5. Dezember 2018

Einheitslehrmittel gefährden Methodenfreiheit


Nach dem vorläufigen Ende des Abstimmungsreigens zum Lehrplan 21 sind sich Gegner und Befürworter in einem Punkt einig: Die freie Wahl der Unterrichtsmethoden muss weiterhin gewährleistet bleiben. Daran orientiert sich die Forderung nach mehr Lehrmittelfreiheit.
Einheitslehrmittel gefährden Methodenfreiheit, 5.12. von Urs Kalberer


Der neue Lehrplan sorgte für Aktivität bei den Verlagen: Neue Fächer und die Neuorientierung nach Kompetenzen erfordern neue Lehrmittel. Doch verschiedene Faktoren führten dazu, dass es sich bei den neu entstehenden Lehrmitteln um Monopollehrmittel handelt, die – einmal eingeführt – keine Konkurrenz mehr zu fürchten haben. Da wäre erstens einmal die Begrenztheit des Deutschschweizer Marktes: Die Schulbuchverlage wollen sich dieses Feld nicht durch Konkurrenten noch enger machen lassen. Zweitens basiert der Lehrplan 21 auf dem Wunsch, den Schulstoff inhaltlich zwischen den Kantonen anzugleichen, was den Trend zu Einheitslehrmitteln verstärkt. Weiter sind die Pädagogischen Hochschulen treibende Kräfte in der Lehrmittelvereinheitlichung, da dies die Ausbildung vereinfacht.

Doch wie frei sind die Lehrer in der Ausübung ihres Berufes? Engt sie der neue Lehrplan etwa in ihrem Handlungsspielraum ein? Dezidiert äussert sich dazu Christian Amsler, der für die Einführung des Lehrplans 21 verantwortliche ehemalige Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz: „Die Unterrichts- und Methodenfreiheit ist in der Schweiz absolut gewährleistet. Die Lehrpersonen werden weder drangsaliert noch in ein Korsett gezwängt". Was aber hat die Methodenfreiheit mit den Lehrmitteln zu tun?

Eingeschränkte Methodenfreiheit
Während ein Lehrplan grundlegende Fragen zum Unterricht und den Bedingungen des Unterrichts klärt – der Lehrplanforscher Rudolf Künzli spricht vom „entscheidenden konstitutiven Dokument der öffentlichen Schule" – obliegt es den Lehrmitteln, diese Vorgaben in die Schulpraxis einfliessen zu lassen. Anhand der Lehrmittel wird konkret fassbar, was der Lehrplan allgemein und verklausuliert vorgibt. Ein Lehrmittel zu wählen, bedeutet deshalb immer auch, einen geplanten Ablauf von Lerninhalten zu wählen. Lehrmittel kontrollieren den Unterricht viel effizienter, als dies ein Lehrplan kann. Galt in der Vergangenheit der Lehrplan als prioritär, so muss man heute anerkennen: Der effektive Lehrplan bildet oft das Lehrmittel selbst und der Lehrer folgt gezwungenermassen den dortigen Anleitungen.
In der schulischen Realität existieren nun rigide Vorschriften zur Wahl der Lehrmittel, welche durch die in der Ausbildung favorisierten Materialien noch verstärkt werden. Das führt dazu, dass die Methodenfreiheit durch obligatorische Lehrmittel eingeschränkt wird.

Instrument der Qualitätskontrolle
Wie wird der Lehrmittel-Zwang begründet? Dank guten Lehrmitteln erreichen die Schüler die gesetzten Lernziele einfacher und besser, sie sind ein wichtiges Instrument der Qualitätskontrolle und der Steuerung des Unterrichts. Identische Lehrmittel sollen die Chancengerechtigkeit erhöhen und die Mobilität erleichtern. Die Kantone betonen zwar in den Grundlagen zum Lehrplan 21 die Wichtigkeit der Methodenfreiheit, die es erlaubt, auf die Heterogenität der Klassen mit angepassten Formen der Unterstützung einzugehen. Trotzdem wird die Lehrmittelauswahl stark eingeschränkt.

Die Nachteile dieser Praxis sind offenkundig: Erstens entstehen immer wieder neue Lehrmittel, eine Lehrerbildung, die auf ein bestimmtes Lehrwerk fokussiert, ist notgedrungen fragmentarisch und gerät unweigerlich in den Dunstkreis von pädagogischen Ideologien. Weiter können bei intransparenten Beschaffungsentscheiden andere als pädagogische Interessen mitspielen. Aus pädagogischer Sicht muss festgehalten werden, dass Lehrmittel keine Rücksicht auf Unterrichtsfaktoren wie Klassengrösse, Heterogenität oder die Fähigkeiten der Unterrichtenden nehmen. Monopollehrmittel bevormunden die Lehrer, denn diese können nicht selbst entscheiden, was für ihre Lerngruppe und für sie selbst am besten passt. Es ist unbegreiflich, weshalb eine mehrklassige Bergschule denselben methodischen Ansatz wie eine Schule in einem Industrieort mit vielen Migrantenkindern haben muss. Dies gilt umso mehr, als dass Kompetenzen lehrmittelunabhängig erworben werden können. Einheitslehrmittel fördern eine didaktische Monokultur, an der besonders unerfahrene Lehrer scheitern.
Angesichts dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob die bestehenden Lehrmittelobligatorien nicht zugunsten einer liberaleren Praxis abgelöst werden könnten. Das ideale Lehrmittel existiert so wenig wie die ideale Methode. Mehr Wahlfreiheit stärkte die Lehrerschaft, brächte einen grösseren pädagogischen Handlungsspielraum und steigerte letztlich die Unterrichtsqualität.

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