Hans Zbinden ist
langjähriger Bildungswissenschafter und Bildungspolitiker. In seinem
Gastkommentar zur steigenden Zahl und wechselnden Bezugspersonen für die Kinder
schreibt er: «Schulen wurden nicht nur vielfältiger, auch hierarchischer.»
Schulischer Irrgarten, Aargauer Zeitung, 17.10. von Hans Zbinden
Mit dem Projekt «Fokus starke Lernbeziehungen» will
der Kanton Zürich den immer komplexeren Schulalltag der Kinder wieder
übersichtlicher, stetiger und stärker machen. Während in den letzten Jahren die
pädagogischen Reformen seltener wurden, nahmen die organisatorischen und
administrativen Um- und Abbauprojekte ständig zu. Durch die Einführung
geleiteter Schulorganisationen, Integrationsmodelle, Professionalisierungen bis
hin zu Tagesstrukturen erhofft man sich, die Wirksamkeit von Personal, Klassen
und ganzen Schulen zu vergrössern. Und durch häufigere Standardisierungen und
Evaluationen miteinander vergleichbarer zu machen.
Doch kommen alle diese Neuerungen mit immer mehr
Organisation und Personal im Schulalltag letztlich den SchülerInnen zugute? In
allen den reformierten und neuen Unterrichts-, Förder-, Therapie- und
Betreuungsbereichen dienen diese ganz konkret dem Lerninteresse und der
Lernfreude der Kinder und Jugendlichen? Und welchen pädagogischen Mehrwert
bringen sie der Schule als Ganzes?
An den heutigen Schulen vieler Kantone finden wir
mittlerweile das Modell der integrierten Schulklassen. Zusätzlich auch immer
mehr in der Form von Tagesstrukturen. Die Klassen jeweils geführt von
Klassenlehrkräften, unterstützt durch Sonder- und Heilpädagogen (weibliche Form
mitgemeint) und oft auch durch Lehrpersonen für Deutsch als Zweitsprache.
Flankierend unterstützt von Therapie-, Assistenz- und Betreuungspersonal
verschiedenster Art. Doch die Schulen als «kleine Unternehmen» sind durch alle
die Neuerungen nicht nur vielfältiger geworden. Sie wurden dazu auch noch
hierarchischer. Durch die neue Personalkategorie von Schulleitenden, die als
Gesamt-, Stufen-, Bereichs- und Schulhausverantwortliche tätig sind – mit mehr
organisatorischer oder mehr pädagogischer Ausrichtung. So umfasst heute ein
blühender administrativer Kranz die eigentliche pädagogische Lehr- und
Lernarbeit der Schulen.
Alle diese horizontalen und vertikalen
Ausdifferenzierungen haben zur Folge, dass für Schülerinnen und Schüler, aber
auch für deren Eltern die reale Schulwelt immer komplizierter und verwirrender
wird. Denn zum alltäglichen realen Schulalltag gesellen sich inzwischen auch
noch alle die virtuellen Kontaktmöglichkeiten der Online-Welt. Mit Handy und
Tablet eröffnen sich den Kindern weitere Verbindungen zu mancherlei
Bezugspersonen in der schulexternen Aussenwelt. Von Lifestyle-Influencerinnen
bis hin zu meinungsbildenden Bloggern, an denen sich die jungen User/Innen
gerne orientieren.
In all dieser wachsenden Unübersichtlichkeit,
Widersprüchlichkeit und Hektik müssen sich Kinder immer mehr wie in einem
schulischen Irrgarten vorkommen. Sie verlieren den orientierenden Faden. Vor
allem aber bekunden sie Mühe, in diesem Gewusel noch tragende und verlässliche
Lernbeziehungen aufzubauen.
Entgegen diesen irritierenden Schulentwicklungen
sind sich massgebliche Pädagoginnen und Schulfachleute aber längst einig: Um in
Kindern ein dauerhaftes Fundament an Lernfreude und Lerninteresse aufzubauen
und lebenslang aufrechtzuerhalten, brauchen diese in den ersten Schuljahren
vorab wenige, aber konstante, starke und aufeinander abgestimmte persönliche
Lernbeziehungen. Und damit eine Handvoll verlässliche Bezugspersonen, auf die sie
zählen können. Die sie in ihren Bemühungen immer wieder bestärken und ihnen als
wegweisende Vorbilder dienen.
Mittlerweile haben die Zürcher Bildungsbehörden in
einer Zwischenevaluation ein Fazit gezogen: Die drohende wohlorganisierte
Verantwortungslosigkeit von immer mehr Schulpersonen ist durch eine klare
Lernverantwortung weniger und konstanter Bezugspersonen abzulösen.
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit der wenigen
Lehr- und Förderkräfte im Rahmen eines Teamteachings ist erwartungsgemäss sehr
anspruchsvoll. Sein Aufbau und seine Pflege brauchen viel Sorgfalt, Zeit und
wechselseitige Empathie.
Denn letztlich spüren die Kinder selbst am besten,
ob die gemeinsame Lehr- und Lernarbeit stimmig und wirkungsvoll abläuft. Und
sich alle Beteiligten dabei helfen und respektieren.
Vor allem aber wurde offensichtlich: Schulen
brauchen wenige, dafür starke Lernbeziehungen, mehr Ruhe und personelle
Konstanz. Und Erwachsene, die mit Geduld und Achtsamkeit die Kinder dabei
unterstützen, sich im Schulalltag zurechtfinden und sich darin gefordert und
gefördert fühlen.
Was hindert eigentlich die Nordwestschweizer
Kantone daran, dieses Projekt des benachbarten Kantons Zürich nachzuahmen?
Hahahahaha und gleich nochmals hahahaha!
AntwortenLöschenHans Zbinden schiesst mit seinem Kommentar gleich zweifach daneben. Das Projekt der starken Lernbeziehungen stammt aus der Küche der ex-Bildungschefin Aeppli aus Zürich. Und wer hat denn all die Reformen von Integration bis Tagesschulen fleissigst gefördert und damit einer Horde von Hilfs- und Teilzeitlehrkräften Tür und Tor geöffnet? Mit diesem bildungspolitischen Salto rückwärts sorgte Aeppli auch noch für dringend benötigte Forschungsaufträge an den PH.
Der zweite Lacher gilt dem amüsanten Versuch, die verblichenen Bildungsregion NW-Schweiz mit einem tollen Projektchen wieder Leben einzuhauchen. Realsatire in Reinkultur!