Eine Sprache lernt man am
besten dort, wo sie gesprochen wird. Das ist die gängige Meinung, und auch
unter Experten gelten die positiven Wirkungen von Sprachaufenthalten als
unbestritten. Bund und Kantone haben sich denn auch auf die Fahne geschrieben,
die Mobilität über die Sprachgrenzen hinweg zu fördern und vor einem Jahr eine
gemeinsame Strategie verabschiedet. So weit die Theorie. In der Praxis zeigt
sich im Kanton Zürich ein etwas anderes Bild: Ob ein Austauschprojekt zustande
kommt, hänge nach wie vor primär vom Engagement – dem «feu sacré» – einzelner
Lehrpersonen ab, sagt etwa Daniele Fumagalli, Prorektor und Französischlehrer
an der Kantonsschule Zürich Nord.
Sprachaustausch: Der Kanton Zürich lässt Lehrer bei Sprachaufenthalten im Stich, NZZ, 17.2. von Linda Koponen
Diese hat bei der
Förderung von Französisch unter den Zürcher Gymnasien eine Pionierrolle inne:
Seit dem Schuljahr 2010/11 können die Schüler in Oerlikon einen zweisprachigen
Maturitätsgang auf Deutsch und Französisch besuchen. Die Fächer Geschichte und
Geografie werden im sogenannten Immersionsunterricht in der Fremdsprache
gelehrt. Das Programm geht auf die persönliche Initiative von Fumagalli zurück.
Unterstützt wurde er durch die Fachschaft Französisch. Die Schüler haben seiner
Ansicht nach ein Recht auf eine französischsprachige Matur – schliesslich handle
es sich um eine Landessprache.
«Die Noten sind Nebensache»
Ein zentraler Bestandteil
der Immersion an der Kantonsschule Zürich Nord ist ein einsemestriger
Sprachaufenthalt in der Romandie. «Es ist wichtig, dass die Sprache nicht nur
im Klassenzimmer unterrichtet wird», sagt Fumagalli. Für die Schüler bringe der
Austausch eine ganz andere Motivation und verbessere ihr Gefühl für Sprache und
Kultur, könnten sie doch ihre Kenntnisse direkt in Alltagssituationen
einsetzen. Nicht zuletzt förderten Sprachaufenthalte aber auch die
Selbständigkeit der Jugendlichen. «Die Noten spielen keine besondere Rolle»,
sagt Yann Lenggenhager, der für die Koordination der Immersion und der
Austausche an den Kantonsschulen Zürich Nord und Freudenberg verantwortlich
ist. Viel wichtiger sei die Erfahrung an sich.
Bei den Schülern stosse das
Angebot auf zunehmendes Interesse. Seit dem Start des Projekts besuchen fünf
bis zwanzig Schüler pro Jahrgang die französische Immersion – Tendenz steigend.
Obwohl sich das Modell inzwischen erfolgreich in Oerlikon etabliert hat, führt
von den anderen Gymnasien bis jetzt einzig die Kantonsschule Freudenberg das
Profil. Fumagalli sieht die kantonale Bildungsdirektion in der Pflicht. Falls
im Kanton Zürich ein politischer Wille zur Förderung von Austauschprojekten
bestehe, brauche es eine kantonale Koordinationsstelle – ein Sprachbüro, das
alle Sekundarschulen bei der Organisation der Aufenthalte unterstützen würde.
Unterstützung für Berufsschüler
Dass der Kanton Zürich
beim Thema Sprachaustausch in der Tat keine besonders gute Figur macht, belegt
auch eine kürzlich publizierte Statistik des «Tages-Anzeigers». Lediglich 0,5
Prozent der Zürcher Erst- bis Zwölftklässler haben im Schuljahr 2016/17 an
einem Austausch in einem anderen Sprachraum teilgenommen. Damit bildet der
Kanton Zürich das Schlusslicht im Austausch-Ranking. Führend ist der Kanton
Schaffhausen mit 6,8 Prozent. Die Zürcher Bildungsdirektion relativiert das
schlechte Ergebnis und verweist darauf, dass die einzelnen Kantone Austausche
unterschiedlich erheben. So erfasst der Kanton Zürich nur jene Aufenthalte, die
er finanziell unterstützt. Es fehlen Angaben darüber, wie viele Austausche
überdies von Gemeinden, Schulen, der nationalen Agentur für Austausch und
Mobilität (Movetia) oder privat finanziert werden.
Wie die Sprachaufenthalte
organisiert und finanziert werden, unterscheidet sich je nach Bildungsstufe. An
den Sekundarschulen seien Klassenlager in der Westschweiz verbreitet, heisst es
vonseiten der Bildungsdirektion. Einen Teil der Kosten tragen die Gemeinden.
Als finanzielle Unterstützung sieht der Kanton Zürich eine Klassenpauschale von
500 Franken plus 15 Franken pro Schüler vor. An den Gymnasien werden
Schüleraustausche von der Schule selbst, über Movetia oder privat finanziert.
Weder die Gemeinden noch das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA)
beteiligen sich an den Kosten.
Anders ist dies in der
Berufsbildung: Seit 2013 unterstützt das MBA Austauschprojekte für
Berufsschüler. Die Bildungsdirektion schätzt die Zahl der Lernenden, die pro
Jahr einen Sprachaustausch kombiniert mit einem Kurzpraktikum im EU-Raum
absolvieren, auf rund 350. Das beliebteste Zielland sei Grossbritannien. «Der
Kanton Zürich nimmt in der Berufsbildung im Bereich Mobilität seit Jahren eine
führende Rolle ein und leistet schweizweit in diesem Bereich Pionierarbeit»,
sagt Niklaus Schatzmann, Chef des Mittelschul- und Berufsbildungsamts.
Die grosse Herausforderung
sieht auch Schatzmann im Organisationsaufwand für die einzelnen Lehrpersonen.
Im Falle von Skilagern werden die Schulen seit 2014 bei der Organisation vom Verein
Schneesportinitiative Schweiz unterstützt. Eine solche Unterstützung wäre auch
bei Sprachaustauschen förderlich, sagt Schatzmann. Die Einrichtung eines
kantonalen Sprachbüros, wie von Daniele Fumagalli gefordert, sei derzeit jedoch
nicht geplant.
Die schwierige Suche nach Gastfamilien
Vorerst dürften
Sprachaustausche also weiterhin mit dem Einsatz einzelner Lehrpersonen stehen
und fallen. In Oerlikon hat Daniele Fumagalli bereits ein weiteres
Austauschprojekt angestossen. Neben Mathematik sei Französisch jenes Fach, das
den Gymnasiasten in der Probezeit am meisten Mühe bereite. Dass die zweite
Landessprache nicht länger Teil der zentralen Aufnahmeprüfung sein wird,
bedauert er, und er befürchtet, dass damit das ohnehin tiefe Französischniveau
der Volksschüler weiter sinkt. «Wenn ein Fach nicht geprüft wird, sinkt das
Interesse, dafür zu lernen.» Befürworter der Reform vertreten hingegen den
Standpunkt, dass die Französischprüfung das Bestehen der Probezeit weniger
zuverlässig voraussage als die Vornote.
Mit Sprachaufenthalten
könne man Abhilfe schaffen, sagt Fumagalli überzeugt und hat sich deshalb mit
Vera Lang, Präsidentin der Kreisschulbehörde Glatttal, zusammengesetzt. Dies
ist der Schulkreis im Einzugsgebiet der Kantonsschule Zürich Nord. Im Mai werden
erstmals zwanzig Glatttaler Sekundarschüler einen einwöchigen Sprachaufenthalt
in Genf absolvieren. Die Sprachaufenthalte werden nicht als Klassen-, sondern
als Einzelaustausche organisiert: Die Schüler wohnen abwechselnd für eine Woche
bei der Familie ihres Tandempartners.
Die schwierigste Aufgabe
sei es, passende Gastfamilien zu finden, darin sind sich die Verantwortlichen
einig. Dabei spiele nicht nur die ungleiche Grösse der Sprachräume in der
Schweiz eine Rolle: Viele Romands würden lieber nach Deutschland oder nach
England gehen statt in die mundartsprachige Deutschschweiz, sagt Koordinator
Yann Lenggenhager. Und auch an der Kantonsschule Zürich Nord, wo Französisch
besonders hochgehalten wird, bleibt Englisch für viele Jugendliche die Fremdsprache
Nummer eins: In den letzten Jahren wurde die englische Immersion von den
Schülern etwa doppelt so oft gewählt wie die französische.
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