22. Juli 2018

Schwierig zu besetzende Stellen

Drei Tage vor den Sommerferien halten etliche Schulleiter verzweifelt Ausschau nach neuem Lehrpersonal.162 Stellen sind noch nicht besetzt. Das Volksschulamt will im Ausnahmefall nun auch über 70-Jährige beschäftigen. 
Torschlusspanik in den Schulen, Tages Anzeiger, 11.7. von Daniel Schneebeli


Ferienstimmung mag bei Martin Gehrig noch überhaupt nicht aufkommen. Für zwei offene Stellen an der Mittelstufe hat der Schulleiter im Schulhaus Friesenberg in Zürich-Uto noch immer niemanden gefunden. Er hat zwar in den letzten Tagen einige Gespräche mit Interessentinnen geführt, doch zugesagt hat ihm bis gestern Abend noch niemand. Trotz allem ist er mit seinen zwölf Jahren Schulleitererfahrung zuversichtlich, dass er es auch dieses Jahr wieder schafft, bis Mitte August Lösungen zu finden. In einer grossen Schule wie der seinen könne man die Pensen viel einfacher so zusammenstellen, dass sie auf die Ansprüche der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer und auch von Bewerberinnen passen: «Da haben es Schulleiter in kleinen Schulen schwerer.»

Besonders schwierig sei die Situation im Kindergarten. Gehrig hat dieses Jahr zwar Glück, weil eine ehemalige Kindergärtnerin ins Schulhaus Friesenberg zurückkehrt und die offene Stelle übernimmt. Doch er weiss von Schulleiter-Kolleginnen und -kollegen, die verzweifelt auf der Suche sind. Auf Inserate im Kindergarten sei der Rücklauf von Bewerbungen extrem schwach. Ebenso bei Stellen für Heilpädagogen und Heilpädagoginnen. Und am schwierigsten sei es, eine Heilpädagogin für den Kindergarten zu finden.

200 neue Klassen

Bei der kantonalen Bildungsdirektion sieht man die Situation weniger dramatisch: «Wir sind nicht in einer ausserordentlichen Situation, es gibt keinen ausgeprägten Lehrermangel», sagt Marion Völger, Chefin des Volksschulamtes. Wie sie weiter mitteilt, sind von den rund 16 000 Stellen an der Volksschule noch 162 nicht besetzt, 33 davon sind Hauptstellen für Klassenlehrer in der Primarschule, 11 Stellen für Kindergärtnerinnen. 62 Stellen sind noch für Heilpädagoginnen und -pädagogen offen. Der Rest sind Teilzeitstellen mit kleineren Pensen. Laut Völger ist die Situation ähnlich wie im Vorjahr, man sei allerdings etwa zwei Wochen später dran, Stellen würden heute länger offenbleiben.
Völger bestätigt, dass es besonders im Kindergarten Engpässe gebe. Allerdings ist das für die Chefin des Volksschulamtes nicht erstaunlich, denn in den letzten vier Jahren sind über 200 neue Kindergartenklassen eröffnet worden, wegen klar steigender Schülerzahlen. Das heisst: Im Kanton Zürich braucht es deutlich mehr Lehrer und Kindergärtnerinnen. Doch an der Pädagogischen Hochschule stagnieren derzeit die Anmeldezahlen.

Hoffen auf Quereinsteiger

Für die kommenden Jahre sieht Völger keine Entspannung, genauer will sie nicht werden: «Das wäre ein Blick in die Kristallkugel, und dazu bin ich nicht geeignet.» Den Schulen hat das Volksschulamt gleichwohl schriftlich Massnahmen vorgeschlagen, wie sie ihre schwierige Lage am besten meistern können. Viel Hoffnung setzt der Kanton in die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, welche an der Pädagogischen Hochschule ausgebildet werden. Darum empfiehlt das Volksschulamt den Schulleitungen, deren Bewerbungen prioritär zu behandeln.

Es bietet ihnen auch zusätzliche Stellenprozente bei der Anstellung von Quereinsteigern, die noch in der Ausbildung stecken. Auch regulär Studierende können bereits vor Abschluss des Studiums befristet für ein Jahr eingestellt werden. Sollte eine Gemeinde eine Ex-Lehrerin an der Angel haben, bietet das Volksschulamt finanzielle Hilfe für den Wiedereinstieg an, wenn die Kandidatin seit über acht Jahren nicht mehr unterrichtet hat. 
Am Kindergarten brauche es in den nächsten Jahren grössere Anstrengungen, um Stellen zu besetzen, schreibt das Amt in seinem Brief an die Schulleiter. Deshalb empfiehlt es, persönliche Kontakte zu nutzen. Diese können auch hilfreich sein, wenn eine Kindergärtnerin bereits pensioniert ist. Gemäss Lehrpersonalrecht ist der Einsatz bis zum 70. Altersjahr möglich. Neu will das Volksschulamt auch Ausnahmebewilligungen für über 70-Jährige ausstellen, allerdings nur bei Lehrermangel. Volksschulamtschefin Marion Völger rechnet nicht mit einem Ansturm der Generation 70 plus. Derzeit sei keine einzige Lehrperson in diesem Alter an Zürcher Schulen tätig. Allerdings habe man vor kurzem die Anfrage einer Gemeinde gehabt, welche eine über 70-jährige Heilpädagogin anstellen wollte: «Aus rechtlichen Gründen konnten wir dies nicht erlauben, was im konkreten Fall bedauerlich war.»

Miese Arbeitsbedingungen

Der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) zeigte sich gestern in einem Communiqué besorgt über die Situation auf dem Stellenmarkt. Es greife zu kurz, nur die steigenden Schülerzahlen und die Babyboomer-Pensionierungswelle in der Lehrerschaft dafür verantwortlich zu machen.

Die jährlich wiederkehrende Krise bei der Besetzung der Stellen weise auf tiefer liegende Probleme hin. Für den ZLV liegen sie in den schlechten Arbeitsbedingungen und in der Überlastung vieler Lehrerinnen und Lehrer. Es sei nicht verwunderlich, wenn frisch ausgebildete Lehrpersonen oft nach wenigen Jahren in andere Berufe wechseln würden. Aus diesem Grund fordert der ZLV Massnahmen, die das Image des Lehrerberufs so aufwerten, dass er wieder attraktiv wird für eine «lebenslange Karriere» in der Schule. Für den ZLV sollen es Massnahmen sein, welche nicht kostenneutral zu haben sind. Insbesondere verlangt der Berufsverband eine Senkung der Pflichtstundenzahl.
Marion Völger weist solche Forderungen zurück. Es gebe keine Belege, dass Lehrerinnen und Lehrer überdurchschnittlich häufig aus dem Beruf ausstiegen: «Berufswechsel sind heute nicht unüblich, das sehen wir daran, dass sehr viele Leute aus fremden Berufen in den Lehrerberuf umsteigen wollen.» Was die Imagepflege des Berufs angeht, gibt Völger den Ball zurück an den Lehrerverband: «Wer das Ansehen seines Berufes heben will, sollte vor allem über seine schönen Seiten reden.»

Zuwanderung sorgt für Wachstum


Die Prognosen der Schülerzahlen im Kanton Zürich haben sich in den letzten zwanzig Jahren grundlegend verändert. Während man um die Jahrtausendwende mit sinkenden Zahlen rechnete, ist jetzt das Gegenteil der Fall: Seit 2007 ist die Zahl der Volksschülerinnen und Volksschüler um rund 11,5 Prozent gestiegen. Hauptgrund der Entwicklung ist die Zuwanderung aus anderen Kantonen und aus dem Ausland. Zwischen 2012 und 2015 betrug das Wachstum auf Stufe Kindergarten jedes Jahr vier Prozent, inzwischen ist es etwas abgeflacht und beträgt jährlich noch rund zwei Prozent. In den kommenden Jahren wird die Wachstumswelle die Sekundarschulen und die Gymnasien erreichen, wo die Schülerzahlen im Moment nur moderat steigen.

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