17. Oktober 2018

Nüchterne Wirklichkeit statt unnahbare Ideale


Es gibt zwei Zugänge für die Gestaltung von Schule. Der erste, nennen wir ihn das Top-down-Konzept, geht von Idealen aus: vom neugierigen, vielseitig talentierten, kreativen Kind, das noch eine Unzahl anderer Tugenden in sich birgt. Vom spannenden, alle Teilnehmer einbindenden, die Themen unserer Zeit abdeckenden Unterricht, der noch eine Unzahl anderer Vorzüge in sich birgt. Ebenso gibt es ideale Mütter und Väter, ideale Lehrkräfte, eine ideale Schulaufsicht. Davon ausgehend sei Schule zu verwirklichen.
Schluss mit den Schul-Illusionen! www.achgut.com 17.10. von Rudolf Taschner


Erich Wagenhofer, Regisseur des Films „Alphabet“, ist von diesem Konzept überzeugt, wenn er schreibt: „98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch zwei Prozent.“ Dass kein Aufschrei gegen diesen strohdummen Satz erklang, nicht einmal leise Kritik, zeigt, dass es den Vertretern des Top-down-Konzepts gelang, die Gesellschaft auf ihre Dogmen einzuschwören. Darauf, dass in der traditionellen Schule vieles falsch liefe, Sitzenbleiben schädlich sei, die Einteilung in Leistungsgruppen eine soziale Trennmauer errichte und die Sehnsucht nach Noten von schrecklichem Rückschritt zeuge.

Nüchterne Wirklichkeit anstatt unnahbare Ideale 
Solche nach Präsentation des Pädagogikpakets erhobene Vorwürfe hört man zuhauf. Sie folgen dem zweiten Zugang für die Gestaltung von Schule, dem Bottom-up-Konzept. Statt von unnahbaren Idealen geht es nüchtern von der Wirklichkeit der Schulwelt aus. Sie ist von Spannungsreichtum genauso geprägt wie von Langeweile, von Leistungsdruck wie von Erholungsphasen, von Erfolg wie auch von Fehlschlägen, von Fairness wie von Zufälligkeiten.

Nicht hehre, unerreichbare Ziele soll sich Schule setzen, sondern bloß drei realistische Ziele anstreben: Erstens, den Kindern so viel Wissen zu vermitteln, dass sie einen ihren Eignungen und Neigungen gemäßen Beruf ergreifen können. Zweitens, ihre Persönlichkeit so weit zu bilden, dass ihnen ein erfülltes Leben gelingen möge. Drittens, ihnen ihre Rolle als Akteure in Staat und Gesellschaft bewusst zu machen.

Darum ist es vernünftig, dass, wenn – im bei klugen Schulreifekriterien seltenen Fall – ein Kind für die Anforderungen seines Jahrgangs noch nicht reif ist, es die Klasse wiederholt. Auch Einstein war ein Spätentwickler und wurde ein Genie. Darum ist es vernünftig, auf ein differenziertes Schulsystem zu setzen, Leistungsgruppen und Leistungsniveaus einzuführen. Es hat nichts mit einer „sozialen Trennmauer“ zu tun, wenn man Kinder nach ihren Befähigungen unterrichtet. Darum ist es vernünftig, Noten zu geben. Damit wird nicht die Persönlichkeit des Kindes bewertet, sondern seine zumindest einigermaßen objektivierbare Leistung. Dass Leistungen zu erbringen sind, liegt im Wesen von Schule.
Das neue österreichische Pädagogikpaket von Kultusminister Heinz Faßmann beinhaltet diese Maßnahmen, die sich am Bottom-up-Konzept ausrichten. Sie zeichnen sich durch Sachlichkeit aus, weit entfernt vom ideologisch durchtränkten Top-down-Konzept. Sie erheben keinen Letztanspruch und sind offen für weitere Verbesserungen. Das Paket weist den Weg zur anspruchsvollen Schule: einer Schule, die Ansprüchen der modernen Gesellschaft genügt und die Ansprüche an Lehrkräfte wie auch an Jugendliche stellt.

Der Autor Rudolf Taschner ist Bildungssprecher der ÖVP. Der Mathematikprofessor ist 2018 als Quereinsteiger in den Nationalrat eingezogen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen