Die Aargauer Volksschule verändert sich rasant. Ein
Reformvorhaben löst das andere ab, einige laufen gar gleichzeitig. Da kann es
für die Gemeinden bisweilen schwierig sein, den Überblick zu wahren. Doch genau
der ist unverzichtbar, wenn es für Gemeinden darum geht, selber handeln zu
können, bevor Sachzwänge die Handlungsfreiheit beschränken.
Gemeinden fürchten Mehrkosten: Das sind die 6 wichtigsten Aargauer Schulreform-Projekte, Aargauer Zeitung, 15.4. von Jörg Meier
Das Politforum «Schulentwicklung Aargau» machte die
stetige Veränderung der Aargauer Volksschule zum Thema und liess Fachleute
erklären und diskutieren, was alles in Bereich Schule auf die Gemeinden
zukommt, aber auch, welche konkreten Auswirkungen zu erwarten sind. Dabei
beschränkte man sich auf sechs Themen, die alle eng miteinander verknüpft sind.
1. Schulen erhalten mehr Autonomie
Durch die Neuressourcierung erhalten die Schulen vor Ort mehr Autonomie. Der Kanton
gibt weiterhin vor, was die Schulen zu tun haben. Er kontrolliert auch, ob die
Vorgaben von den einzelnen Schulen eingehalten werden. Künftig kann aber jede
Schule frei entscheiden, wie sie die Vorgaben des Kantons umsetzen will. Dafür
erhält sie eine bestimmte Anzahl von Lektionen. Wie viel Unterrichtszeit einer
Schule zugesprochen wird, wird mit einer komplizierten Formel berechnet, die
auf den aktuellsten statistischen Daten beruht und mit zwei Zusatzkomponenten
austariert wird. Die neue Freiheit bringt den Gemeinden aber auch mehr Verantwortung.
Denn sie können durch den Einsatz der Ressourcen pädagogische Schwerpunkte
setzen und die Schule vor Ort weiterentwickeln.
Vorderhand sind dafür noch die Schulpflegen
zuständig. Bildungsdirektor Hürzeler versicherte, die Neuressourcierung erfolge
kostenneutral. Allerdings werde rund ein Drittel aller Schulen aufgrund der
neuen Berechnung weniger Ressourcen zur Verfügung haben. Die neue Regelung gilt
ab dem Schuljahr 2020/21. Schulleiter Beat Petermann relativierte die neue
Freiheit: «Wir werden die Schule nicht auf den Kopf stellen. Wir setzen die
Ressourcen für die Pflicht ein, wenn noch etwas übrig bleibt, investieren wir
es gerne in die Kür.»
2. Die Schulpflegen werden abgeschafft
Wenn es nach dem Willen der Regierung geht, werden
die Schulpflegen am 1. Januar 2022 abgeschafft. Noch vor den Sommerferien wird
die Vorlage im Grossen Rat behandelt; die Vernehmlassung ergab, dass die
meisten Parteien und der Schulleiterverband nicht auf die Schulpflege setzen.
Entscheiden wird das Volk im Mai 2020. Die Schulpflegen sind nochmals stark
gefordert bei der lokalen Umsetzung der Neuressourcierung im Schuljahr 2020/21,
nur ein gutes Jahr später sollen sie aufgelöst werden. Der Verband der
Schulpflegepräsidenten bezeichnet dies in einer Mitteilung als kurzsichtig. Die
Abschaffung würde Mehrkosten bringen sowie zu einem Demokratieabbau und einer
Politisierung der Volksschule führen.
Die Gemeinden müssen nun planen, wie sie ihre
Schule ohne Schulpflege führen wollen: Gibt es ein neues Ressort Bildung im
Gemeinderat? Schafft man eine Schulkommission?
Vorgesehen ist auch, dass die Schulleiterpensen um
rund 10 Prozent erhöht werden. Bisher ging die Regierung davon aus, dass die
Gemeinden die Kosten dafür tragen. Damit sind diese aber gar nicht
einverstanden. Ein Kompromiss ist wahrscheinlich.
3. Einführung des Lehrplans wird etappiert
Der neue Aargauer Lehrplan ist auf Kurs und wird
auf das Schuljahr 2020/ 21 eingeführt, allerdings gestaffelt, wie Alex Hürzeler
erklärte. Für die erste bis siebte Klasse gilt Schuljahr 2020/21, die 2.
Oberstufe wechselt auf das Schuljahr 2021/22, die 3. Oberstufe nochmals ein
Jahr später. Sabina Larcher, Direktorin der Pädagogischen Hochschule,
vermeldete, dass die Weiterbildungen zum neuen Lehrplan sehr gut besucht und
einzelne Veranstaltungen häufig ausgebucht seien. Schulleiter Petermann
bestätigte, dass die Schulen auf Kurs sind, die Staffelung bei der Einführung
erleichtere die Arbeit. Im Übrigen gehe man gelassen an das Thema heran.
Petermann widersprach jedoch Hürzeler, der
versichert hatte, der neue Lehrplan an sich verursache den Gemeinden keine zusätzlichen
Kosten. Petermann zeigte anhand der Kreisschule Unteres Fricktal, die er
leitet, konkret auf, wie Mehrkosten entstehen können: Der neue Lehrplan
verlangt das Fach textiles-technisches Gestalten. Das bringt im Fall von
Petermanns Schule 46 zusätzliche Lektionen, die nach zusätzlichen Räumen
verlangen. Beides, Lektionen und Räume, kosten.
4. Schulraumplanung ist keine exakte
Wissenschaft
Im Aargau gehen derzeit über 75'000 Schülerinnen
und Schüler zur Schule, Tendenz steigend. Die Gemeinden sind für den Schulraum
zuständig und finanzieren ihn auch. Entsprechend wichtig ist deshalb eine
möglichst präzise Schulraumplanung. Als Kriterium gilt dabei Pro Kind werden
zehn Quadratmeter Schulraum benötigt.
Doch Schulraumplanung ist, wie Stadträtin Sandra Kohler
am Beispiel Baden schilderte, keine exakte Wissenschaft, zuverlässige
statistische Angaben hat man höchstens für fünf Jahre. Es kann vorkommen, wie
in Baden geschehen, dass man unverhofft kurzfristig über zu viel Schulraum
verfügt; ein Jahr später herrscht bereits wieder Mangel. Kohler plädierte für
kreative Lösungen und offene Kommunikation. So schlug sie vor, dass nicht mehr
nötige Provisorien günstig an andere Gemeinden weiter gegeben werden sollten;
für sie ist es auch kein Tabu, dass interimistisch Kinder oder ganze Klassen in
einem anderen Schulhaus oder sogar in einer anderen Gemeinde zur Schule gehen.
Bildungsdirektor Hürzeler nahm den Faden auf und
regte an, einzelne Schule könnten über Gemeindegrenzen hinaus vermehrt
freiwillig zusammenarbeiten und damit die Kosten senken, aber auch die
Attraktivität der Arbeitsplätze steigern. Als Beispiel nannte Hürzeler die
Möglichkeit, dass sich zwei kleine Schulen einen Schulleiter teilen.
5. Die digitale Herausforderung
In zehn, höchstens fünfzehn Jahren ist die
Digitalisierung ins Schulsystem integriert. Doch was bedeutet das für die
Schulen? Und was für die Gemeinden? Die Ausbildung an der Pädagogischen
Hochschule sei stark darauf fokussiert, die angehenden Lehrpersonen
medienkompetent und informatikfit zu machen. Zudem bestehe ein grosses
Weiterbildungsangebot für Lehrpersonen, die nicht mit der Digitalisierung gross
geworden sind, sagte Sabina Larcher.
Klar ist, dass jede Schule ein Informatikkonzept
braucht, klar ist, dass die Digitalisierung der Schulzimmer etwas kostet. Und
diese Kosten tragen die Gemeinden. Es wird indes keine eigentlichen
Computerräume mehr geben, die Geräte sind künftig im Unterricht integriert.
Auch der neue Lehrplan verlangt und fördert die Digitalisierung.
Ruedi Kurt, der Schulen bei Evaluation und
Beschaffung der Schulinformatik berät, erklärte, dass es nicht nötig sei, dass
pro Schüler ein Gerät zur Verfügung stehe. Seine Empfehlung: im Kindergarten 1
bis 2 Geräte pro Klasse, an der Primarschule pro drei Schüler ein mobiles
Gerät, an der Oberstufe pro Schüler ein Gerät. Das wird teuer für die
Gemeinden, müssen doch die Geräte im Schnitt alle drei Jahre ersetzt werden.
Unklar ist, welchen Einfluss die Digitalisierung auf den benötigten Schulraum
hat.
6. Bald mehr Lohn für Lehrpersonen
Rund 8700 Lehrpersonen unterrichten momentan an den
Aargauer Volksschulen. Im kantonalen Durchschnitt beträgt ihr Pensum 64
Prozent, das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren. Für die Anstellung der
Lehrpersonen sind die Schulgemeinden zuständig. Tatsache sei, dass sich der
Lehrermangel verschärfe, erklärte Bildungsdirektor Alex Hürzeler. Ein wichtiger
Grund dafür: «Unsere Lehrer-Löhne sind nicht mehr konkurrenzfähig», sagte der
Bildungsdirektor. Wer in einem Nachbarkanton unterrichte, verdiene schnell
einmal tausend Franken mehr pro Monat als im Aargau. Im Kanton Zürich sei es
noch einmal deutlich mehr.
Unter anderem deshalb wird jetzt im Aargau ein
neues Lohnsystem erarbeitet. Zudem genüge das bestehende System den rechtlichen
Anforderungen nicht mehr, sagte Hürzeler. Das neue Lohnsystem, das Lehrpersonen
und Schulleitungen höhere Löhne bringen wird, tritt auf das Schuljahr 2021 in
Kraft. Weiterhin gilt die Regelung, dass der Kanton 65 Prozent und die
Gemeinden 35 Prozent der Löhne bezahlen. Was wiederum bedeutet, dass auch bei
den Löhnen neue Kosten in bisher unbekannter Höhe auf die Gemeinden zukommen
werden.
Das Politforum im Kultur- und Kongresszentrum Aarau
wurde von der Gemeindeammänner-Vereinigung unter der Regie von Präsidentin
Renate Gautschy organisiert. Über 200 Vertreterinnen und Vertreter aus den
Gemeinden nahmen teil; ein deutliches Zeichen dafür, dass tatsächlich das
Bedürfnis nach einer gründlichen Auslegeordnung bestand.
Moderiert wurde der Anlass vom Zofinger Stadtammann
Hans Ruedi Hottiger; als Experten informierten Bildungsdirektor Alex Hürzeler,
Sabina Larcher (Direktorin Pädagogische Hochschule FHNW), Beat Petermann
(Co-Präsident Verband Aargauer Schulleiter, Schulleiter Kreisschule Unteres
Fricktal), Sandra Kohler (Stadträtin Baden) und Ruedi Kurt (Fachmann für
Schulinformatik).
«In jedem Gemeinderat sollte das Ressort Bildung
das wichtigste sein», sagte Bildungsdirektor Alex Hürzeler während der
Diskussion. Für diese Äusserung erntete er einige Lacher. Aber am Ende der
anstrengenden und äusserst informativen Veranstaltung zeigte sich, dass
Hürzeler halt doch recht haben könnte.
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