Wenn Nassim Nicholas Taleb vom Leder zieht, kracht es – wie eben gerade:
Auf Twitter feuerte er in einem Paper auf Medium.com Salve um Salve auf die
psychometrische Intelligenzforschung ab. Ein pseudowissenschaftlicher Schwindel
sei der Intelligenzquotient, IQ-Messungen seien lediglich für einige
willkürlich isolierte mentale Fähigkeiten, und erst noch nur im künstlichen
Testumfeld, aussagefähig.
Ist der Intelligenztest ein pseudowissenschaftlicher Schwindel? NZZ, 12.1. von Nassim Taleb
In der realen Welt taugen IQ-Zahlen wenig, schreibt Taleb. Bestenfalls
erhielten Intelligenztests begrenzte Gültigkeit, wenn man IQ als
«Funktionärs-Quotient» oder «Verkaufsperson-Quotient» verstehe. Weswegen diese
noch am relativ erfolgreichsten zur Rekrutierung von Angestellten im Militär
oder bei grossen Unternehmen eingesetzt würden.
An der Statistik-Front machte Taleb geltend, dass die Aussagekraft von
IQ-Zahlen sinkt, sobald deren Wert steigt; dass es keinen Zusammenhang zwischen
höheren IQ und Einkommen gebe; und dass der IQ-Test ein stumpfes, zirkuläres
Messwerkzeug darstelle, das unvorhergesehene Ereignisse am Ende des
Wahrscheinlichkeitsspektrums unbeachtet lasse (Talebs «fat tails», die sein
Buch «Black Swan» zum Bestseller machten).
IQ-Zahlen entstünden ohne Rücksicht auf unerwartete Paradigmenwechsel.
Und deshalb seien sie unter anderen Rahmenbedingungen oder in der Zukunft
ziemlich wirkungslos. Ursprünglich (im 19. Jahrhundert) als Test für
Lerndefizienz entwickelt, sei der IQ ein Werkzeug für die Selektion von
Prüfungsteilnehmern, bürokratischen «Papiertigern», beliebt bei Eugenikern und
Rassisten sowie «IYI» (Intellectuals Yet Idiots).
Der IYI-Vorwurf zielte ins Herz von akademischen Intelligenz-Intellektuellen.
Namentlich erwähnte Taleb Steven Pinker, dem er Unwissen über die statistischen
Begriffe Varianz und Korrelation unterstellte, sowie «Quacksalber» Charles
Murray, einen streitbaren Verfechter einer Gausskurvenverteilung von
Intelligenz, mit der er Ethnien und Rassen vergleicht.
Einige der Angegriffenen schluckten den Köder. Murray und
Neuropsychologe Sam Harris twitterten alsbald ad hominem über
den Genie-Komplex des egomanischen, arroganten Taleb. Jordan Peterson und
andere Adlaten des Intellectual Dark Web meldeten sich kurz zu Wort, zogen sich
aber schleunigst zurück, sobald ihnen eine weitere geharnischte Tirade von
Taleb entgegenschlug. Hier war kein Blumentopf zu gewinnen.
Wohlgemerkt, Taleb nahm kein Blatt vor den Mund, unterlegte seine Thesen
mit reichlich probabilistischem und statistischem Anschauungsmaterial und liess
Verfechter von Kategorien wie nationaler, ethnischer, geschlechtlicher oder
historischer Intelligenz alt aussehen.
Unter dem wissenschaftstheoretischen Strich wiederholte Taleb ein
Poppersches Mantra: Der Wert von Intelligenztests ist davon abhängig, wie man
den Messgegenstand definiert. Die hierbei verwendete Definition von Intelligenz
ist zu sehr reduziert auf Geltungsbereiche, die einem komplexen Phänomen wie
dem menschlichen Intellekt in der Lebenswelt unmöglich gerecht werden.
Abgesehen von einem Punktsieg erreichte Taleb mit seinen Ausfällen auf
Twitter etwas Aussergewöhnliches: Indem er die IQ-Diskussion nicht in gängige
Stellvertreter-Streitigkeiten über akademische Political Correctness, Rede- und
Meinungsfreiheit verpackte, sprach Taleb einen komplexen Gegenstand direkt und
sachlich an. Das Resultat war ein so derbes wie packendes und lehrreiches
Social-Media-Seminar. Das dürfte ruhig öfter passieren.
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