Es sind alarmierende
Neuigkeiten: Immer mehr Primarlehrer werden von ihren Schülern gebissen. Allein
in den ersten fünf Wochen nach den Sommerferien trafen bei der
Lehrergewerkschaft drei Meldungen ein.
Neue Gewaltdimension: Basler Primarschüler beissen ihre Lehrer, Basellandschaftliche Zeitung, 22.11. von Leif Simonsen
Es klingt nach einer witzigen Kurzmeldung. Beim
Rechtsdienst der Freiwilligen Schulsynode (FSS) in Basel gehen in jüngster
Vergangenheit vermehrt Meldungen über beissende Schüler ein. Allein in den
ersten fünf Wochen nach den Sommerferien wurden drei Lehrerinnen bei der
Lehrergewerkschaft vorstellig, die Bisswunden zu beklagen hatten.
Zum Schmunzeln ist den Basler Lehrern aber nicht
mehr zumute. Auf den Pausenplätzen und in den Schulzimmern hat die Gewalt
zugenommen. FSS-Präsident Jean-Michel Héritier ist alarmiert. «Dass Kinder
unter zwei Jahren beissen, ist in der Entwicklungspsychologie bekannt. Wenn sie
jedoch bis ins Primarschulalter beissen, dann hat das Kind wichtige
Entwicklungsschritte nicht vollzogen», stellt der Pädagoge fest.
Wie im Horrorfilm
Die Ursprünge des Problems liegen in der Erziehung.
Héritier beobachtet, dass die Kinder immer früher über Horrorfilmkenntnisse
verfügten und dieses Wissen in die Realität umsetzten. Im jüngsten
«Schulblatt», dem verbandseigenen Organ der Lehrer, zieht er den Vergleich mit
Hannibal Lecter, dem Protagonisten aus «Schweigen der Lämmer», der seine Opfer
jeweils zu Tode biss.
Ebenso erschreckt stellten viele Lehrer fest, dass
1.-Klässler oft bereits Zugang zu «Ballerspielen» hätten. «Wenn man hört, dass
diese Schüler sich damit brüsten, wie viele Headshots sie erzielt haben, dann
gibt das zu denken.»
Bei den Schulleitungen und Lehrern erkennt Héritier
angesichts solcher Gewaltexzesse eine «nie da gewesene Hilflosigkeit». Sie
bekommen den gesellschaftlichen Wertewandel und die Orientierungslosigkeit der
Jungen am stärksten zu spüren. Besonders nach den langen Sommerferien müssten
die Lehrer die Kinder zuerst wieder erziehen.
Erziehung sei etwas, das zu Hause oft auf der
Strecke bleibe. Gleichzeitig sagt Héritier :«Die Unterschiede zwischen den
Kindern werden immer grösser.» Auch das erschwere den Unterricht. Ebenfalls
erschwerend wirke die Integrative Schulung.
In Basel-Stadt existieren keine Kleinklassen mehr.
Immerhin hat der Regierungsrat auf Druck der Lehrerinnen und Lehrer hin
beschlossen, wieder Einführungsklassen zu schaffen. Das ist dem
FSS-Präsidenten nicht genug. Er fordert, dass Kinder aus ihrer Klasse genommen
und vorübergehend in einer sogenannten Schulinsel unterrichtet werden können,
falls sie den Unterricht massiv stören.
Diese Idee stammt aus Zürich, wo einige Primar- und
Sekundarschulen solche Schulinseln eingeführt haben. Dort werden Störenfriede
temporär ausserhalb ihrer Regelklasse unterrichtet. Die ersten Erfahrungen mit
diesem Modell seien gut, sagt Christian Hugi, Präsident des Zürcher
Lehrerverbands (ZLV). «Das Feedback der Lehrer ist, dass es zu einer Entspannung
der Atmosphäre führt. Von einer Gemeinde habe ich sogar gehört, dass eine
Umplatzierung eines Kindes in eine Sonderschule verhindert werden konnte.»
Einer der Vorteile sei, dass die Kinder oft nur
vorübergehend eine Spezialbetreuung bräuchten. Sobald sie sich beruhigt haben,
können sie wieder zurück zu ihren Klassenkameraden. Auch der ZLV fordert eine
flächendeckende Einführung von Schulinseln.
Kanton prüft die
Vorschläge
Zur Idee, Schulinseln einzuführen, äussert sich die
Basler Erziehungsdepartement (ED) zurückhaltend. Es sieht offensichtlich keinen
akuten Handlungsbedarf. ED-Sprecherin Valérie Rhein sagt: «Wir stellen keine
Zunahme der Gewaltbereitschaft von Schülerinnen und Schülern fest.» Hingegen
werde eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema Gewalt beobachtet, sodass
es häufiger im Fokus stehe als noch vor ein paar Jahren.
Die Vorschläge der FSS würden derzeit bearbeitet,
sagt Rhein. Doch gegenüber den geforderten Auszeiten für Schüler zeigt sie sich
skeptisch: «In Einzelfällen kann ein kurzfristiges, temporäres Time-out
durchaus notwendig sein. Es ist jedoch nicht in jedem Fall die richtige
Massnahme.»
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