Eine Pisa-Auswertung zeigt Schritte auf, um die Lücke zwischen
privilegierten und sozial benachteiligten Schülern zu schließen. Einige davon
sind denkbar einfach: Schüler bräuchten mehr Motivation – und mehr Disziplin.
OECD fordert mehr Disziplin in Schulen, Welt, 23.10. von Inga Michler
Dafür liefert die Organisation
führender Industrieländer (OECD) in einer Pisa-Sonderauswertung neue
Anhaltspunkte. Einige davon sind denkbar simpel: Disziplin in den Klassen ist
wichtig – ganz besonders für Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen.
Läuft der Unterricht in geordneten Bahnen ab, gelingt es ihnen deutlich
häufiger, sich von ihrer Herkunft abzukoppeln.
Auch eine zweite wichtige
Hilfestellung liegt in der Macht der Lehrer: Ihnen muss es gelingen, ihre
Schüler zu motivieren. „Die Schüler müssen sehen, dass sich ihr Einsatz lohnt“,
erklärt OECD-Forscher Andreas Schleicher. „Dafür könnten die Lehrkräfte sicher
mehr tun.“
„Da brauchen wir
klare Regeln des Miteinanders“
Mit mehr Disziplin und mehr
Motivation steigt der Anteil der Schüler, die sich gegenüber ihrer schwierigen
sozialen Herkunft als „resilient“ erweisen, nach Berechnungen der OECD um
jeweils sieben Prozentpunkte. Diese Resilienz, zu Deutsch Widerstandsfähigkeit,
ist für Bildungsforscher zentral. Wer schafft es, trotz hemmender sozialer und
wirtschaftlicher Verhältnisse zu Hause, gute Leistungen in der Schule zu
bringen? Und wie lassen sich diese Leistungen beflügeln?
Disziplin im Unterricht ist dafür zentral. Davon ist auch Jürgen Böhm,
Bundesvorsitzender des Verbandes Deutscher Realschullehrer (VDR), überzeugt.
„Disziplin, Ordnung, Fleiß – wir müssen an den Schulen wieder stärker die
Grundtugenden einfordern.“ Gerade in schwierigem sozialen Umfeld sei ein
„Laissez-faire-Ansatz“ nach dem Motto, jeder tut, was er möchte, genau der
falsche Weg. „Da brauchen wir klare Regeln des Miteinanders“, so Böhm. „Das
fängt beim Handy-Verbot an und hört
beim respektvollen Umgang mit den Lehrkräften auf.“
Von Lehrern, die sich duzen lassen und sich „kleiden wie Pubertierende“,
hält Böhm übrigens wenig. „Es muss eine gesunde Distanz zu den Schülern geben“,
sagt er. Der Verbandschef appelliert an die Politik, mehr Gewicht auf die
Ausbildung, besonders von Quereinsteigern unter den Lehrern, zu legen. „Wer
gerade in einem schwierigen sozialen Umfeld guten Unterricht abhalten will,
muss belastbar sein wie ein Düsenjet-Pilot“, sagt Böhm. „Er muss natürlich
fachlich fit sein, braucht aber auch pädagogisches Geschick und großes soziales
Talent, um die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler im Blick zu behalten.“
Anfang des Jahres
hatte die OECD Deutschland große Fortschritte in Sachen Resilienz bescheinigt.
Der Anteil der Schüler, die aus bildungsfernen Elternhäusern stammen und
trotzdem solide lesen, schreiben und rechnen lernen, ist hierzulande kräftig
gewachsen. Und zwar so stark wie in kaum einem anderen OECD-Land. Als derart
„resilient“ erwiesen sich im Pisa-Test von 2006 lediglich 25 Prozent der
Schüler. 2015 waren es bereits 32,3 Prozent, also ein knappes Drittel.
Unterprevilegierte
Schüler in Estland sind so gut wie der deutsche Durchschnitt
Dennoch geht die
Schere zwischen Schülern aus besonders gutem und besonders schlechtem sozialen
Umfeld hierzulande immer noch extrem weit auseinander, wie die aktuelle
Auswertung der OECD zeigt. Schaut man nach sozialem und wirtschaftlichen Status
nur auf die privilegiertesten zehn Prozent der deutschen Schüler, sind die
Pisa-Ergebnisse im internationalen Vergleich exellent. Sie erreichen den
fünftbesten Platz. Die sozial benachteiligten deutschen Schüler fielen in ihren
Leistungen aber besonders weit zurück. Ganz anders etwa in Estland: „Dort
erreichten die untersten zehn Prozent nach sozialem Status noch immer ungefähr
den deutschen Pisa-Durchschnitt“, sagt OECD-Forscher Schleicher, der den
Pisa-Test einst konzipiert hat.
Pisa ist die
weltweit größte Schulleistungsstudie und erfasst die Kompetenzen von
15-Jährigen in 80 Ländern. Die jüngsten Auswertungen beziehen sich auf die
Pisa-Ergebnisse von 2015. Eine neue Pisa-Untersuchung ist in Arbeit.
Damit sozial
benachteiligte Schüler besser lernen können, ist nach Ansicht der OECD-Forscher
eine „gute soziale Mischung“ zentral. Wer Mitschüler habe, die aus stabilen
Verhältnissen kommen, profitiere davon merklich, ganz besonders in Deutschland.
Die OECD hatte deshalb die Abschaffung
der Hauptschulen in
zahlreichen deutschen Bundesländern begrüßt. Durch das zweigliedrige System mit
Gymnasien sowie Gesamt- beziehungsweise Sekundarschulen gibt es zwangsläufig
mehr soziale Durchmischung. Und die nutze den Benachteiligten Schülern mehr,
als sie den sozial Privilegierten schade, erklärt OECD-Bildungsforscher
Schleicher.
Manchmal braucht es aber gar keine großen schulpolitischen Reformen, um
für die Schüler einen messbaren Unterschied zu machen. Schon die Ermunterung
durch Eltern oder Lehrer, im Leben nach ehrgeizigen Zielen zu streben, kann
Wunder wirken. Wer mit 15 Jahren hohe Erwartungen an die eigene Karriere hegt,
erhöht seine Chance, später tatsächlich einmal einen qualifizierten Job zu
finden, um bis zu 33 Prozent. Hoffnung zahlt sich also aus. Sie zu befeuern
lohnt sich immer.

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