In den meisten Kantonen der Zentralschweiz ist das erste Jahr unter dem
Lehrplan 21 soeben zu Ende gegangen. Die Einführung verlief ausgesprochen
ruhig. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass sich die Lehrer selber enorm unter
Druck setzen.
Lehrplan 21: Die Ruhe nach dem Sturm, Luzerner Zeitung, 8. Juli von Ismail Osman
Der Wind blies rau. Der erste für die gesamte Deutschschweiz erarbeitete
Lehrplan ist von Beginn weg auf enorme Skepsis gestossen – und löste in der
Bildungspolitik zuweilen existenzialistische Krisen aus. Nichts Geringeres als
das «Ende des Erwerbs von klassischem Schulstoff» wurde in Aussicht gestellt.
Und auch der Klassenunterricht schien bereits dem Tod geweiht.
Über zehn eingereichteVolksinitiativen – und beinahe so vielen
Abstimmungen – später ist der Lehrplan 21 in den meisten Kantonen in der Schule
angekommen. So auch in der Zentralschweiz. Im soeben zu Ende gegangenen
Schuljahr wurde er praktisch in allen Zentralschweizer Kantonen eingeführt. Die
Ausnahme ist Zug, wo die Einführung für das Schuljahr 2019/20 geplant ist.
Im Kanton Luzern wurde der neue Lehrplan in einem ersten Schritt auf der
Primarstufe eingeführt. In den kommenden Jahren wird er gestaffelt auch für die
Sekundarstufe gelten. Auch im Kanton Luzern begegnete man dem sogenannt
«kompetenzenorientierten» Lehrplan im Vorfeld mit einigem Argwohn. «Das
Misstrauen entstammte aber eher den politischen Reihen als der Lehrerschaft»,
hält Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung, fest. «Die von
langer Hand geplanten Einführungsveranstaltungen vermochten dort bereits viele
der vorhandenen Unsicherheiten zu entschärfen.»
Dies bestätigt auch Annamarie Bürkli, die scheidende Präsidentin des
Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands (LLV): «Spätestens mit den
Einführungsveranstaltungen wurde den Lehrpersonen klar, dass der Lehrplan für
den Kanton Luzern im Prinzip nichts Neues war, sondern lediglich eine
natürliche Weiterentwicklung der Art, wie in Luzerns Klassenzimmern bereits
unterrichtet wurde.»
Begrüsst hat der LLV die Tatsache, dass der Lehrplan gestaffelt
eingeführt wurde, dies verschaffe den Schulen mehr Zeit, um die jetzt auf der
Primarstufe gemachten Erfahrungen nutzen zu können. Anders sieht es etwa im
Kanton Nidwalden aus, wo der Lehrplan auf allen Stufen auf den 1. August 2017
eingeführt wurde. «In einem kleinen Kanton wie Nidwalden macht dies schon rein
aus organisatorischer Sicht Sinn», erklärt Patrick Meier, Vorsteher des Amts
für Volksschulen und Sport. Dadurch hätte man die Anzahl der Grundkurse
überschaubar halten können. «Durch die gleichzeitige Einführung entstand ein
‹Wir-Gefühl› über die ganze Volksschule», ergänzt Meier.
Beurteilungsinstrumente bereiten Lehrern Kopfweh
Der Start in die neue Schul-Ära verlief also geradezu spektakulär
unspektakulär – wie auch Exponenten aus anderen Kantonen auf Anfrage
bestätigen. Das vergangene Schuljahr zeigte aber auf, wo noch Handlungs- oder
Klärungsbedarf besteht.
Ganz vorne auf der Liste sind die Beurteilungsinstrumente zu nennen. Der
Lehrplan 21 lässt beim Thema Beurteilung vieles offen. Wie etwa Noten vergeben
werden, bleibt Sache der Kantone. In diesem Bereich sei es denn auch zu
Rückmeldungen gekommen. Annamarie Bürkli wünscht sich mehr davon: «Wir sind auf
die Rückmeldungen der Lehrpersonen angewiesen, um notwendige Anpassungen in die
Wege leiten zu können.»
Auch in anderen Kantonen sind die Beurteilungsinstrumente eine
Herausforderung. So etwa in Obwalden. Dort sorgte eine relativ kurzfristige
Anpassung der für die Beurteilung benötigte Software zuweilen für Zeitdruck,
wie Francesca Moser, Leiterin Amt für Volks- und Mittelschulen, erklärt: «Die
Schulen und ihre Lehrpersonen mussten innerhalb eines halben Jahres ihre
Beurteilungsgrundlagen ihren Bedürfnissen entsprechend anpassen. Das ist mit
Gesprächen, Diskussionen, Kompromissen und mit einem entsprechenden Aufwand
verbunden.»
Lehrer hätten genug Zeit für Umstellung
«Das vergangene Jahr hat aber gezeigt, dass die Einführung des Lehrplans
21 vorausschauend und umsichtig durchgeführt wurde», sagt Moser. Eine zentrale
Botschaft an die Lehrerschaft sei, dass man für die Umsetzung des neuen
Lehrplans Zeit habe. Nicht jeder Aspekt des Unterrichts müsse vom ersten
Schultag an dem Lehrplan21 entsprechen. Diese Botschaft hinauszutragen, sei
aber leichter gesagt als getan, weiss Annamarie Bürkli: «Wir haben
festgestellt, dass sich die Lehrpersonen – im Wunsch, bereit zu sein –
teilweise selber zu stark unter Druck setzen.» Der LLV appelliere denn auch
weiterhin an seine Mitglieder, sich die nötige Zeit zu geben.
Dieselbe Erfahrung hat auch Konrad Schuler, Präsident des Verbands
Lehrerinnen und Lehrer Kanton Schwyz (LSZ), gemacht: «Wir haben im Vorfeld
dafür gekämpft, dass für die Einführung des Lehrplans fünf Jahre einberechnet
werden, was vom Erziehungsrat auch abgesegnet wurde.» Dennoch beobachtet man
beim LSZ, dass nicht nur einzelne Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch
Schulleitungen teilweise enorm hohe Ansprüche an sich haben. Wie in Luzern wird
auch in Schwyz der Lehrplan 21 gestaffelt eingeführt. «Nun, da die Einführung
auf der Oberstufe ansteht, sehen wir, dass sich die Lehrpersonen dort fast noch
mehr unter Druck setzen – dem versuchen wir entgegenzuwirken», sagt Schuler.
Das erste Schuljahr unter dem Lehrplan 21 ist zu Ende. Seine konkreten Auswirkungen
auf den Schulbetrieb beginnt man aber erst im Ansatz zu erkennen. In drei bis
vier Jahren stehen in mehreren Kantonen die ersten vertieften Evaluationen an.
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