Vor eineinhalb Jahren
sassen sie noch in der Primarschule. Heute stecken die Schülerinnen und Schüler
des Schulhauses Münchhalde im Zürcher Seefeld mitten in der Berufswahl. Wie
Tausende andere Zürcher Jugendliche in der zweiten Sekundarschule haben sie in
den letzten Monaten etliche Schnupperlehren absolviert. Erst im Herbst 2020
werden die meisten von ihnen eine Lehrstelle antreten. Doch schon heute werden
die Weichen für ihre Zukunft gestellt.
Schnupperlehren sind für die Berufswahl von Jugendlichen unentbehrlich - doch es wird immer schwieriger, eine zu finden, NZZ, 26.4. von Nils Pfändler
Die Schüler von
Klassenlehrer Thomas Deuber erleben eine der intensivsten Zeiten ihres jungen
Lebens. Automatiker, Detailhändlerin, Kaufmann, Malerin, Schreiner,
Zahntechnikerin – jede Schnupperlehre ist ein Ausflug in eine mögliche Zukunft
des eigenen Ichs. Sie öffnet Türen, die ohne weiteres wieder geschlossen werden
können. Genau das macht die Erfahrung für die jungen Menschen so wertvoll.
Einmal den Geruch von
Holzspänen in einer Werkstatt geatmet, einmal den Tag im Grossraumbüro
verbracht oder einmal einen weissen Spitalkittel getragen zu haben, sind
Erlebnisse, die eine Berufswahl viel mehr beeinflussen können als Erzählungen.
Die Noten im zweiten Jahr
in der Sekundarschule sind entscheidend bei der Suche nach einer Lehrstelle.
Das Zeugnis wird jeder Bewerbung beigelegt.
Doch je nach Branche werde
es für die Jugendlichen immer schwieriger, überhaupt eine Schnupperlehre zu
finden, sagen Beobachter. So auch Thomas Deuber: «In den letzten Jahren hat
sich die Situation verschärft», sagt der Klassenlehrer. «Viele Betriebe sind nicht
mehr so offen wie früher.» Für einige Schnupperlehren müssen die Jugendlichen
zuerst eine Infoveranstaltung besuchen. Erst danach dürfen sie überhaupt eine
Bewerbung wie um eine reguläre Stelle schreiben. «Dabei wissen einige noch gar
nicht, in welche Richtung sie überhaupt gehen wollen», sagt Deuber.
Gleichzeitig nimmt auch
der Druck in der Schule zu. Die Noten im zweiten Jahr in der Sekundarschule
sind entscheidend bei der Suche nach einer Lehrstelle. Das Zeugnis wird jeder
Bewerbung beigelegt. Doch damit nicht genug: Neben den herkömmlichen Schulnoten
sind in den letzten Jahren weitere Bewertungen hinzugekommen.
Von der Schule in die Stifti
In
einem Langzeitprojekt begleitet die NZZ die zweite Klasse aus dem
Sekundarschulhaus Münchhalde auf der Lehrstellensuche. Dabei verfolgen wir die
wichtigsten Etappen vom ersten Kontakt mit der Berufswelt über die
Schnupperlehre bis zum ersten Arbeitstag.
Das Arbeits-, Lern- und
Sozialverhalten wird ebenfalls im Zeugnis beurteilt und in vielen
Personalabteilungen sehr hoch gewichtet. Hinzu kommen verschiedene Tests, die
immer häufiger von Lehrbetrieben gefordert werden. Beim sogenannten
Stellwerk-Check oder beim Multicheck werden unabhängige Leistungsprofile in den
Schulfächern erstellt, aber auch das Vorstellungsvermögen, die
Konzentrationsfähigkeit oder persönliche, soziale und methodische Kompetenzen
getestet.
«Es kann sein, dass der
eine oder andere Berufswunsch platzt.»
Thomas Deuber, Klassenlehrer
Unter Umständen hängt die
Zukunft der Schüler von den Resultaten dieser einzelnen Prüfungen ab. «Es kann
sein, dass der eine oder andere Berufswunsch platzt», sagt Deuber. Der Druck
habe im Vergleich zu seiner eigenen Schulzeit enorm zugenommen. «Ich durfte in
der Sek noch Kind sein.»
Einige Schülerinnen und
Schüler seiner Klasse können die Berufswahl indes noch hinauszögern. Sechs sind
zur Aufnahmeprüfung für das Gymnasium angetreten, vier von ihnen haben
bestanden. Sie werden das Schulhaus Münchhalde bereits im Sommer verlassen.
Die meisten anderen werden
nur ein Jahr später zu den fast 50 000 Lernenden im Kanton Zürich gehören.
Auch Noa, Gemma und Tim haben in den letzten Wochen mit zahlreichen
Schnupperlehren einen nächsten Schritt in Richtung Berufsleben gemacht. Doch
der Sprung vom Klassenzimmer in die Welt der Nobelhotels, Operationssäle und
Sitzungsräume ist gross.
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