Manfred Spitzer hat ein Buch gegen die „Smartphone-Epidemie“
geschrieben. Er sagt, dass Bilderbücher besser sind als Bildschirme. Und
erklärt, was wir von der Smartphone-Nation Südkorea lernen müssen.
"Schüler werden besser, wenn man Smartphones verbietet", Die Welt, 25.10. von Marc Reichwein
Auf der Buchmesse wurde viel über das
Smartphone gesprochen. Offenbar, so die viel zitierte „Leserschwundstudie“,
raubt es uns die Zeit und Kauflaune für Bücher. Nicht nur das – auch
Sehfähigkeit, Bildung und Intelligenz schwinden, sagt Manfred Spitzer. Der
Leiter der Ulmer Uni-Psychiatrie und Bestsellerautor hat
gerade „Die
Smartphone-Epidemie“(Klett-Cotta) veröffentlicht.
WELT: Gibt es Zahlen, wie viel Zeit wir täglich mit dem Smartphone verbringen?
Manfred Spitzer: Das hängt vom Land ab. Aus den USA
habe ich die neuesten Zahlen. Demnach sind es bei 8-12-Jährigen sechs Stunden
am Tag, bei 13-18-Jährigen neun Stunden am Tag. Also den Großteil ihrer wachen
Zeit.
WELT: Besitzen Sie ein Smartphone?
Spitzer: Klar, ich verteufele es auch gar nicht, wie mir immer vorgeworfen wird.
Ich weise nur auf die negativen Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen hin.
WELT: Zum Beispiel Kurzsichtigkeit?
Spitzer: Das Smartphone ist das digitale Endgerät mit dem
kleinsten Bildschirm. Wenn Sie mit fertig entwickelten Augen täglich
draufstarren, passiert Ihnen nichts. Wohl aber, wenn Sie unter 25 Jahre alt
sind und ihre Augen noch wachsen. Beim häufigen Blick in die Nähe werden Sie
kurzsichtig. In Südkorea, dem Land, das die meisten Smartphones weltweit
produziert, besitzen 100 Prozent aller Kinder und Jugendlichen ein Smartphone.
Und 95 Prozent sind kurzsichtig. Das ist eine Epidemie von erworbener
Sehbehinderung. Südkorea hat inzwischen Gesetze, die jüngere User vor den
Folgen exzessiven Smartphone-Gebrauchs schützen. Davon sind wir weit entfernt.
WELT: Ist das Smartphone ein Suchtmedium?
Spitzer: Computersucht ist inzwischen eine von der WHO anerkannte Krankheit. Leider haben wir
in Deutschland nur 200 Behandlungsplätze für mediensüchtige Kinder und
Jugendliche, obwohl es – je nach Studie – zehntausende von Patienten gäbe.
Hinzu kommt: Mit Smartphones werden soziale Online-Medien genutzt, und die
erzeugen Depressionen und steigern das Suizidrisiko.
WELT: Sind Sie für ein Handyverbot an Schulen, nach französischem Vorbild?
Spitzer: Schüler werden besser, wenn man Smartphones
verbietet. Eine große britische Studie an über 130.000 Schülern belegt genau
das. Insbesondere lernschwache Schüler werden besser. Anders als der
Branchenverband Bitkom behauptet, führt Digitalisierung nicht zu mehr, sondern
zu weniger Bildungsgerechtigkeit. Eine ländervergleichende Auswertung der PISA-Studien über 10 Jahre
ergab, das die Leistungen der Schüler umso schlechter wurden je mehr in die
Digitalisierung der Schulen gesteckt wurde. Ich bin dagegen, dass der Bund im
Rahmen des Bildungspakts 5 Milliarden für nachweislich schlechteren Unterricht
ausgibt, den Ländern die Bildungshoheit wegnimmt und sie nach Kalifornien, an
die reichsten Firmen der Welt weiterreicht.
WELT: Sind Bilderbücher besser als Bildschirme?
Spitzer: Neurowissenschaftlich ist nachgewiesen, dass Bilderbücher die
Verbindungen zwischen den Sprachzentren und den visuellen Zentren stärken und
damit die Kreativität fördern. Bei Ansehen schneller Videos hingegen ist dies
nicht der Fall und eigene Vorstellungskraft wird nur auf einer Schwundstufe
ausgebildet. Wer seinem Kind schon im Kindergartenalter erlaubt, dauernd über
Bildschirme zu wischen, darf sich nicht wundern, wenn sein Kind als
Putzfachkraft endet.
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