Zu Unrecht gekündigt. Das Luzerner Kantonsgericht hob die Freistellung von Thomas Bannwart auf. Bild: Lucian Hunziker
Abrechnung mit islamkritischem Religionslehrer, Basler Zeitung, 28.10. von Christian Keller
Am Anfang steht ein Brief. Er trägt die
Überschrift «Dispensation vom Religionsunterricht», datiert vom 2. April 2014,
und ist adressiert an den Schulleiter der Oberstufe Utenberg in Luzern. In dem
Schreiben erhebt ein 15-jähriger Secondo – ein Muslim, dessen Eltern aus
Albanien in die Schweiz einwanderten – eine Reihe von Vorwürfen gegen den
Luzerner Religionslehrer Thomas Bannwart. «Schon als wir die Themen über das
Judentum und das Christentum durchnahmen, erwähnte Herr Bannwart immer wieder
den Islam, aber immer verband er es mit dem Bösen und dem Schlechten», ist den
Zeilen zu entnehmen.
Der 63-jährige studierte Theologe, den die Anschuldigungen
betreffen, ist in der Hauptstadt der Innerschweiz eine anerkannte Fachperson,
ein Lehrer von altem Schrot und Korn, der aufgrund seiner vierzigjährigen
Unterrichtstätigkeit auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen kann.
Seit 1997 führt Bannwart junge Katholiken und Reformierte der Luzerner
Oberstufe an die drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam heran und
zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Für Andersgläubige wie Muslime ist
der Unterricht freiwillig.
Im Kollegium und bei der Schülerschaft steht Bannwart hoch im
Kurs. Das belegt eine Flut von Schülerbriefen und Rückmeldungen von Lehrern.
«Ich erlebe den Religionsunterricht bei Thomas Bannwart als ausgeglichen und
sehr differenziert sowie methodisch und didaktisch auf hohem Niveau. Zudem
begegnet er meinen Schülerinnen und Schülern stets mit sehr grosser
Wertschätzung, unabhängig von deren religiöser Zugehörigkeit», äussert sich
Orlando Foffa, ein Klassenlehrer der Schule Mariahilf, in einer Stellungnahme
an die katholische Kirchgemeinde Luzern. Das Feedback von Klassenlehrerin
Andrea Renggli fällt ebenfalls äusserst positiv aus: «In meiner
multikulturellen Klasse müssten lediglich sechs Schülerinnen und Schüler den
Unterricht besuchen, alle anderen gingen freiwillig und dazu noch sehr gern.»
Doch auch die allerbesten Referenzen bewahren Thomas Bannwart, der
drei Jahre vor seiner Pensionierung steht, nicht vor einem der bittersten und
härtesten Momente in seinem Leben.
Rauswurf ohne Beweise
Als Rektor Jürgen Rotner – der Deutsche leitet im Auftrag der
katholischen Kirchgemeinde den Religionsunterricht an den Luzerner
Volksschulen – von der Beschwerde des jugendlichen Muslims erfährt, setzt
er den altgedienten Pädagogen auf die Anklagebank. Wie aus zahlreichen E-Mails
und Dokumenten hervorgeht, die der BaZ vorliegen, nimmt Rotner den
Wahrheitsgehalt des Schülerbriefs von Beginn weg für bare Münze. Zweifel am
Wahrheitsgehalt hat er keine. Dass Bannwart – wie im Brief
beschrieben – der Schulklasse freudig berichtet haben soll, wie «die
herrlichen Kreuzritter mit ihren Pferden auf einem Hügel waren und sich die
Morgensonne an ihrer Rüstung spiegelte, und sie dann zum Glück die Muslime
niedermetzelten und die Wiener befreiten»: Für Rotner eine Tatsache. Im März
2015 stellt er den Beschuldigten, der die Darstellungen des Schülers vehement
bestreitet, mit einer fristlosen Kündigung auf die Strasse. Beweise hat er
keine.
Unlängst hat das Luzerner Kantonsgericht den Rauswurf Bannwarts
als unrechtmässig zurückgewiesen. Der Richterspruch kann die Geschehnisse
allerdings nicht mehr rückgängig machen. Für den Berufsstand ist der Fall ein
erschreckendes Beispiel, wie rasch in der heutigen Zeit ein Ausbildner an den
Pranger gestellt und in seiner Existenz zerstört werden kann – ungeachtet
seiner bisherigen Verdienste und Qualifikationen. «Irgendjemand ist unzufrieden
und glaubt, als ‹Steuerzahler› Macht ausüben zu können – und das ganze
Verfahren kommt in Gang. Dies ist einer der Gründe, weshalb Lehrpersonen bei
uns im Verband vermehrt juristische Beratung in Anspruch nehmen», sagt Kaspar
Bättig vom Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband.
Von den Schulklassen, die Bannwart zum Zeitpunkt der Entlassung am
19. März 2015 betreut, darf er sich nicht mehr persönlich verabschieden.
Stattdessen erhalten die Eltern gleichentags die Mitteilung, dass der
Religionslehrer per sofort freigestellt worden sei. «Es gab längere
Auseinandersetzungen über Vorkommnisse, welche die Vertrauensgrundlage
untergraben haben», so die Begründung.
Ein Satz, der schlimme Vorkommnisse suggeriert. Ist es zu
sexuellen Übergriffen gekommen? «Durch diese Formulierung wurde mein Ruf massiv
geschädigt. Ich wurde in die Ecke eines Sexualstraftäters gestellt», empört
sich Bannwart. Personen, die sich für den Gebrandmarkten einsetzen,
intervenieren bei Rektor Rotner. «Ihr Brief wirkt sehr desavouierend»,
protestiert die Mutter zweier Schülerinnen. Und fährt fort: «Ihre
Vorgehensweise erinnert an andere Vorkommnisse in der katholischen Kirche und
nützt genau dieser am wenigsten. Er verursacht Kopfschütteln, Unverständnis und
die Gefahr, dass sich wieder weitere Kirchengänger von der Kirche entfernen.»
Kritik vom Lehrerverband
Die Einwände prallen an den sakralen Gemäuern ab. Urban Schwegler,
Medienbeauftragter der katholischen Kirche der Stadt Luzern, weist jegliches
Fehlverhalten zurück. Seine Stellungnahme ist allerdings widersprüchlich.
Thomas Bannwart habe sich «kein strafrechtlich relevantes Verhalten zuschulden»
kommen lassen, erklärt Schwegler zunächst. Dann schreibt er: «Jeder
dahingehende Verdacht wurde umgehend dementiert.» Damit räumt die städtische
Kirchgemeinde selber ein, dass durch das Informationsschreiben des Rektors der
Eindruck strafbarer Handlungen entstanden ist.
Beat Zemp, Präsident des Dachverbandes der Schweizerischen
Lehrerinnen und Lehrer, hat für dieses Vorgehen kein Verständnis. «Mit solch
heiklen Formulierungen wird eine Lehrkraft natürlich ans Messer geliefert»,
hält der Baselbieter fest. Die Unterstützung durch den obersten Verbandsvertreter
nützt Bannwart freilich wenig. Seit dem Jobverlust fristet er ein Dasein als
Arbeitsloser. Seine Arbeitswohnung in Luzern konnte er sich nicht mehr leisten.
Nun lebt er im engen Ferienhäuschen in Seelisberg, das er von seinem Onkel
geerbt hat. Anderswo eine Anstellung zu finden, sei mit 63 Jahren so gut wie
aussichtslos.
Fürsorgepflicht verletzt
Dass Schulleitungen Meldungen aus der Schülerschaft auf den Grund
gehen müssen, steht ausser Frage. Gemäss Zemp wurden seitens des Dachverbandes
Broschüren ausgearbeitet, wie in einem Konfliktfall zu verfahren ist. Kennt
Rektor Rotner, der nicht mit der BaZ sprechen will, die darin beschriebenen
Abläufe? Zweifel sind angebracht. Recherchen ergeben: Mit dem Schüler, der das
folgenschwere Dispensationsgesuch verfasste, hat Rotner nie ein Wort
gesprochen. «Ich wurde vom Unterricht befreit. Zum Inhalt meines Briefs hat
niemand Nachfragen gestellt», bestätigt Dragan* der BaZ.
Für Zemp ein klarer Verstoss: «Das entspricht eindeutig nicht der
gängigen Praxis.» Das Luzerner Kantonsgericht sieht die Fürsorgepflicht des
Arbeitgebers verletzt. Die Beklagte hätte die Vorwürfe «vertiefter überprüfen
und entsprechende Abklärungen tätigen müssen», heisst es in der
Urteilsbegründung.
Dabei wäre es sehr ergiebig gewesen, sich Dragans Wahrnehmungen
und Beweggründe anzuhören. Der junge Mann, der einen intelligenten und
vernünftigen Eindruck macht, bedauert das Schicksal Bannwarts. «Das wollte ich
wirklich nicht. Hätte ich gewusst, welche Kettenreaktion dadurch ausgelöst
wird, wäre ich anders vorgegangen». Dragan lastet seinem ehemaligen
Religionslehrer zwar weiterhin an, den Islam herabgesetzt zu haben. Er räumt aber
auch ein: «Andere Klassenmitglieder waren nicht meiner Meinung.»
Hätte Rotner nicht einseitig agiert und sich mit Dragan
auseinandergesetzt, hätte er erfahren, in welch emotional belastender
Lebenssituation er sich befand. «In dieser Zeit war mein Bruder gestorben. Die
Trauer hat mich näher an den Glauben herangeführt.» In seiner Familie gebe es
jedoch keine strenggläubigen Muslime. Er besuche selten die Moschee, geniesse
das Nachtleben wie jeder andere Jugendliche auch und seine Schwester trage kein
Kopftuch, erzählt Dragan. Nochmals betont er: «Ich habe nie verlangt, dass Herr
Bannwart seine Stelle verliert. In den ersten zwei Jahren, als es um das
Christentum und Judentum ging, habe ich seine Lektionen gerne besucht».
Gegen seinen ehemaligen Schüler hegt Bannwart keinen Groll, wohl
aber gegen die Vorverurteilung durch das Rektorat. Alleine aus stilistischen
Gründen halte er es für erwiesen, dass einige Textstellen von einem Geistlichen
verfasst worden seien. Dragan erwähnt im Dispensationsgesuch, einen Imam und
einen Haxhi nach deren Meinung gefragt zu haben. Zur BaZ sagt er: «Den Brief
habe ich aber alleine geschrieben».
Islamkritisch, nicht islamophob
Was die von Dragan angeführten Kritikpunkte betrifft, steht
Aussage gegen Aussage. Das Gericht stellte sich auf die Seite des
Beschuldigten. Würde Bannwart tatsächlich in den vielen Jahren seines
Unterrichts ein ausschliesslich negatives und abwertendes Bild des Islams
vermitteln, wäre dies sicherlich seitens Lehrerschaft und Eltern thematisiert
worden. «Das ist aber gerade nicht der Fall», so die Luzerner Richter.
«Nie käme es mir in den Sinn, den Islam im Unterricht in ein
schlechtes Licht zu rücken. Wenn ich einen Aspekt kritisch beleuchte, dann um
die Welt zu erklären, wie sie nun einmal ist», sagt Bannwart. Der entlassene
Religionslehrer beklagt eine perfide Gleichsetzung. «Islamkritische
Betrachtungen werden umgehend als islamophob eingestuft.» Dass im Koran brutale
Passagen vorkommen, könne er nicht einfach ausblenden. Die Schüler sollten sich
damit konstruktiv auseinandersetzen. Auch in diesem Punkt erhielt Bannwart vom
Gericht Rückendeckung: «Es muss sowohl möglich wie zulässig sein,
anspruchsvollere Diskussionen über Religionen führen zu können und dabei auch
Kritik einfliessen zu lassen.»
Rektor Jürgen Rotner hat hingegen ganz andere Vorstellungen, wie
eine gute Religionsstunde vonstattengehen soll. In einer E-Mail erläutert er
Bannwart: «Wir müssen jede Religion und Weltanschauung im Lichte ihrer
vorbildhaftesten, ehrlichsten und menschlichsten Vertreterinnen und Vertreter
darstellen, um zu zeigen, was diese Religion oder Anschauung sein kann.» Seinen
Mitarbeiter bezichtigt er, Ressentiments zu schüren, indem er etwa Textzitate
mit einseitig negativer Aussage verwende. Rotner stört sich auch an Erzählungen
von Frauen, die im Umfeld des Islam schlecht behandelt wurden. Bei einem
Unterrichtsbesuch konstatiert er einen «abschätzigen Unterton», ohne jedoch
genauer auszuführen, was er damit meint.
Religionslehrer gepiesackt
Bei einer Aussprache zeigt sich Bannwart gewillt, Anpassungen in
der Literaturauswahl vorzunehmen und seine Arbeitsblätter nach dem Wunsch des
Rektors zu überarbeiten. Doch damit ist die Angelegenheit nicht etwa bereinigt.
Denn Rotner gibt sich mit den Korrekturen seines Untergebenen nicht zufrieden.
Jedes Detail nimmt er zum Anlass, um sein Missfallen zu bekunden. Nach einem
Kontrollrundgang durchs Schulzimmer rügt er Bannwart schriftlich per
Einschreiben, zwei Bücher, darunter «Die Akte Osama bin Laden», nicht aus dem
Regal entfernt zu haben. «Gerne höre ich mir an, weshalb du sie hast stehen
lassen.»
Nun platzt dem langjährigen Mitarbeiter der Kragen. Er erwidert:
«Deine Art, einen erfahrenen Lehrer wie einen unflätigen Schulbuben zu
behandeln, bereitet mir – und zunehmend auch anderen – Stirnrunzeln.
In meiner Umgebung spricht man zunehmend von Mobbing.»
Bei der Durchsicht der umfangreichen Akten entsteht der Eindruck
eines Vorgesetzten, der einen missliebigen Angestellten loswerden möchte. So
führt Rotner auch noch eine Denkschrift ins Feld, die Bannwart 2010 verfasst
hat (notabene im Auftrag des Rektors). Darin habe er nicht nur seine kritische,
ablehnende Haltung gegenüber dem Islam ausgedrückt, sondern überdies mit
«linker Politik» in Zusammenhang gebracht. Für SVP-Mitglied Bannwart ein
Schlüsselmoment. «An dieser Stelle hat Rotner verraten, um was es ihm wirklich
geht: Er stört sich an meiner liberal-konservativen Ausrichtung», ist er
überzeugt. Er sei eben kein Anhänger der neuen Doktrin, die glaube, mit
gemeinsamem Gesangskonzerten und Cevapcici-Essen liesse sich das Verständnis
zwischen den Kulturen fördern.
«Wehe, wer diese Überzeugung, die zu einer Ideologie geworden ist,
infrage stellt», warnt Bannwart. Wegen seines Widerstands sei er auf die
Abschussliste geraten. «Die Intoleranz der Toleranten ist brutal.» Er weiche
aber nicht von seiner Haltung ab: «Ein religionswissenschaftlich aufgebauter
Stundenplan, der die Schüler mit Wissen ausstattet und eigenständiges Denken
fördert, trägt viel mehr zur Integration bei als gemeinsame Tänze und
Wanderausflüge.»
Nun, nachdem das Luzerner Kantonsgericht sein Verdikt gesprochen
hat, fordert Bannwart nebst finanzieller Entschädigung eine öffentliche
Entschuldigung und die Rehabilitation seiner Person. Möglicherweise kommt es zu
einem weiteren Prozess: Ob die Kirchgemeinde das Urteil ans Bundesgericht
weiterzieht, steht noch nicht fest. Die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte
schliesst Bannwart kategorisch aus. Dafür sei das Verhältnis zu zerrüttet.
Gerne hätte der Verbannte seinen 274 Schülern in einem Brief Adieu
gesagt. Das Rektorat verbot den Versand. In dem Schreiben zitiert Bannwart den
griechischen Philosophen Platon: «Es ist besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht
zu tun.»
*Richtiger Name der Redaktion bekannt.
Die Toleranz der Intoleranz ist unsere Mitschuld am Untergang unserer Werte, es kann ja nicht sein, dass ein Deutscher über einen schweizer Religionslehrer eine solch einseitige Entscheidung verfügen kann, dem Theologen Bannwart muss eine angemessene Entschädigung bezahlt werden und der Jürgen Rothner muss entlassen werden
AntwortenLöschenBedenklich: Wie kommt eine Katholische Kirchgemeinde dazu, ihren ausgewiesenen Religionslehrer, der christliche Werte vertritt, fristlos zu entlassen und sogar noch vor Bundesgericht zu ziehen, nur weil dieser es wagt, den Islam aus christlicher Sicht zu beurteilen? Begeht der Katholische Kirchgemeinderat nicht Verrat an den eigenen Werten und biblischen Wahrheiten? Beginnt so nicht die Christenverfolgung aus eigenen Reihen? Herr Bannwart ist für seinen Mut und seine Standhaftigkeit zu gratulieren! Beat Schmid lic.theol., Menznau
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