Zwei
Schulen im Kanton Solothurn, die eine in Bellach, die anderen in Derendingen.
Und zwei versierte Lehrerinnen, die beide seit vielen Jahren auf der Unterstufe
unterrichten. Im Schulhaus 2 in Bellach die 57-jährige Liliane Ricciardi und in
der Schule Mitteldorf in Derendingen Brigitte Häner, 48. Ihre Schulerfahrungen
reichen weit vor die Zeit zurück, als ihre Gemeinden auf die integrative Schule
umgestellt haben. In Bellach war das im August 2011, in Derendingen bereits
einige Jahre früher, mit Beginn des Schuljahres 2008/2009. Brigitte Häner und
Liliane Ricciardi, zwei Lehrerinnen, die stellvertretend für die vielen
Unterstufenlehrkräfte im Kanton ihre Erfahrungen mit der Speziellen Förderung
schildern.
Spezielle Förderung: Was brauchen die Kleinen aus der Unterstufe, Solothurner Zeitung, 29.7. von Elisabeth Seifert
Gerade auf der
Unterstufe bedeutet der Wechsel zur integrativen Schule eine Zäsur. Die in
diesem Alterssegment zum Teil grossen Leistungsunterschiede wurde seit den
80er-Jahren mit Einführungsklassen aufgefangen. Die kleinen «Knöpfe», die noch
etwas mehr Zeit brauchten, konnten den Schulstoff der ersten Klasse in zwei
Jahren bewältigen. In der integrativen Schule indes besuchen die einstigen
Einführungsklässler ganz regulär die ersten Klassen, werden dort aber entlang
ihrer individuellen Bedürfnisse gefördert.
Mehr Zeit
Liliane
Ricciardi – und das ganze Lehrerteam in Bellach – findet es «schade», dass die
Einführungsklassen abgeschafft wurden. Ihre Kritik wollen sie aber nicht als
grundsätzliche Ablehnung der Speziellen Förderung verstanden wissen. Im
Unterschied zu ihren Lehrerkollegen in Bellach weint das Lehrerteam in
Derendingen der Einführungsklasse keine Träne nach. «Nein, wir vermissen die EK
nicht», sagt Brigitte Häner, ohne zu zögern.
Die Bellacher
Lehrerin sieht «den grossen Vorteil» der Einführungsklasse mit maximal 12
Schülerinnen und Schülern darin, dass sie genügend Zeit und Raum bietet, um
eine ganze Reihe schulischer oder persönlicher Defizite aufzuarbeiten. Seien
diese sprachlicher oder motorischer Natur oder weil die Kinder aus eher
bildungsfernen Familien stammen. Ricciardi: «Die Heilpädagogin hat dann nicht
nur einige wenige Stunden Zeit für diese Kinder, sondern kann sich ihnen die
ganze Woche über widmen.» Die zweijährige Einführungsklasse habe sich
insbesondere sehr bewährt, eine noch fehlende Reife auszugleichen. Einzelne
Förderstunden indes, so Ricciardi, könnten einen entwicklungspsychologischen
Rückstand nicht wettmachen.
Sie hat während
vieler Jahre jeweils die Einführungsklässler in die zweite Primarschulklasse
übernommen – und damit nur gute Erfahrungen gemacht: «Die meisten dieser
Schülerinnen und Schüler hatten in der zweiten Klasse keine Probleme mehr.» Sie
selbst musste nur zwei ehemalige Einführungsklässler in eine Kleinklasse
überweisen. Und etliche der einstigen EK-Schüler schafften es später sogar in
die Bez und an die Kanti. Nach den Sommerferien übernimmt Ricciardi zum dritten
Mal eine integrierte erste Klasse.
Beim ersten
Durchgang hatte sie «grosses Glück», wie sie sagt, «alles hat gestimmt, gerade
auch die Zusammenarbeit mit den Eltern war hervorragend». Ein Kind konnte sogar
aus dem Förderstatus rausgenommen werden. Der zweite Durchgang sei dann nicht
mehr ganz so problemlos verlaufen. «Es ist schwierig, in der zur Verfügung
stehenden Zeit die Defizite aufzuarbeiten». Und: «Alle Kinder mit Förderstatus
behalten diesen jetzt auch in der dritten Klasse.» Einzelne werden zudem
vielleicht individuelle Lernziele haben.
Individualisierter
Unterricht
Was hält
Brigitte Häner dem entgegen? Sie, die von sich sagt, dass sie «Null-Widerstand»
gegenüber der schulischen Integration verspürt. «Mit Unterstützung der
Lehrpersonen können Schüler mit einem Förderstatus dem Unterricht mehrheitlich
folgen», stellt sie fest. Durch die Integration in die Regelklasse werde zudem
deren Ehrgeiz angestachelt – «ohne dass jemand ausgelacht wird». Eine Hilfe sei
dabei, dass in Derendingen die erste und zweite Klasse gemeinsam unterrichtet
wird. «Wir haben viel Erfahrung mit einem breiten Leistungsspektrum in einer
Klasse.» Ein entwicklungspsychologischer Rückstand könne mit den
Einführungsklassen womöglich gut aufgefangen werden. «Schulische Probleme aber
haben eine ganze Reihe von Ursachen», unterstreicht Häner. «Mit der speziellen
Förderung können wir diesen begegnen, individuell auf den einzelnen Schüler
zugeschnitten.» Häner teilt sich ihr Klassenlehrpensum mit einer Kollegin und
ist – als ausgebildeter Lerncoach – zudem für die Kinder mit Förderstatus
zuständig.
Ein
wesentliches Plus der integrativen Schule liegt gemäss Brigitte Häner im
sozialen Bereich. «In unseren integrierten Klassen ist es ruhiger als früher
mit den Einführungsklassen», beobachtet sie. «Einzelne verhaltensauffällige
Kinder werden von der Regelklasse besser getragen als in den
Einführungsklassen.» Von der Speziellen Förderung profitieren zudem sämtliche
Schülerinnen und Schüler, nicht nur die schwächeren. Häner: «Wir bemühen uns,
den Unterricht für alle Kinder attraktiver zu gestalten.» Die Spezielle
Förderung habe in Derendingen die Entwicklung hin zu einem individualisierten
Unterricht wesentlich mitbeeinflusst.
Wichtig: Hilfe
der Schulleitung
Damit die
integrative Schule gelingen kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen –
betonen Brigitte Häner und Liliane Ricciardi. Die Zusammenarbeit im Team, mit
den Eltern und der Schulleitung. In Derendingen etwa steht die Schulleitung in
einem ständigen Austausch mit verschiedenen sozialen Stellen, um Lösungen für
verhaltensauffällige Schüler zu finden. Zudem ermöglichen Schulprojekte ein
gutes soziales Klima. Eine grosse Hilfe sei auch, dass die
Unterstufenlehrkräfte sich gegenseitig ihre Unterrichtsvorbereitungen zur
Verfügung stellen. «Dadurch haben wir dann mehr Zeit, um individuelle
Anpassungen für die einzelnen Schülerinnen und Schüler vorzunehmen», so Häner.
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