13. Januar 2019

Beurteilung hemmt Freude am Lernen


Erfreulich ist, dass der Schweizerische Wissenschaftsrat eine Tatsache wissenschaftlichbestätigt (NZZ 29. 12. 18), die für jede aufmerksame Mutter von Schulkindernoffensichtlich ist: «die soziale Selektivität» des Schweizer Bildungssystems. Hinsichtlich der Ursachenanalyse wirkt es jedoch befremdend, dass wichtige Themen nicht angeschnitten werden: der sehr hohe Leistungsanspruch, gepaart mit einer regelrechten Bewertungsmanie, die daraus resultierende Defizitorientierung und die «Verweiblichung» des Schulwesens mit negativen Folgen für viele Knaben. Der hohe Anspruch in allen Fächern der Primarschule erstaunt. Dieser zeigt sich nicht nur im Stoffumfang und in der bisweilen fragwürdigen Stufengerechtigkeit der vermittelten Lerninhalte, sondern auch in einem unfassbar granularen Bewertungssystem. 
NZZ, 11.1. Leserbrief von Sandra Hedinger

Zur Beurteilung der Lernkontrollen in jedem Schulfach mit Zehntelsnoten kommt ein vierseitiger Beurteilungsbogen für die sogenannten «Kompetenzen». Jede Regung eines Kindes in der Schule – so entsteht der Eindruck – wird bewertet, beurteilt und manchmal gar verurteilt, wobei die Aufmerksamkeit unweigerlich auf den Defiziten liegt. Diese ausgeprägte Defizitorientierung scheint mir die Freude am Lernen zu hemmen und die Lust, Neues zu entdecken, im Keim zu ersticken; so dass die Motivation für das Lernen letztlich auf der Strecke bleibt des Schülers eher eine Schülerin – also ein angepasstes, fleissiges, pflichtbewusstes und zuverlässiges Mädchen – im Fokus hat. Dieser wird durch den nahezu ausschliesslich weiblichen Lehrkörper auf der Primarstufe noch verstärkt. Die wilderen Jungen mit wenig Sitzleder und Flausen im Kopf tragen derweil zur Auslastung der mannigfaltigen spezialpädagogischen Einrichtungen bei. Und was die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen dieses Schulsystems anbelangt, so ist neben dem erwähnten Mangel an akademischem Humankapital noch ein weiterer Aspekt zu erwähnen: die entgangene Lohnarbeit, meist bei den Müttern, weil diese ihre Sprösslinge in der Schule tatkräftig unterstützen (müssen?). 

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