, wird mit einer komplizierten Formel berechnet, die auf den aktuellsten statistischen Daten beruht und mit zwei Zusatzkomponenten austariert wird. Die neue Freiheit bringt den Gemeinden aber auch mehr Verantwortung. Denn sie können durch den Einsatz der Ressourcen pädagogische Schwerpunkte setzen und die Schule vor Ort weiterentwickeln.

Vorderhand sind dafür noch die Schulpflegen zuständig. Bildungsdirektor Hürzeler versicherte, die Neuressourcierung erfolge kostenneutral. Allerdings werde rund ein Drittel aller Schulen aufgrund der neuen Berechnung weniger Ressourcen zur Verfügung haben. Die neue Regelung gilt ab dem Schuljahr 2020/21. Schulleiter Beat Petermann relativierte die neue Freiheit: «Wir werden die Schule nicht auf den Kopf stellen. Wir setzen die Ressourcen für die Pflicht ein, wenn noch etwas übrig bleibt, investieren wir es gerne in die Kür.»

2. Die Schulpflegen werden abgeschafft
Wenn es nach dem Willen der Regierung geht, werden die Schulpflegen am 1. Januar 2022 abgeschafft. Noch vor den Sommerferien wird die Vorlage im Grossen Rat behandelt; die Vernehmlassung ergab, dass die meisten Parteien und der Schulleiterverband nicht auf die Schulpflege setzen. Entscheiden wird das Volk im Mai 2020. Die Schulpflegen sind nochmals stark gefordert bei der lokalen Umsetzung der Neuressourcierung im Schuljahr 2020/21, nur ein gutes Jahr später sollen sie aufgelöst werden. Der Verband der Schulpflegepräsidenten bezeichnet dies in einer Mitteilung als kurzsichtig. Die Abschaffung würde Mehrkosten bringen sowie zu einem Demokratieabbau und einer Politisierung der Volksschule führen.

Die Gemeinden müssen nun planen, wie sie ihre Schule ohne Schulpflege führen wollen: Gibt es ein neues Ressort Bildung im Gemeinderat? Schafft man eine Schulkommission?

Vorgesehen ist auch, dass die Schulleiterpensen um rund 10 Prozent erhöht werden. Bisher ging die Regierung davon aus, dass die Gemeinden die Kosten dafür tragen. Damit sind diese aber gar nicht einverstanden. Ein Kompromiss ist wahrscheinlich.

3. Einführung des Lehrplans wird etappiert
Der neue Aargauer Lehrplan ist auf Kurs und wird auf das Schuljahr 2020/ 21 eingeführt, allerdings gestaffelt, wie Alex Hürzeler erklärte. Für die erste bis siebte Klasse gilt Schuljahr 2020/21, die 2. Oberstufe wechselt auf das Schuljahr 2021/22, die 3. Oberstufe nochmals ein Jahr später. Sabina Larcher, Direktorin der Pädagogischen Hochschule, vermeldete, dass die Weiterbildungen zum neuen Lehrplan sehr gut besucht und einzelne Veranstaltungen häufig ausgebucht seien. Schulleiter Petermann bestätigte, dass die Schulen auf Kurs sind, die Staffelung bei der Einführung erleichtere die Arbeit. Im Übrigen gehe man gelassen an das Thema heran.

Petermann widersprach jedoch Hürzeler, der versichert hatte, der neue Lehrplan an sich verursache den Gemeinden keine zusätzlichen Kosten. Petermann zeigte anhand der Kreisschule Unteres Fricktal, die er leitet, konkret auf, wie Mehrkosten entstehen können: Der neue Lehrplan verlangt das Fach textiles-technisches Gestalten. Das bringt im Fall von Petermanns Schule 46 zusätzliche Lektionen, die nach zusätzlichen Räumen verlangen. Beides, Lektionen und Räume, kosten.

4. Schulraumplanung ist keine exakte Wissenschaft
Im Aargau gehen derzeit über 75'000 Schülerinnen und Schüler zur Schule, Tendenz steigend. Die Gemeinden sind für den Schulraum zuständig und finanzieren ihn auch. Entsprechend wichtig ist deshalb eine möglichst präzise Schulraumplanung. Als Kriterium gilt dabei Pro Kind werden zehn Quadratmeter Schulraum benötigt.
Doch Schulraumplanung ist, wie Stadträtin Sandra Kohler am Beispiel Baden schilderte, keine exakte Wissenschaft, zuverlässige statistische Angaben hat man höchstens für fünf Jahre. Es kann vorkommen, wie in Baden geschehen, dass man unverhofft kurzfristig über zu viel Schulraum verfügt; ein Jahr später herrscht bereits wieder Mangel. Kohler plädierte für kreative Lösungen und offene Kommunikation. So schlug sie vor, dass nicht mehr nötige Provisorien günstig an andere Gemeinden weiter gegeben werden sollten; für sie ist es auch kein Tabu, dass interimistisch Kinder oder ganze Klassen in einem anderen Schulhaus oder sogar in einer anderen Gemeinde zur Schule gehen.

Bildungsdirektor Hürzeler nahm den Faden auf und regte an, einzelne Schule könnten über Gemeindegrenzen hinaus vermehrt freiwillig zusammenarbeiten und damit die Kosten senken, aber auch die Attraktivität der Arbeitsplätze steigern. Als Beispiel nannte Hürzeler die Möglichkeit, dass sich zwei kleine Schulen einen Schulleiter teilen.

5. Die digitale Herausforderung
In zehn, höchstens fünfzehn Jahren ist die Digitalisierung ins Schulsystem integriert. Doch was bedeutet das für die Schulen? Und was für die Gemeinden? Die Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule sei stark darauf fokussiert, die angehenden Lehrpersonen medienkompetent und informatikfit zu machen. Zudem bestehe ein grosses Weiterbildungsangebot für Lehrpersonen, die nicht mit der Digitalisierung gross geworden sind, sagte Sabina Larcher.

Klar ist, dass jede Schule ein Informatikkonzept braucht, klar ist, dass die Digitalisierung der Schulzimmer etwas kostet. Und diese Kosten tragen die Gemeinden. Es wird indes keine eigentlichen Computerräume mehr geben, die Geräte sind künftig im Unterricht integriert. Auch der neue Lehrplan verlangt und fördert die Digitalisierung.

Ruedi Kurt, der Schulen bei Evaluation und Beschaffung der Schulinformatik berät, erklärte, dass es nicht nötig sei, dass pro Schüler ein Gerät zur Verfügung stehe. Seine Empfehlung: im Kindergarten 1 bis 2 Geräte pro Klasse, an der Primarschule pro drei Schüler ein mobiles Gerät, an der Oberstufe pro Schüler ein Gerät. Das wird teuer für die Gemeinden, müssen doch die Geräte im Schnitt alle drei Jahre ersetzt werden. Unklar ist, welchen Einfluss die Digitalisierung auf den benötigten Schulraum hat.

6. Bald mehr Lohn für Lehrpersonen
Rund 8700 Lehrpersonen unterrichten momentan an den Aargauer Volksschulen. Im kantonalen Durchschnitt beträgt ihr Pensum 64 Prozent, das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren. Für die Anstellung der Lehrpersonen sind die Schulgemeinden zuständig. Tatsache sei, dass sich der Lehrermangel verschärfe, erklärte Bildungsdirektor Alex Hürzeler. Ein wichtiger Grund dafür: «Unsere Lehrer-Löhne sind nicht mehr konkurrenzfähig», sagte der Bildungsdirektor. Wer in einem Nachbarkanton unterrichte, verdiene schnell einmal tausend Franken mehr pro Monat als im Aargau. Im Kanton Zürich sei es noch einmal deutlich mehr.

Unter anderem deshalb wird jetzt im Aargau ein neues Lohnsystem erarbeitet. Zudem genüge das bestehende System den rechtlichen Anforderungen nicht mehr, sagte Hürzeler. Das neue Lohnsystem, das Lehrpersonen und Schulleitungen höhere Löhne bringen wird, tritt auf das Schuljahr 2021 in Kraft. Weiterhin gilt die Regelung, dass der Kanton 65 Prozent und die Gemeinden 35 Prozent der Löhne bezahlen. Was wiederum bedeutet, dass auch bei den Löhnen neue Kosten in bisher unbekannter Höhe auf die Gemeinden zukommen werden.

Das Politforum im Kultur- und Kongresszentrum Aarau wurde von der Gemeindeammänner-Vereinigung unter der Regie von Präsidentin Renate Gautschy organisiert. Über 200 Vertreterinnen und Vertreter aus den Gemeinden nahmen teil; ein deutliches Zeichen dafür, dass tatsächlich das Bedürfnis nach einer gründlichen Auslegeordnung bestand.

Moderiert wurde der Anlass vom Zofinger Stadtammann Hans Ruedi Hottiger; als Experten informierten Bildungsdirektor Alex Hürzeler, Sabina Larcher (Direktorin Pädagogische Hochschule FHNW), Beat Petermann (Co-Präsident Verband Aargauer Schulleiter, Schulleiter Kreisschule Unteres Fricktal), Sandra Kohler (Stadträtin Baden) und Ruedi Kurt (Fachmann für Schulinformatik).

«In jedem Gemeinderat sollte das Ressort Bildung das wichtigste sein», sagte Bildungsdirektor Alex Hürzeler während der Diskussion. Für diese Äusserung erntete er einige Lacher. Aber am Ende der anstrengenden und äusserst informativen Veranstaltung zeigte sich, dass Hürzeler halt doch recht haben könnte.


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