Medienpädagoge Thomas Merz über Ablenkung als
Herausforderung der digitalen Gesellschaft, Strategien für Schüler und die
Schule der Zukunft.
Thomas Merz ist Medienpädagoge und Prorektor der PH Thurgau, Bild: Reto Martin
iPad in der Schule: "Es darf nicht einfach um einen Trend gehen", St. Galler Tagblatt, 3.4. von Bruno Knellworf
Schüler erzählen, dass in der Kantonsschule das iPad vor allem zum Gamen
genutzt wird. Ist es möglich, beim Unterricht mit iPads diese Ablenkung zu
verhindern?
Thomas Merz: Ablenkung ist natürlich eine der zentralen
Herausforderungen der digitalen Gesellschaft. Das betrifft nicht nur die
Schule, sondern genauso die Freizeit und die Arbeitswelt. Gerade darum müssen
im Unterricht auch solche Fragen mit zum Thema gemacht werden.
Und das hilft?
Schülerinnen und Schüler müssen Strategien erwerben, wie sie sich
trotzdem auf das Lernen konzentrieren können. Dazu gehört, sich auch
gegenseitig darin zu unterstützen. Bei Gruppenarbeiten zum Beispiel eine
entsprechende Rolle zu definieren oder zu lernen, wie man sich auch für
unangenehme Aufgaben motivieren kann. Solche Selbst- und Sozialkompetenzen kann
man nicht einfach voraussetzen, aber man kann sie gezielt erarbeiten und
fördern.
Gibt es irgend einen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass der
Unterricht mit iPads besser ist also ohne?
Der entscheidende Punkt ist nicht die Frage, iPad oder nicht. Sondern
dass digitale Geräte neue Lehr- und Lernformen ermöglichen, die ohne gar nicht
realisiert werden können. Wenn wir die Schüler auf die Welt vorbereiten wollen,
die sie ausserhalb der Schule erleben, dann sind digitale Formen unerlässlich.
Auch traditionelle Unterrichtsformen haben aber nach wie vor ihren Platz.
In amerikanischen Waldorf-Schulen werden Bildschirme aus dem
Klassenzimmer verbannt. Rennen wir einem Trend nach, der bald keiner mehr sein
wird?
Es darf hier nicht um die Alternative gehen, entweder möglichst viel
Digitalisierung in den Schulen oder gar keine. Und es darf auch nicht einfach
um einen «Trend» gehen. Schule muss aber die Schüler auf die tatsächliche Welt
von heute und vor allem von morgen vorbreiten. Digitale Kompetenzen werden in
immer mehr Berufen mit grösster Selbstverständlichkeit erwartet. Und wer
Politik, wer Wirtschaft, wer Kultur von heute verstehen und gestalten will,
muss verstehen, wie digitale Medien unsere Gesellschaft prägen und wie sie
funktionieren.
Kinder verbringen sowieso schon viel zu viel Zeit vor dem Bildschirm.
Müssten die Schulen nicht genau anderes als lange Bildschirmpräsenz bieten?
Die Schule der Zukunft braucht unbedingt auch medienfreie Räume. Spielen
miteinander, einander zuhören, Naturerfahrungen, kreatives Spielen mit
Material, handwerkliche Fähigkeiten, Musik, Sport, philosophische Gespräche
gehören zentral zur schulischen Bildung. Und zugleich gehört auch ein
kompetenter, mündiger Umgang mit Medien zu den Lernzielen. Gerade die
schulische Nutzung digitaler Medien und deren Reflexion kann und soll auch dazu
führen, dass die Schüler ihre Mediennutzung in der Freizeit hinterfragen. Das
gehört übrigens auch ausdrücklich zum Lehrplan.
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