4. Dezember 2018

Grosser Nutzen durch Latein


Ein Vorschlag: Reden wir weniger von «Latein», lieber von «Lateinunterricht». Latein ist eine Sprache wie jede andere, nur ohne «native speakers», aber mit Abertausenden von modernen und alten Büchern, von Lehrbüchern bis zu Werken der Weltliteratur, die etwa einen Shakespeare faszinierten und auch heute ungezählte Menschen anregen.
Warum wir auf den Lateinunterricht nicht verzichten sollten, NZZ, 4.12. von Theo Wirth


Es geht hier aber um das Unterrichten dieser Sprache und der antiken Kultur an den Zürcher Gymnasien. Wieder wird das Fach infrage gestellt, wegen der gesunkenen Zahl der Schüler, die nach den ersten beiden Jahren (mit Lateinobligatorium) ab der dritten Klasse das Fach weiter belegen; deshalb solle man den Lateinunterricht ganz abschaffen.

Unhaltbare Argumente
Hauptgrund für den Rückgang ist die Einführung des Maturitätsanerkennungsreglements (MAR) in der Schweiz ab 1995. Im Kanton Zürich wurden auf dieser Grundlage fünf Maturitätswege, sogenannte Profile, geschaffen. Diese unterscheiden sich vor allem durch das «Schwerpunktfach», das in der Bezeichnung des jeweiligen Profils zum Ausdruck kommt. Die Profile gelten für die vier Jahre vor der Maturitätsprüfung, in den sechsjährigen Langgymnasien also ab der dritten Klasse. Würden nun die Zweitklässler schön gleichmässig wählen, ergäbe dies 20 Prozent pro Profil – mit 14,2 Prozent (Latein 12,4 plus Griechisch 1,8 Prozent) im Jahr 2018 steht das altsprachliche Profil gar nicht so schlecht da, auch nicht im Vergleich: 17,2 Prozent im mathematisch-naturwissenschaftlichen Profil, 16,7 in Wirtschaft und Recht und 10,4 im musischen Profil (neusprachliches Profil 39,3, andere Ausbildungswege 2,2 Prozent). Wenn man also das altsprachliche Profil wegen der «geringen» Wählerzahl abschaffen wollte, müsste man doch gerade alle vier «kleinen» Profile abschaffen.

Es wird aber noch mit einem anderen Argument gegen den Lateinunterricht geschossen: Er bringe keinen Nutzen, man brauche heute vielmehr einen Ausbau des Informatikunterrichts.
Ein solches Denken beweist mangelnde Sachkenntnis. Erstens bringt der Lateinunterricht einen sehr grossen Nutzen, zweitens argumentieren kundige Informatiker ganz anders. So stellte etwa J. Hromkovic, Professor an der ETH für Informationstechnologie und einer der Promotoren des geplanten Fachs Informatik, in den «ETH-News» fest: «Wir wissen, dass Latein unsere Fähigkeit zum exakten Denken, unser Verständnis für Sprache positiv beeinflusst: Der Lateinunterricht bietet also viele Möglichkeiten, der Informatikunterricht ebenso!»

Drei Bereiche
Den wahren Nutzen des Lateinunterrichts kann man in drei Bereichen festmachen: im Denken, im Allgemeinsprachlichen und im Kulturellen. Überall lebt und wirkt Latein auf intensivste Weise weiter, meistens ohne dass es uns bewusst ist.

Drei der vier Landessprachen in der Schweiz sind Töchter des Lateins. Dazu kommen viele Lehnwörter, zum Beispiel «Muur» (von murus), «Bire» (pirum), auch unsere Sprachstruktur ist also lateinisch geprägt. Im Schweizerdeutschen gibt es nur noch eine einzige Vergangenheitsform, den Typ «ich han gmacht» oder «ich bin choo» – solche Formen, die wir täglich hundertmal verwenden, sind Latinismen. Im Spätlatein kamen die zusammengesetzten Formen auf (habeo factum statt feci), die etwa auch im Französischen nach lateinischem Vorbild entstanden sind (j’ai fait).

Von hier aus kommen wir zum Kern: In der ersten und zweiten Gymnasiumsklasse führt ein guter, moderner Lateinunterricht die jungen Menschen auf grundsätzliche Weise in Sprache ein, zum Nutzen aller Fächer, auch der naturwissenschaftlichen und des Informatikunterrichts.

Wer im Lateinunterricht eine klare Grundstruktur von Sprache erlernt hat oder die so nützlichen Grundelemente der Zeichen- und Kommunikationstheorie und deren sprachliche Konsequenzen kennt und als Kompetenzen anwenden kann (beispielsweise eben die den Sprachen inhärente Metaphorik), hat unglaublich viel gewonnen.

Theo Wirth war Lehrbeauftragter für die Fachdidaktik der Alten Sprachen an der Universität Zürich.


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