Es gibt
zwei Zugänge für die Gestaltung von Schule. Der erste, nennen wir ihn das
Top-down-Konzept, geht von Idealen aus: vom neugierigen, vielseitig
talentierten, kreativen Kind, das noch eine Unzahl anderer Tugenden in sich
birgt. Vom spannenden, alle Teilnehmer einbindenden, die Themen unserer Zeit
abdeckenden Unterricht, der noch eine Unzahl anderer Vorzüge in sich birgt.
Ebenso gibt es ideale Mütter und Väter, ideale Lehrkräfte, eine ideale
Schulaufsicht. Davon ausgehend sei Schule zu verwirklichen.
Schluss mit den Schul-Illusionen! www.achgut.com 17.10. von Rudolf Taschner
Erich
Wagenhofer, Regisseur des Films „Alphabet“, ist von diesem Konzept überzeugt,
wenn er schreibt: „98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der
Schule sind es nur noch zwei Prozent.“ Dass kein Aufschrei gegen diesen
strohdummen Satz erklang, nicht einmal leise Kritik, zeigt, dass es den
Vertretern des Top-down-Konzepts gelang, die Gesellschaft auf ihre Dogmen
einzuschwören. Darauf, dass in der traditionellen Schule vieles falsch liefe,
Sitzenbleiben schädlich sei, die Einteilung in Leistungsgruppen eine soziale
Trennmauer errichte und die Sehnsucht nach Noten von schrecklichem Rückschritt
zeuge.
Nüchterne Wirklichkeit anstatt unnahbare
Ideale
Solche
nach Präsentation des Pädagogikpakets erhobene Vorwürfe hört man zuhauf. Sie
folgen dem zweiten Zugang für die Gestaltung von Schule, dem Bottom-up-Konzept.
Statt von unnahbaren Idealen geht es nüchtern von der Wirklichkeit der
Schulwelt aus. Sie ist von Spannungsreichtum genauso geprägt wie von
Langeweile, von Leistungsdruck wie von Erholungsphasen, von Erfolg wie auch von
Fehlschlägen, von Fairness wie von Zufälligkeiten.
Nicht
hehre, unerreichbare Ziele soll sich Schule setzen, sondern bloß drei
realistische Ziele anstreben: Erstens, den Kindern so viel Wissen zu
vermitteln, dass sie einen ihren Eignungen und Neigungen gemäßen Beruf
ergreifen können. Zweitens, ihre Persönlichkeit so weit zu bilden, dass ihnen
ein erfülltes Leben gelingen möge. Drittens, ihnen ihre Rolle als Akteure in
Staat und Gesellschaft bewusst zu machen.
Darum ist
es vernünftig, dass, wenn – im bei klugen Schulreifekriterien seltenen Fall –
ein Kind für die Anforderungen seines Jahrgangs noch nicht reif ist, es die
Klasse wiederholt. Auch Einstein war ein Spätentwickler und wurde ein Genie.
Darum ist es vernünftig, auf ein differenziertes Schulsystem zu setzen,
Leistungsgruppen und Leistungsniveaus einzuführen. Es hat nichts mit einer
„sozialen Trennmauer“ zu tun, wenn man Kinder nach ihren Befähigungen
unterrichtet. Darum ist es vernünftig, Noten zu geben. Damit wird nicht die
Persönlichkeit des Kindes bewertet, sondern seine zumindest einigermaßen
objektivierbare Leistung. Dass Leistungen zu erbringen sind, liegt im Wesen von
Schule.
Das neue
österreichische Pädagogikpaket von Kultusminister Heinz Faßmann beinhaltet
diese Maßnahmen, die sich am Bottom-up-Konzept ausrichten. Sie zeichnen sich
durch Sachlichkeit aus, weit entfernt vom ideologisch durchtränkten
Top-down-Konzept. Sie erheben keinen Letztanspruch und sind offen für weitere Verbesserungen.
Das Paket weist den Weg zur anspruchsvollen Schule: einer Schule, die
Ansprüchen der modernen Gesellschaft genügt und die Ansprüche an Lehrkräfte wie
auch an Jugendliche stellt.
Der Autor
Rudolf Taschner ist Bildungssprecher der ÖVP. Der Mathematikprofessor ist 2018
als Quereinsteiger in den Nationalrat eingezogen.
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