17. Februar 2019

Zürich bei Sprachaufenthalten schwach


Eine Sprache lernt man am besten dort, wo sie gesprochen wird. Das ist die gängige Meinung, und auch unter Experten gelten die positiven Wirkungen von Sprachaufenthalten als unbestritten. Bund und Kantone haben sich denn auch auf die Fahne geschrieben, die Mobilität über die Sprachgrenzen hinweg zu fördern und vor einem Jahr eine gemeinsame Strategie verabschiedet. So weit die Theorie. In der Praxis zeigt sich im Kanton Zürich ein etwas anderes Bild: Ob ein Austauschprojekt zustande kommt, hänge nach wie vor primär vom Engagement – dem «feu sacré» – einzelner Lehrpersonen ab, sagt etwa Daniele Fumagalli, Prorektor und Französischlehrer an der Kantonsschule Zürich Nord.
Sprachaustausch: Der Kanton Zürich lässt Lehrer bei Sprachaufenthalten im Stich, NZZ, 17.2. von Linda Koponen


Diese hat bei der Förderung von Französisch unter den Zürcher Gymnasien eine Pionierrolle inne: Seit dem Schuljahr 2010/11 können die Schüler in Oerlikon einen zweisprachigen Maturitätsgang auf Deutsch und Französisch besuchen. Die Fächer Geschichte und Geografie werden im sogenannten Immersionsunterricht in der Fremdsprache gelehrt. Das Programm geht auf die persönliche Initiative von Fumagalli zurück. Unterstützt wurde er durch die Fachschaft Französisch. Die Schüler haben seiner Ansicht nach ein Recht auf eine französischsprachige Matur – schliesslich handle es sich um eine Landessprache.

«Die Noten sind Nebensache»

Ein zentraler Bestandteil der Immersion an der Kantonsschule Zürich Nord ist ein einsemestriger Sprachaufenthalt in der Romandie. «Es ist wichtig, dass die Sprache nicht nur im Klassenzimmer unterrichtet wird», sagt Fumagalli. Für die Schüler bringe der Austausch eine ganz andere Motivation und verbessere ihr Gefühl für Sprache und Kultur, könnten sie doch ihre Kenntnisse direkt in Alltagssituationen einsetzen. Nicht zuletzt förderten Sprachaufenthalte aber auch die Selbständigkeit der Jugendlichen. «Die Noten spielen keine besondere Rolle», sagt Yann Lenggenhager, der für die Koordination der Immersion und der Austausche an den Kantonsschulen Zürich Nord und Freudenberg verantwortlich ist. Viel wichtiger sei die Erfahrung an sich.

Bei den Schülern stosse das Angebot auf zunehmendes Interesse. Seit dem Start des Projekts besuchen fünf bis zwanzig Schüler pro Jahrgang die französische Immersion – Tendenz steigend. Obwohl sich das Modell inzwischen erfolgreich in Oerlikon etabliert hat, führt von den anderen Gymnasien bis jetzt einzig die Kantonsschule Freudenberg das Profil. Fumagalli sieht die kantonale Bildungsdirektion in der Pflicht. Falls im Kanton Zürich ein politischer Wille zur Förderung von Austauschprojekten bestehe, brauche es eine kantonale Koordinationsstelle – ein Sprachbüro, das alle Sekundarschulen bei der Organisation der Aufenthalte unterstützen würde.

Unterstützung für Berufsschüler

Dass der Kanton Zürich beim Thema Sprachaustausch in der Tat keine besonders gute Figur macht, belegt auch eine kürzlich publizierte Statistik des «Tages-Anzeigers». Lediglich 0,5 Prozent der Zürcher Erst- bis Zwölftklässler haben im Schuljahr 2016/17 an einem Austausch in einem anderen Sprachraum teilgenommen. Damit bildet der Kanton Zürich das Schlusslicht im Austausch-Ranking. Führend ist der Kanton Schaffhausen mit 6,8 Prozent. Die Zürcher Bildungsdirektion relativiert das schlechte Ergebnis und verweist darauf, dass die einzelnen Kantone Austausche unterschiedlich erheben. So erfasst der Kanton Zürich nur jene Aufenthalte, die er finanziell unterstützt. Es fehlen Angaben darüber, wie viele Austausche überdies von Gemeinden, Schulen, der nationalen Agentur für Austausch und Mobilität (Movetia) oder privat finanziert werden.

Wie die Sprachaufenthalte organisiert und finanziert werden, unterscheidet sich je nach Bildungsstufe. An den Sekundarschulen seien Klassenlager in der Westschweiz verbreitet, heisst es vonseiten der Bildungsdirektion. Einen Teil der Kosten tragen die Gemeinden. Als finanzielle Unterstützung sieht der Kanton Zürich eine Klassenpauschale von 500 Franken plus 15 Franken pro Schüler vor. An den Gymnasien werden Schüleraustausche von der Schule selbst, über Movetia oder privat finanziert. Weder die Gemeinden noch das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) beteiligen sich an den Kosten.

Anders ist dies in der Berufsbildung: Seit 2013 unterstützt das MBA Austauschprojekte für Berufsschüler. Die Bildungsdirektion schätzt die Zahl der Lernenden, die pro Jahr einen Sprachaustausch kombiniert mit einem Kurzpraktikum im EU-Raum absolvieren, auf rund 350. Das beliebteste Zielland sei Grossbritannien. «Der Kanton Zürich nimmt in der Berufsbildung im Bereich Mobilität seit Jahren eine führende Rolle ein und leistet schweizweit in diesem Bereich Pionierarbeit», sagt Niklaus Schatzmann, Chef des Mittelschul- und Berufsbildungsamts.

Die grosse Herausforderung sieht auch Schatzmann im Organisationsaufwand für die einzelnen Lehrpersonen. Im Falle von Skilagern werden die Schulen seit 2014 bei der Organisation vom Verein Schneesportinitiative Schweiz unterstützt. Eine solche Unterstützung wäre auch bei Sprachaustauschen förderlich, sagt Schatzmann. Die Einrichtung eines kantonalen Sprachbüros, wie von Daniele Fumagalli gefordert, sei derzeit jedoch nicht geplant.

Die schwierige Suche nach Gastfamilien

Vorerst dürften Sprachaustausche also weiterhin mit dem Einsatz einzelner Lehrpersonen stehen und fallen. In Oerlikon hat Daniele Fumagalli bereits ein weiteres Austauschprojekt angestossen. Neben Mathematik sei Französisch jenes Fach, das den Gymnasiasten in der Probezeit am meisten Mühe bereite. Dass die zweite Landessprache nicht länger Teil der zentralen Aufnahmeprüfung sein wird, bedauert er, und er befürchtet, dass damit das ohnehin tiefe Französischniveau der Volksschüler weiter sinkt. «Wenn ein Fach nicht geprüft wird, sinkt das Interesse, dafür zu lernen.» Befürworter der Reform vertreten hingegen den Standpunkt, dass die Französischprüfung das Bestehen der Probezeit weniger zuverlässig voraussage als die Vornote.

Mit Sprachaufenthalten könne man Abhilfe schaffen, sagt Fumagalli überzeugt und hat sich deshalb mit Vera Lang, Präsidentin der Kreisschulbehörde Glatttal, zusammengesetzt. Dies ist der Schulkreis im Einzugsgebiet der Kantonsschule Zürich Nord. Im Mai werden erstmals zwanzig Glatttaler Sekundarschüler einen einwöchigen Sprachaufenthalt in Genf absolvieren. Die Sprachaufenthalte werden nicht als Klassen-, sondern als Einzelaustausche organisiert: Die Schüler wohnen abwechselnd für eine Woche bei der Familie ihres Tandempartners.

Die schwierigste Aufgabe sei es, passende Gastfamilien zu finden, darin sind sich die Verantwortlichen einig. Dabei spiele nicht nur die ungleiche Grösse der Sprachräume in der Schweiz eine Rolle: Viele Romands würden lieber nach Deutschland oder nach England gehen statt in die mundartsprachige Deutschschweiz, sagt Koordinator Yann Lenggenhager. Und auch an der Kantonsschule Zürich Nord, wo Französisch besonders hochgehalten wird, bleibt Englisch für viele Jugendliche die Fremdsprache Nummer eins: In den letzten Jahren wurde die englische Immersion von den Schülern etwa doppelt so oft gewählt wie die französische.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen